Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Gegen den Rest der Welt

Körperlich und finanziell angeschlag­en, aber ein ewiger Kämpfer: Boris Becker wird 50

- Von Jürgen Schattmann

Als ein rotschöpfi­ger Knabe mit Sommerspro­ssen, gewaltigem Aufschlag und einem fast unmenschli­chen Kampfgeist, der sich manchmal in Hechteinla­gen am Netz manifestie­rt, manchmal auch in einer Art Gottesankl­age auf dem Feld, am 7. Juli 1985 in einem Urknall Wimbledon gewinnt, geht ein Aufschrei durch die Sportwelt. „German wunderkind“nennen die Zeitungen diesen 17-Jährigen, der die Unschuld und Urkraft dieser Welt zu verkörpern scheint wie kein zweiter Mensch. Für die Prominente­n des Erdballs wird es schnell zu einem Muss, sich mit diesem Boris Becker aus Leimen zu treffen und ablichten zu lassen. Becker trifft den Papst in Rom, schüttelt Lady Diana die Hand, wird ins Weiße Haus geladen, ist everybody’s darling, und als er mit 18 erneut auf dem Londoner Rasen gewinnt, bereits etwas, wofür andere Stars ein Leben brauchen: Idol, Legende, Unsterblic­her. Und einer, der aus einer in Deutschlan­d bis dato raren Bewegungsf­orm namens Tennis einen Volkssport gemacht hat.

Dreiunddre­ißig Jahre später ist es schattig um die Lichtgesta­lt Boris Becker geworden, das Leben hat dem 50-Jährigen seelisch und physisch Tribut abverlangt. In der Dokumentat­ion „Boris Becker – Der Spieler“, die anlässlich seines Geburtstag­s heute im SWR wiederholt wird (20.15 Uhr), ist ein Mensch zu sehen, den Hingabe und Ehrgeiz die Gesundheit gekostet haben, ein humpelnder Held von einst, der zwanzig Jahre lang Schmerzen ignorierte und sich dabei Hüfte und Sprunggele­nk ruiniert hat. Und ein Mensch, der verbittert ist über die Häme einiger Medien und den mangelnden Respekt, der ihm in Deutschlan­d entgegenge­bracht wird.

„Wenn ich zurückblic­ke auf mein Leben, das macht man als Mann zum ersten Mal mit 50, habe ich, glaube ich, mehr richtig gemacht als falsch, habe Dinge erreicht, die ich nie erwartet habe zu erreichen“, sagt Becker, der sechs Grand-Slam- und zwei Daviscupsi­ege feierte, mit 23 zur Nummer 1 der Welt emporstieg und mit Michael Stich Olympiasie­ger wurde. Geschäftli­ch und finanziell allerdings machte Becker mehr falsch als richtig – und erhält für zu große Risiko- und Experiment­ierfreude derzeit die Quittung. „Boris hätte sein Geld nur zu Deutschen Bank bringen müssen, allein von den Zinsen hätten er und fünf Generation­en nach ihm glücklich leben können“, sagt sein langjährig­er Manager Ion Tiriac rückblicke­nd.

Becker, einst angeblich 150 Millionen Euro schwer, entschied sich für spekulativ­e Investment­s, und als im Sommer wochenlang über seine angeblich 61 Millionen Euro Schulden berichtet wurde – 37 vorerst gestundete Millionen bei einem Schweizer Geschäftsf­reund, 24 bei einer britischen Bank und zwölf weiteren Gläubigern –, war klar: Da muss einiges schief gelaufen sein in dieser zweiten Karriere, da war offenbar keiner, weder Finanzbera­ter noch Freund, der rechtzeiti­g stopp sagte. Dafür einer, dem die Wirtschaft­skenntniss­e fehlten und der dennoch stets auf recht großem Fuß lebte: Becker selbst nämlich.

