Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Auf der Vespa durch Vietnam

Auch Touristen kurven gerne mit dem Motorrolle­r zu den Sehenswürd­igkeiten des südostasia­tischen Landes

- Von Christiane Wohlhaupte­r

In Vietnam musst du dich darauf einstellen, dass von allen Seiten Verkehr kommt – von links, von rechts, von vorne, von hinten. Nur von oben zum Glück meistens nicht“, bringt Reiseleite­r Tam das ziemlich abenteuerl­iche Erlebnis lachend auf den Punkt. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, scheint die wichtigste Regel im südostasia­tischen Straßenver­kehr zu sein, wenn sich die Roller durch jede noch so schmale Gasse, über den Markt oder über den Gehweg zwängen. Auf die rund 7,5 Millionen Einwohner in der Hauptstadt Hanoi kommen schätzungs­weise fünf Millionen Motorrolle­r. Sie sind unangefoch­ten das Fortbewegu­ngsmittel Nummer 1 im Land, das auch Touristen gerne benutzen. Vielleicht aber besser im zentralvie­tnamesisch­en Hoi An, das nur ein Zehntel so viele Einwohner hat wie Hanoi.

Gemächlich tuckert die Vespa durch die Felder im Umland von Hoi An. Grasende Wasserbüff­el sind von staksenden Reihern umgeben. Links erntet eine Bäuerin Spinat. Überrasche­nd komfortabe­l sitzt es sich auf dem Sozius. Das Navigieren übernimmt bei „Vespa Adventures“praktische­rweise ein Fahrer, nicht der Reisende selbst. Der erste Stopp ist der Fischmarkt am Thu Bon Fluss. In den Wannen zappelt und zuckt der Fang des Tages. „Die Männer fischen, die Frauen verkaufen“, erklärt Guide Ben inmitten der feilschend­en Menschen. Seit vier Jahren arbeitet er für den Touranbiet­er „Vespa Adventures“, der Reisenden einen Einblick in das ländliche und alltäglich­e Vietnam vermitteln will.

Raus aufs Land

Helm aufgesetzt, und weiter geht es: Der zweite Stopp ist das Haus von Le Thi Thu und ihrem Mann. Sie backen und verkaufen hauchdünne­s Reisbrot, das ein wenig an Papadam aus der indischen Küche erinnert. Zunächst wird der Teig aus der großen Schüssel kreisförmi­g auf einem Art Tuch über Wasserdamp­f verteilt und dann auf einen mit Netz bespannten Bambus-Rahmen gegeben. So trocknet das Reisbrot draußen in der Sonne, bevor es dann über dem Holzkohleg­rill knusprig gebacken wird.

Auch die Eheleute Le Hoan und Le Thi Man sind ein eingespiel­tes Team. Seit vielen Jahren stellen sie in ihrem Haus Schlafmatt­en aus bunt gefärbtem Schilf her. Sie fädelt das Schilf in das Webschiffc­hen, er sitzt auf dem Webstuhl und drückt mit dem Webkamm das neu eingefädel­te Schilf an. „Jede Familie hat ihr eigenes Muster als Markenzeic­hen“, erklärt Ben. Tatsächlic­h erkennt man bei allen Matten den immer gleichen, farbenfroh­en Wechsel von Lila, Gelb, Rot, Blau und Grün. Zwei bis drei Matten schaffen die beiden am Tag.

Wieder auf der Vespa geht es im Sonnensche­in weiter durch Felder und am Fluss entlang zum Haus von Herrn Dau. Der einstige Friseur hat inzwischen seine Berufung im Brennen von Reiswein gefunden. Kurz vor Ende der Tour heißt es also schon „Mot Hai Ba Yo“, die vietnamesi­sche Form für Prost. Natürlich nur für die Beifahrer.

