Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Auf der Vespa durch Vietnam
Auch Touristen kurven gerne mit dem Motorroller zu den Sehenswürdigkeiten des südostasiatischen Landes
In Vietnam musst du dich darauf einstellen, dass von allen Seiten Verkehr kommt – von links, von rechts, von vorne, von hinten. Nur von oben zum Glück meistens nicht“, bringt Reiseleiter Tam das ziemlich abenteuerliche Erlebnis lachend auf den Punkt. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, scheint die wichtigste Regel im südostasiatischen Straßenverkehr zu sein, wenn sich die Roller durch jede noch so schmale Gasse, über den Markt oder über den Gehweg zwängen. Auf die rund 7,5 Millionen Einwohner in der Hauptstadt Hanoi kommen schätzungsweise fünf Millionen Motorroller. Sie sind unangefochten das Fortbewegungsmittel Nummer 1 im Land, das auch Touristen gerne benutzen. Vielleicht aber besser im zentralvietnamesischen Hoi An, das nur ein Zehntel so viele Einwohner hat wie Hanoi.
Gemächlich tuckert die Vespa durch die Felder im Umland von Hoi An. Grasende Wasserbüffel sind von staksenden Reihern umgeben. Links erntet eine Bäuerin Spinat. Überraschend komfortabel sitzt es sich auf dem Sozius. Das Navigieren übernimmt bei „Vespa Adventures“praktischerweise ein Fahrer, nicht der Reisende selbst. Der erste Stopp ist der Fischmarkt am Thu Bon Fluss. In den Wannen zappelt und zuckt der Fang des Tages. „Die Männer fischen, die Frauen verkaufen“, erklärt Guide Ben inmitten der feilschenden Menschen. Seit vier Jahren arbeitet er für den Touranbieter „Vespa Adventures“, der Reisenden einen Einblick in das ländliche und alltägliche Vietnam vermitteln will.
Raus aufs Land
Helm aufgesetzt, und weiter geht es: Der zweite Stopp ist das Haus von Le Thi Thu und ihrem Mann. Sie backen und verkaufen hauchdünnes Reisbrot, das ein wenig an Papadam aus der indischen Küche erinnert. Zunächst wird der Teig aus der großen Schüssel kreisförmig auf einem Art Tuch über Wasserdampf verteilt und dann auf einen mit Netz bespannten Bambus-Rahmen gegeben. So trocknet das Reisbrot draußen in der Sonne, bevor es dann über dem Holzkohlegrill knusprig gebacken wird.
Auch die Eheleute Le Hoan und Le Thi Man sind ein eingespieltes Team. Seit vielen Jahren stellen sie in ihrem Haus Schlafmatten aus bunt gefärbtem Schilf her. Sie fädelt das Schilf in das Webschiffchen, er sitzt auf dem Webstuhl und drückt mit dem Webkamm das neu eingefädelte Schilf an. „Jede Familie hat ihr eigenes Muster als Markenzeichen“, erklärt Ben. Tatsächlich erkennt man bei allen Matten den immer gleichen, farbenfrohen Wechsel von Lila, Gelb, Rot, Blau und Grün. Zwei bis drei Matten schaffen die beiden am Tag.
Wieder auf der Vespa geht es im Sonnenschein weiter durch Felder und am Fluss entlang zum Haus von Herrn Dau. Der einstige Friseur hat inzwischen seine Berufung im Brennen von Reiswein gefunden. Kurz vor Ende der Tour heißt es also schon „Mot Hai Ba Yo“, die vietnamesische Form für Prost. Natürlich nur für die Beifahrer.
Lampions in der Altstadt
Nach dem Eintauchen ins ländliche Hoi An darf natürlich auch die historische Seite der Handelsstadt nicht zu kurz kommen. Als Unesco-Weltkulturerbe scheint die Altstadt wie ein begehbares Museum – und das phasenweise sogar ohne durchbrausende Roller. Japanische, chinesische, niederländische und indische Händler hatten sich hier angesiedelt und hinterließen ihre Einflüsse. Das sind unter anderem die farbenprächtigen chinesischen Versammlungshallen, die alten Häuser und Museen. Überall baumeln farbige Seidenlampions. Eine Besonderheit sind auch die alten Häuser im chinesischen Stil mit japanischem Einfluss. Das verwendete dunkle Eisenholz verleiht ihnen eine ehrwürdige Note.
In der Phúc-Kien-Versammlungshalle aus dem Jahr 1757 ist der religiöse Einfluss auf Schritt und Tritt spürbar. Hier werden die Meeresgöttin Thien Hau, die Mutter-Gottheit Van Thien und ihre Helferinnen, die zwölf Ammen, verehrt. „Die Menschen spenden hier für ihr Glück. Und damit das Glück sie auch finden kann, schreiben sie ihre Adresse dazu“, erklärt Reiseleiter Duc.
Der Weg vom historischen Hoi An ins aufstrebende und stetig wachsende Da Nang gleicht einer Zeitreise. Überall entstehen neue Hotels, Resorts und Zweitwohnsitze. Cocobay etwa wirbt damit, dass Fußballer Cristiano Ronaldo hier sein südostasiatisches Zuhause gefunden hat. „Da Nang hat sich ziemlich verändert“, berichtet Tourguide Turtle. „Aber der Tourismus ist gut für die Menschen hier. So entstehen viele neue Jobs.“Zu den Besuchern Da Nangs zählte jüngst auch US-Präsident Donald Trump, der für den Apec-Gipfel zu Gast war. Überlebensgroße Marmorstatuen von buddhistischen, mystischen und politischen Figuren (ohne Trump) säumen die Einfallstraße nach Da Nang. Sie geben einen unverkennbaren Hinweis auf die Marble Mountains, die Marmorberge. „Die fünf Berge sind nach den fünf Elementen benannt“, erzählt Tourguide Turtle. „Wissen Sie, welche das sind?“Nach ein wenig Rätselraten klärt er auf: Metall, Wasser, Holz, Feuer und Erde. Hinauf auf den nach dem Element Wasser benannten Thuy Son geht es entweder über Treppen oder einen Aufzug. Zahlreiche Pagoden, Höhlen und Aussichtspunkte liegen am Weg. „Oft sagen die Leute: Schau mal, der schöne Tempel. Aber wir haben Tempel nur zu Hause, das sind Pagoden“, hilft Turtle bei den Begrifflichkeiten aus. In seinem Schlepptau geht es weiter nach oben bis zum Aussichtspunkt. Von hier blickt man auf das umtriebige Geschehen unten. „Team Turtle“, wie der Guide seine Gruppe neckisch nennt, lernt von ihm noch einiges über die unterschiedlichen Formen des Buddhismus und über die Vietcong-Kämpfer, die sich in den Höhlen Thuy Son einst vor Regierungstruppen und US-Soldaten versteckt haben.
Vietnam sehen und verstehen geht also auch ohne Roller. Denn die haben es auf den Berg und in die Höhlen nicht geschafft.