Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Schon auch ein bisschen der verdiente Lohn“
Bundestrainer Andreas Bauer über die Stärke seiner Skispringerinnen, den Teamwettbewerb und den Weltcup in Hinterzarten
Die Vorfreude ist groß: An diesem Wochenende starten gleich elf deutsche Skispringerinnen – das aktuelle Weltcup-Sextett und fünf aus der nationalen Gruppe – beim Heim-Weltcup in Hinterzarten. Dort geht das Frauen-Skispringen am Samstag einen richtungsweisenden Schritt: Erstmals im Weltcup wird ein Teamwettbewerb ausgetragen. Am Sonntag folgt im Schwarzwald die Einzel-Konkurrenz. Nach dem geschlossen starken Auftritt zum Saisonauftakt (herausragend: Doppelsiegerin Katharina Althaus) hofft Bundestrainer Andreas Bauer, „dass die Mädels das in Hinterzarten ähnlich auf die Reihe kriegen“. Im Gespräch mit Joachim Lindinger erklärt der 53-jährige Oberstdorfer auch, weshalb ihn Olympiasiegerin Carina Vogt gleich am Anfang des Olympiawinters überrascht hat.
Was unterscheidet die Katharina Althaus, die in Lillehammer erst Zweite, dann zweimal Erste geworden ist, von der Katharina Althaus, die die vergangene Saison auf Gesamtweltcup-Rang vier beendet hat?
Erst einmal möchte ich sagen, dass wir dem norwegischen Skiverband sehr dankbar sind, dass er dieses „Lillehammer Triple“ausgerichtet hat. Es war für uns alle eine sehr, sehr gute Wettkampfform, dass man zwei Springen auf der kleinen Schanze macht und die besten 30 dann noch auf die Großschanze dürfen – vor allem unter dem Aspekt, dass wir vermehrt die Großschanze springen wollen. Das wollen eigentlich alle Skispringerinnen. Katharinas Ergebnisse erklären sich so, dass sie einfach eine kontinuierliche, stabile Entwicklung genommen hat. Ein Leistungssportler braucht in meinen Augen immer so zehn bis zwölf Leistungssportjahre, zehn bis zwölf Jahre Hochleistungstraining, um wirklich in die Weltspitze zu kommen. Und da ist Katharina jetzt gerade so angekommen. Das war auch eine normale, eine altersgemäße Entwicklung, Katharina ist jetzt 21. Auch ganz wichtig: Sie ist verletzungsfrei durch den Sommer gekommen, sie konnte jede Trainingseinheit uneingeschränkt mitmachen.
Und sie hat in Courchevel einen Sommer-Grand-Prix gewonnen – sicher auch kein Schaden fürs Selbstbewusstsein?
Bei ihr war’s lange Zeit fast eine mentale Hürde, aufs Podest zu springen. Im Januar in Sapporo wurde sie dann Dritte, das erste Mal in ihrer Karriere. Da ist dann wirklich ein großer Stein von ihr gefallen. Sie hat gemerkt: Sie kann das. Und dann hat sie drei Wochen später den ersten Weltcup-Sieg gefeiert, in Ljubno. Sie war da als Führende nach dem ersten Durchgang oben, sie war auch in Courchevel nach dem ersten Durchgang vorne. In Lillehammer war sie jetzt im ersten Wettkampf auch als Führende oben, ist dann Zweite geworden. Im zweiten Wettkampf war sie wieder Führende, hat’s dann nach unten gebracht, im dritten Wettkampf wieder. Das hat ihr Selbstvertrauen in die Richtung aufman gebaut, dass sie genau weiß – auch wenn sie als Führende oben sitzt: Wenn sie ihre Technik sauber rüberbringt, dann ist ihr Sprung einfach so gut, dass sie ganz vorne sein kann. Diesen Schritt, diesen mentalen Schritt auch, den hat sie jetzt getan.
Carina Vogts Schritt war nicht weniger erfreulich: Verletzungsbedingt acht Wochen Schanzenabstinenz im Sommer – dann wird sie in Lillehammer auf Anhieb Dritte ...
Wir wären eigentlich zufrieden gewesen, wenn Carina irgendwo in die Top-Ten, Top-Acht gekommen wäre – dass sie dann auf dem Podest steht, das zeigt wieder, welche WeltklasseAthletin sie ist. Dass sie genau im ersten Wettkampf der Saison, im ersten Weltcup, die Telemark-Landung setzt – zum ersten Mal wieder seit Anfang August! Das Knie war lädiert (schwere Gelenkzerrung; d. Red.), da macht beim Trainieren erst mal keinen Telemark, das traut man sich erst mal nicht. Und dann springt sie eine große Weite, setzt den Telemark und bekommt dreimal die Note 18. Das zeichnet Carina aus, dass sie auf den Punkt alles rausholt, alles abrufen kann. Wir müssen sie noch ein kleines Stück stabiler und konstanter machen, dann hätten wir eine zweite Athletin, die ganz nach vorne springen kann. Und: Svenja Würth, die sollte man auch nicht vergessen.
Sechste, Fünfte und Siebte war sie zum Auftakt ...
Sie ist in Reichweite, nicht weit vom Podest entfernt. Und: Ihre Sprünge waren auch noch nicht ganz sauber in Lillehammer, da haben wir noch die eine oder andere Reserve gesehen.
Zwei Siege, ein zweiter, ein dritter Rang, sechs weitere Top-Ten-Plätze: Sie sind seit Winter 2011/12 Bundestrainer, gab es da schon einmal einen ähnlichen Saisonstart?