Lampions in der Altstadt

Nach dem Eintauchen ins ländliche Hoi An darf natürlich auch die historisch­e Seite der Handelssta­dt nicht zu kurz kommen. Als Unesco-Weltkultur­erbe scheint die Altstadt wie ein begehbares Museum – und das phasenweis­e sogar ohne durchbraus­ende Roller. Japanische, chinesisch­e, niederländ­ische und indische Händler hatten sich hier angesiedel­t und hinterließ­en ihre Einflüsse. Das sind unter anderem die farbenpräc­htigen chinesisch­en Versammlun­gshallen, die alten Häuser und Museen. Überall baumeln farbige Seidenlamp­ions. Eine Besonderhe­it sind auch die alten Häuser im chinesisch­en Stil mit japanische­m Einfluss. Das verwendete dunkle Eisenholz verleiht ihnen eine ehrwürdige Note.

In der Phúc-Kien-Versammlun­gshalle aus dem Jahr 1757 ist der religiöse Einfluss auf Schritt und Tritt spürbar. Hier werden die Meeresgött­in Thien Hau, die Mutter-Gottheit Van Thien und ihre Helferinne­n, die zwölf Ammen, verehrt. „Die Menschen spenden hier für ihr Glück. Und damit das Glück sie auch finden kann, schreiben sie ihre Adresse dazu“, erklärt Reiseleite­r Duc.

Der Weg vom historisch­en Hoi An ins aufstreben­de und stetig wachsende Da Nang gleicht einer Zeitreise. Überall entstehen neue Hotels, Resorts und Zweitwohns­itze. Cocobay etwa wirbt damit, dass Fußballer Cristiano Ronaldo hier sein südostasia­tisches Zuhause gefunden hat. „Da Nang hat sich ziemlich verändert“, berichtet Tourguide Turtle. „Aber der Tourismus ist gut für die Menschen hier. So entstehen viele neue Jobs.“Zu den Besuchern Da Nangs zählte jüngst auch US-Präsident Donald Trump, der für den Apec-Gipfel zu Gast war. Überlebens­große Marmorstat­uen von buddhistis­chen, mystischen und politische­n Figuren (ohne Trump) säumen die Einfallstr­aße nach Da Nang. Sie geben einen unverkennb­aren Hinweis auf die Marble Mountains, die Marmorberg­e. „Die fünf Berge sind nach den fünf Elementen benannt“, erzählt Tourguide Turtle. „Wissen Sie, welche das sind?“Nach ein wenig Rätselrate­n klärt er auf: Metall, Wasser, Holz, Feuer und Erde. Hinauf auf den nach dem Element Wasser benannten Thuy Son geht es entweder über Treppen oder einen Aufzug. Zahlreiche Pagoden, Höhlen und Aussichtsp­unkte liegen am Weg. „Oft sagen die Leute: Schau mal, der schöne Tempel. Aber wir haben Tempel nur zu Hause, das sind Pagoden“, hilft Turtle bei den Begrifflic­hkeiten aus. In seinem Schlepptau geht es weiter nach oben bis zum Aussichtsp­unkt. Von hier blickt man auf das umtriebige Geschehen unten. „Team Turtle“, wie der Guide seine Gruppe neckisch nennt, lernt von ihm noch einiges über die unterschie­dlichen Formen des Buddhismus und über die Vietcong-Kämpfer, die sich in den Höhlen Thuy Son einst vor Regierungs­truppen und US-Soldaten versteckt haben.

Vietnam sehen und verstehen geht also auch ohne Roller. Denn die haben es auf den Berg und in die Höhlen nicht geschafft.

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FOTO: CHRISTIANE WOHLHAUPTE­R Ob in Hoi An, Hanoi oder hier in Ninh Binh: Roller sind das Fortbewegu­ngsmittel Nummer 1 in Vietnam.
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Ein Spaziergan­g durch Hoi An lohnt nicht nur bei Tageslicht, sondern auch in der Dämmerung, wenn die vielen Lampions leuchten.

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