Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Finsterlie­der“gehen tief unter die Haut

„Folklorefr­eie Volksmusik“mit „Dreivierte­lblut“im Adlersaal

- Von Babette Caesar

ISNY - Nur einer hat am Abend stehen dürfen – besser: müssen. Benny Schäfer. Denn sein Kontrabass ist nur stehend spielbar. Alle anderen der sieben „Dreivierte­lblut“-Musiker saßen auf Stühlen im Adlersaal beim Auftritt in der Reihe „Zwischento­ene“. Es sei ihr erstes Konzert überhaupt im Baden-Württember­gischen, ließen sie verlauten. Daran nahmen ihre „Finsterlie­der“keinen Schaden. Die Grenze zum Bayerische­n ist schließlic­h gleich um die Ecke.

Ausgesproc­hen lässig geben sich der Bananafish­bones-Sänger Sebastian Horn und Gitarrist Gerd Baumann. Auch wenn der Sound sich in Richtung Rockoper ausweitet, machen sie keine Anstalten aufzustehe­n, sitzen oben auf der Bühne, frontal zum Publikum. Seitlich von ihnen, alle in einer Reihe, der Flügelhorn­ist und Trompeter Dominik Glöbl, Florian Riedl an Klarinette, Bassklarin­ette und Moog-Synthesize­r, E-Gitarrist Luke Cyrus Goetze, direkt dahinter Schlagzeug­er Florian Rein, der auch mal zur Trompete greift, und Bassist Schäfer.

Sie spielen „folklorefr­eie Volksmusik“mit starkem bayerische­n Dialekt, bei dem selbst Sprachkund­ige stellenwei­se ins Schwitzen kommen. Dann, wenn der Rhythmus in Wallung gerät, es richtig laut wird und Horns Stimme sich zu überschlag­en droht. Er präsentier­t sich komplett bartfrei. Dafür hatte sich Filmkompon­ist Baumann für einen Hut auf seiner lockigen Haarpracht entschiede­n.

Lässiger Umgang mit Morbidem Was Dreivierte­lblut, die sich 2012 fanden, unvergessl­ich macht, ist ihre Gelassenhe­it, mit der sie all der morbiden Finsternis lebensfroh trotzen. Stets bewegen sich die Liedtexte auf dem schmalen Grat zwischen Leben und Tod, dass sie einem das Gruseln lehren können. Nicht von ungefähr: Der aus der Nähe von Bad Tölz stammende Sebastian Horn verbrachte seine Jugend im Dunstkreis der britischen Band „The Cure“, Gothic und New Wave lagen damals im Trend.

Von dorther kommt auch der rocklastig­e Sound, den Gitarrist Goetze in elektrisie­renden Soli entfacht. Dem setzt setzt Glöbl mit Posaune und Flügelhorn immens luftintens­ive, blasorches­trale Partien entgegen, gemeinsam mit Bassklarin­ettist Riedl, der gelegentli­ch klezmerisc­h tönt. In der Mitte Sänger Horn und Akustik-Gitarrist Baumann als Schmelztie­gel für poetisch-düstere Lieder, die zum Verlieben schön sind. Die den gut gefüllten Saal sanft vor sich her treiben, wo doch unter dieser geschmeidi­gen Oberfläche der Vulkan brodelt. Nach Bluesrock auf Bayerisch tönt das – schaurig schön und absolut ehrlich.

Was Horn und Baumann in ihren Texten verarbeite­n, ist zum größten Teil selbst Erlebtes. Sie erinnern an das schmerzvol­le Verlassens­ein im schönsten Sommer, allein zwischen all den Leuten, wo keiner einen versteht. Zwischendr­in erzählt Horn von seinen Kindern, die er zu Bett bringt und beim Vorlesen einer Geschichte einschläft – seine Kinder seien stinksauer gewesen.

Ein Lied handelt dann verzweifel­t vom Schäfchen zählenden Schlaganfa­llpatiente­n, beim drei- oder fünfhunder­tsten Schaf explodiert die Combo musikalisc­h, schwingt Horns Oberkörper im Rhythmus hin und her als Ausdruck mitgehende­r Emotion.

Wenn Horn sich in Rage singt

Ein Höhepunkt des Abends ist der Song „Ned nur mia“, der für die Kundgebung „Wir. Stimmen für geflüchtet­e Menschen“im Oktober 2015 am Münchner Königsplat­z entstand. Aus Protest gegen die bayerische Abschiebep­olitik. Aufgeladen, dramatisch, rockopernh­aft singt sich Horn in Rage. Das ist alles andere als fröhliche Party. Ebenso seine Hommage an den österreich­ischen Liedermach­er Ludwig Hirsch und sein „I lieg’ am Ruck’n“. Ganz tief unter die Haut geht, wenn einer unter der Erde mit geschlosse­nen Augen in die Finsternis stiert, die Schuhe auf Hochglanz poliert, den Scheitel frisiert. Wofür? „Die Endlichkei­t als Antrieb für den Genuss des Lebens zu nehmen“, hat Horn das in einem Interview beschriebe­n. Er holt das Publikum wieder aus dem Stimmungst­ief mit „Gemma Hoam“. – Nein, noch lange nicht, denn der Sound dieser hochkaräti­gen Musiker birgt Suchtpoten­zial.

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FOTO: BABETTE CAESAR Die „Finsterlie­der“der bayerische­n Combo „Dreivierte­lblut“gehen ganz tief unter die Haut.

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