Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Valletta wird Kulturhaup­tstadt und ganz Malta feiert mit

Touristike­r erhoffen sich mehr Gäste – Skeptiker fürchten um den Charakter der Stadt

- Von Philipp Laage

VALLETTA (dpa) - Valletta ist 2018 neben dem niederländ­ischen Leeuwarden eine der beiden Kulturhaup­tstädte Europas – doch eigentlich feiert ganz Malta. Die kleine Insel im Mittelmeer lockt Touristen mit großer Geschichte. Doch die enorme Beliebthei­t der Hauptstadt hat nicht nur positive Seiten.

Um sein kulturelle­s Wirken zu beschreibe­n, wählt der Feingeist einen eher martialisc­hen Vergleich: „Ich bin ein Rottweiler. Wenn ich einmal meine Zähne in etwas geschlagen habe, lasse ich so schnell nicht los“, erklärt Kenneth Zammit Tabona in seiner Wohnung in St. Julian’s auf Malta. Das Wohnzimmer des Malers steht voller antiker Möbel, die Wände tragen Gemälde bis zur Decke, ein Hausangest­ellter und Vertrauter der Familie serviert Kaffee und typisch maltesisch­e Kekse.

Der 60-jährige Tabona ist ein schöpferis­cher Tausendsas­sa und der künstleris­che Leiter des erfolgreic­hen Baroque Festivals, das seit 2013 auf Malta veranstalt­et wird. Schauplatz ist das Manoel-Theater von 1732, eine der ältesten noch bespielten Bühnen der Welt. Das Jahr 2018 soll für das Barockfest ganz besonders werden.

„Wir dehnen das Kulturhaup­tstadtjahr auf die ganze Insel aus“, räumt Tabona ein und schaut von seinem Sessel amüsiert aus dem Fenster seines barocken Reichs. Selbst die Tourismusb­ehörde spricht ganz offen von einem inselweite­n Fest, bei dem Valletta als Dreh- und Angelpunkt diene. Das ist das Besondere: Es heißt zwar Kulturhaup­tstadt Europas, doch eigentlich feiert das ganze Land. Dafür gibt es gute Gründe.

Valletta ist nicht nur die südlichste, sondern auch die kleinste Hauptstadt der EU. Nur knapp 6000 Menschen leben hier auf einer Fläche von nicht einmal einem Quadratkil­ometer – das ist weniger als halb so groß wie der Tiergarten in Berlin. Dafür gehört ganz Valletta seit 1980 zum Unesco-Weltkultur­erbe. Jedes einzelne Haus der Altstadt steht unter Denkmalsch­utz. Außerdem ist wohl keine europäisch­e Stadt so befestigt wie Valletta, gelegen auf einer Landzunge, von drei Seiten von Wasser umgeben. So konnte die Stadt nie wachsen.

Ihren Ursprung hat die Geschichte im Jahr 1530: Kaiser Karl V. übergab Malta als Lehen den Rittern des Johanniter­ordens, der später als Malteseror­den bekannt wurde. Damals gehörte die Insel zum Königreich Spanien, das von den Habsburger­n regiert wurde. „Karl gab Malta den Rittern“, so Tabona. „Das hat alles verändert.“Auf das abgeschied­ene Eiland kamen nun Würdenträg­er aus Reichen, die das mittelalte­rliche Europa dominiert hatten. Die Kultur erblühte.

Nach der Großen Belagerung durch die Osmanen 1565 gründete der damalige Großmeiste­r des Malteseror­dens, Jean de la Valette, die nach ihm benannte Festungsst­adt Valletta. Der Orden schlug die Invasoren zurück, versklavte seinerseit­s aber auch Muslime. Wichtigste­s Zeugnis jener Zeit ist der Großmeiste­rpalast mit seiner Waffenkamm­er, die bedeutends­te Sehenswürd­igkeit Vallettas.

Von 1798 an plünderten die Franzosen unter Napoleon die Insel, bis Malta 1814 britische Kolonie wurde. Die Unabhängig­keit folgte 150 Jahre später. Viel Geschichte also auf kleinstem Raum.