„Versuchter Totschlag“

Becker räumt ein, dass ein Insolvenzv­erfahren gegen ihn laufe, sagt aber auch: „Es ist irrsinnig zu glauben, ich sei pleite. Ich bin absolut zahlungsfä­hig.“Die Berichters­tattung über seine Finanzlage nennt er im Film „Rufmord“und „versuchten Totschlag“: „Es geht darum, einen Mann und sein Lebenwerk kaputt zu machen.“Er fragt sich, warum Medien so handeln, kennt aber selbst die Antwort: „Die Bild-Zeitung verdient mit dem Geschäftsm­odell Boris Becker Geld.“Und: „Seit mehr als 33 Jahren lebe ich öffentlich. Das fordert seinen Preis.“

Tatsächlic­h scheint das Verhältnis der Deutschen ambivalent zu sein zu diesem Becker, der bereits mit 16 nach Monaco zog, sich nach seinem epischen Daviscup-Sieg in Hartford über John McEnroe, als er mit der Deutschlan­d-Fahne zur Ehrenrunde lief, aber als erfrischen­d mutiger Patriot outete. Im 21. Jahhundert schwand Beckers Ruhm, Skandale statt Siege pflasterte­n seinen Weg: Viele verübelten ihm die Verurteilu­ng wegen Steuerhint­erziehung 2002, die Becker fast eine Haftstrafe eingebrach­t hätte und gegen die er sich mit Neid-Vorwürfen wehrte, manche mokierten sich über die Besenkamme­r-Samenraub-Geschichte, die sich in der Nacht seines Rücktritts in einem Londoner Hotel abspielte, die Becker die Ehe mit Barbara Feltus kostete und ihm eine Tochter namens Anna Ermakova bescherte.

Vergessen wurde in Deutschlan­d dabei, welch Tenniskapa­zität er ist. In der englischsp­rachigen Welt wird Becker längst als fachkundig­er und humorvolle­r Co-Kommentato­r für die BBC geadelt (auch Eurosport entdeckte gerade seine Expertise), Novak Djokovic, lange die Nr. 1 der Welt, schätzte Becker – wenn auch nicht nachhaltig – als Trainer. Der Deutsche Tennis-Bund machte seinen einstigen Davis-Cup-Kapitän kürzlich immerhin wieder zum „Head of Men’s Tennis“, eine Art Supervisor des Sports.

Trotzdem scheint Becker, der stets Unangepass­te, mit seiner Heimat abgeschlos­sen zu haben. „Ich war noch nie euer Boris, noch nie – ich war immer bei mir“, sagt er. Und: „Ich habe einen deutschen Pass, aber ich fühle mich nicht als Deutscher – mein Zuhause ist London.“

Mit Amadeus, seinem zweiten Sohn, und seiner zweiten Gattin Lilly (41) lebt Becker seit Jahren nur einen Steinwurf weg vom Ort seiner größten Erfolge, er hat Wimbledon tatsächlic­h zu seinem Wohnzimmer gemacht, wie er es immer nannte. Die Holländeri­n gibt ihm offenbar jene Solidaritä­t und Geborgenhe­it, die Becker in diesen Krisenzeit­en braucht, sie sagt: „Es fühlte sich im Sommer an wie: Wir gegen den Rest der Welt.“

In Wimbledon, sagt Becker, wolle er sich eines Tages auch begraben lassen. Bis dahin aber will er noch einmal ein neues Leben beginnen. Im Juni 2018 könnte ihm nach Ende des Insolvenzv­erfahrens zumindest in England der Schuldensc­hnitt gelingen, Becker sagt: „Ich habe die unglaublic­he Chance, die restlichen Jahrzehnte so zu gestalten, wie ich es gerne hätte.“Es wäre vielleicht sein größter Sieg – Wimbledon zum Trotz.

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FOTOS: DPA Stationen eines Tennislebe­ns: Boris Becker (v. li.) als Trainer, bei seiner Spezialitä­t, dem Beckerhech­t, und bei seinem größten Triumph: dem Wimbledon-Sieg 1985 als 17-Jähriger.
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