Wir haben schon auch immer wieder mal sehr gut angefangen in Lillehammer, aber wir haben noch nie mit so einer mannschaftlichen Geschlossenheit angefangen. Wir haben jetzt, nach dem ersten Weltcup-Wochenende, drei Mädels in den Top-Acht im Gesamtweltcup oder fünf in den Top-15. Auch mit Anna Rupprecht, die die ersten Wettkämpfe nach ihrem Kreuzbandriss gesprungen ist, war ich sehr zufrieden, dass sie, mit Platz 24 und 25, zweimal ganz solide in die Punkteränge kam. Das ist mir jetzt noch selten passiert: dass man als Bundestrainer dann dasteht und nach so einem Wochenende sagen kann: Es war jedes Mädel, das man an den Start gebracht hat, sehr, sehr gut.
Da kommt der Teamwettbewerb, der beim Heim-Weltcup in Hinterzarten am Samstag Premiere haben wird, wohl genau richtig. Für den müssten ja eigentlich – in Katharina Althaus, Carina Vogt und Svenja Würth – drei Viertel Ihrer Mannschaft schon stehen?
Richtig. Die drei werden gesetzt sein, und die Vierte werden wir am Freitag nach Training und Qualifikation bestimmen.
Das neue Wettkampf-Format verlangt ein Breit-Aufgestellt-Sein in der Spitze. Gut fürs deutsche Frauen-Skispringen 2017/18?
Ja, denn wir haben da nicht geschlafen. Es war immer mein Augenmerk als Bundestrainer, mich sehr stark um den Nachwuchs mitzukümmern, mich da einzumischen, dass da einfach die Konzepte stimmen, dass da auch gut gearbeitet wird. Und das ist jetzt irgendwo schon auch ein bisschen der verdiente Lohn. Bei der Deutschen Meisterschaft Anfang November in Oberstdorf, da hatten wir auf einer Hill-Size-106-Schanze 23 Athletinnen am Start. Das gibt’s wahrscheinlich noch in Japan, aber dann, glaub’ ich, nicht mehr.
Am Sonntag folgt auf der Adlerschanze das Einzelspringen – sicher
begleitet von einer großen öffentlichen Erwartungshaltung. Wann fällt die Hinterzarten-Bilanz des Bundestrainers positiv aus?
Wir haben eine nationale Gruppe am Start: fünf Springerinnen, weil wir leider zwei Verletzte haben. Ich glaube schon, dass die eine oder andere dieser fünf das Zeug dazu hat, in die Weltcup-Punkte zu springen, sprich: unter die besten 30. Und die sechs, die in Lillehammer dabei waren, da denke ich, dass sie ihre Technik und ihre Athletik wieder so rüberbringen, wie sie’s dort gezeigt haben. Man kann natürlich nicht davon ausgehen, das Katharina Althaus jetzt Seriensiegerin wird. Es wird sicher wieder eine enge Entscheidung werden gegenüber den beiden Japanerinnen Yuki Ito und Sara Takanashi. Auch Maren Lundby aus Norwegen ist natürlich nicht zu vergessen, Carina Vogt, Irina Awwakumowa aus Russland und Svenja Würth. Wir haben jetzt schon so sechs, sieben Mädels, von denen an einem guten Tag jede gewinnen kann. Das macht unseren Sport interessanter. Jetzt geht man an den Start und sagt: „Okay, an einem guten Tag können wir gewinnen, aber wir müssen immer wieder unsere optimale Leistung abrufen.“Das hoffe ich schon, dass die Mädels das in Hinterzarten wieder auf die Reihe kriegen, ähnlich wie’s in Lillehammer war.
Auch Agnes Reisch wird in Hinterzarten zur nationalen Gruppe gehören. Wo steht die 18-Jährige vom WSV Isny im Augenblick?
Die Agnes Reisch hat schon das Zeug, dass sie reinspringen kann unter unsere ersten sechs. Allerdings: Gerade wenn die Mädels so in der Pubertät stecken, sind oftmals auch größere Leistungsschwankungen da. Die hat die Agnes auch hinter sich. Da muss man als Trainer einfach Geduld haben. Jetzt scheint mir schon alles etwas stabiler geworden zu sein; sie arbeitet sich Stück für Stück an die TopSechs ran. Bei den Deutschen Meisterschaften war sie als Siebte bereits sehr knapp dran. Die Agnes Reisch ist für mich auf alle Fälle eine, die in Hinterzarten in die Weltcup-Punkte springen kann. Und für die weiteren Weltcup-Springen, von Anfang Januar an, da sind noch Plätze zu vergeben.
Der Zeitplan für Hinterzarten Fr.: 16 Uhr Training, 18 Uhr Qualifikation für Sonntag.
Sa.: 11.30 Uhr Probedurchgang, 12.30 Uhr Teamwettkampf.
So.: 14.30 Uhr Probedurchgang, 15.30 Uhr Einzelwettkampf.
Die deutschen Springerinnen: Katharina Althaus, Gianina Ernst (beide SC Oberstdorf), Anna Rupprecht, Carina Vogt (beide SC Degenfeld), Juliane Seyfarth (WSC 07 Ruhla), Svenja Würth (SV Baiersbronn); nationale Gruppe: Selina Freitag (SG Nickelhütte Aue), Luisa Görlich (WSV 08 Lauscha), Ulrike Gräßler (VSC Klingenthal), Agnes Reisch (WSV Isny), Ramona Straub (SC Langenordnach).