Im zentralen Caffe Cordina sitzen die Menschen am Nachmittag unter Sonnenschi­rmen, trinken Kaffee oder Aperol Spritz und knabbern an süßem Gebäck: zum Beispiel Kannoli mit Ricotta, ein kulinarisc­her Import aus Sizilien. Doch nicht nur hier, im Touristenz­entrum, ist die Altstadt belebt. Und nicht nur Urlauber bummeln durch die Gassen, auch die Malteser selbst haben Valletta wieder für sich entdeckt. Die Geschäfte sind voll, die Cafés besetzt.

Neue Kunst in alter Stadt

Natürlich, der Großmeiste­rpalast ist auf einer Besichtigu­ngstour durch Valletta seit jeher gesetzt, genauso wie die Kathedrale St. John's. Und auch die Casa Rocca Piccola, ein mehr als 400 Jahre altes privates Wohnhaus, wird schon seit Jahrzehnte­n gerne besucht. Doch mit Blick auf das Kulturhaup­tstadtjahr muss sich die Stadt nicht allein auf alte Schätze verlassen. Der Stararchit­ekt Renzo Piano hat das alte City Gate durch zwei kühle Betonquade­r ersetzt. Auch das neue Parlaments­gebäude geht auf einen Entwurf des Italieners zurück. Die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Oper hat er in ein Freilichtt­heater verwandelt. Projekte wie diese haben die Hauptstadt, die in vielen Gassen recht morbid anmutet, auch für die Malteser wieder interessan­t gemacht.

Das Kulturhaup­tstadtjahr soll Valletta weiteres Leben einhauchen. Mehr als 140 Kulturproj­ekte und 400 Events sind geplant – von klassische­r Oper über Performanc­e Art und Design bis zu Musik und Film. Zur Eröffnungs­veranstalt­ung am 20. Januar wird auf den Plätzen der Stadt Musik, Theater, Tanz und Videokunst geboten. Das alles soll zusammen eine einzige große „Festa“ergeben. Die Historie der Stadt, das große kulturelle Erbe, soll lebendig werden.

Hohe Mieten

So blicken die Touristike­r in Malta optimistis­ch auf 2018. Man erhofft sich 180 000 deutsche Touristen. Im Jahr 2016 waren es knapp 157 000. Die Marketing-Strategen wollen die Kombinatio­n aus Kultur und Sonne hervorhebe­n. Schließlic­h hat Malta auch außerhalb Vallettas viel Geschichte zu bieten: das Hypogäum von Hal-Saflieni, das malerische Mdina, bedeutende Megalith-Tempel, die imposante Kirche Maria Himmelfahr­t in Mosta.

Sandro Debono ist ein Mann des Kulturbetr­iebs, der den Boom Vallettas nicht ohne Skepsis sieht. Der Kunsthisto­riker war Museumsdir­ektor des alten National Museum of Fine Arts und ist Projektlei­ter des Umbaus zum neuen Kunstmuseu­m MUZA, das Mitte 2018 eröffnen wird. Debono erzählt, wie er die Dinge sieht: „Es gibt eine positive Geschichte, die viel mit Möglichkei­ten zu tun hat, und eine negative, die viel mit Ängsten und Bedrohunge­n zu tun hat. Und manchmal ist es schwierig, zwischen beiden zu unterschei­den.“

Die Preise für Mieten und Immobilien seien enorm gestiegen, erzählt Debono. Für die normalen Leute sei es viel schwierige­r geworden, in der Stadt zu leben. Das Kulturhaup­tstadtjahr werde noch mehr Druck ausüben. Es geht, wie so oft bei der Aufwertung einer Stadt, um die Verdrängun­g der Bevölkerun­g. „Wir verlieren unsere Seele. Nicht die Shops machen Valletta aus, sondern die Menschen“, mahnt Debono. Der Politik sei das Problem bewusst.

Künstler Kenneth Zammit Tabona teilt die Sorgen. „Ich habe Angst, dass der Charakter Vallettas verloren geht. Dass die Läden nicht mehr Pastizzi verkaufen, sondern auf einmal belgische Schokolade.“Viele Häuser würden von Spekulante­n gekauft, die sich dann über Feste in den Straßen beschwerte­n. Doch zumindest im Kulturhaup­tstadtjahr müssen Touristen sich um das pralle Leben in Valletta nicht sorgen. Die Gassen in der Stadt dürften noch belebter sein als ohnehin schon.

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Die schmalen Gassen verleihen Valletta einen besonderen Charme.
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FOTOS: DPA Das Baroque Festival spielt im Kulturhaup­tstadtjahr 2018 eine große Rolle.

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