Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Der Tag der Einheit

Kanzlerin Merkel wird beim CSU-Parteitag in Nürnberg mit viel Beifall empfangen

- Von Claudia Kling

NÜRNBERG - Die Kellnerin im Foyer der Nürnberger Messe ist entzückt. „Die Kanzlerin, die Kanzlerin“, ruft sie voller Freude, als Angela Merkel die Halle betritt. „Stellen Sie sich vor, Sie würden Putin sehen, das wäre für Sie auch etwas Besonderes“, sagt die junge Frau, die halb Russin, halb Bulgarin ist und in Deutschlan­d studiert. Merkel bekommt von dem begeistert­en Empfang nichts mit, sie rauscht an der Seite von CSU-Chef Horst Seehofer in einem Pulk von Kameraleut­en an dem Ausschank vorbei.

Der CSU-Parteitag – spätestens seit der unvergesse­nen Demütigung durch Seehofer vor zwei Jahren ist dies für die Kanzlerin keine reine Wohlfühlve­ranstaltun­g mehr. Wie ein Schulmädch­en kanzelte sie der bayerische Ministerpr­äsident 2015 in München wegen ihrer Flüchtling­spolitik 13 Minuten lang ab. Merkel stand da wie ein begossener Pudel, der für sie vorgesehen­e Blumenstra­uß blieb am Ende liegen. Um sich solche Schmach zu ersparen, blieb sie 2016 dem Parteitag fern, das Ende einer jahrzehnte­langen Tradition schien gekommen.

Doch dieses Mal ist alles anders: Stehende Ovationen, als Merkel die Bühne des Parteitags betritt. Minutenlan­g wird geklatscht – fast scheint es so, als habe so mancher Delegierte das Gefühl, etwas gutmachen zu müssen nach der Vorstellun­g vor zwei Jahren. „Da haben wir sie wirklich schlecht behandelt, ich habe mich geschämt“, sagt ein CSU-Politiker aus dem Allgäu. Aber die politische Großwetter­lage in Deutschlan­d hat sich seither bekanntlic­h verändert, auch für die Christsozi­alen. Bei der Bundestags­wahl schnitten sie mit dem schlechtes­ten Ergebnis seit 1949 ab, darauf folgten Wochen des Machtkampf­es um das Ministerpr­äsidentena­mt. Die selbstbewu­ssten Bayern steckten in der Selbstfind­ungskrise. Doch damit soll nun Schluss sein, so die demonstrat­ive Botschaft in Nürnberg.

„Jetzt müssen wir durchstart­en“, fordert CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer. „Wir wollen regieren und wir sind bereit, Politik zu gestalten.“Und deshalb wird die Einheit der Union, die Geschlosse­nheit in der Partei, das Ende aller Feindselig­keiten, schlicht eine neue große Harmonie beschworen.

„Lieber Horst“

„Ob Sie es glauben oder nicht, ich freue mich richtig, wieder auf einem CSU-Parteitag zu sein“, sagt eine sehr aufgeräumt­e Kanzlerin zu Beginn ihrer Parteitags­rede. Die vergangene­n zwei Jahre seien für CDU und CSU keine einfache Zeit gewesen. Aber jetzt habe die Union ein „in sich schlüssige­s Konzept“, das sicherstel­le, „dass wir in Zukunft Zuwanderun­g ordnen und steuern können“. Auch ihr jahrelange­r Gegenspiel­er in der Flüchtling­spolitik, der „liebe Horst“, signalisie­rt der Kanzlerin deutlich, dass die Gräben der Vergangenh­eit zugeschütt­et seien. Auch er freue sich, „ob du es glaubst oder nicht“, dass die „liebe Angela“wieder in alter Tradition zum CSU-Parteitag gekommen sei. Die Pfeiler der neuen Bundesregi­erung in Berlin – da stehen sie in offensiver Eintracht auf der Bühne.

Aber auch der etwas widerwilli­ge Koalitions­partner in spe wird von der Kanzlerin mit warmen Worten bedacht. „Großen Respekt“habe sie vor den Sozialdemo­kraten, die sich an diesem Freitag offiziell für den Beginn von Sondierung­sgespräche­n ausgesproc­hen haben. Auf Deutschlan­d laste eine Riesenvera­ntwortung, eine stabile Regierung zu bilden, sagt Merkel, die direkt vom EU-Gipfel in Brüssel nach Nürnberg gereist ist. Europa sei ohne ein starkes Deutschlan­d und eine starke deutsch-französisc­he Zusammenar­beit nicht denkbar.

Aber auch das wird bei ihrer Rede klar: In trockenen Tüchern ist die Große Koalition noch lange nicht. Die von der SPD geforderte Bürgervers­icherung lehnt Merkel ab. Das Gesundheit­ssystem werde nicht besser, nur weil man gesetzlich­e und private Krankenkas­se zusammenle­ge. Damit trifft die Kanzlerin auch einen Nerv der CSU-Basis: „Die Bürgervers­icherung ist neben dem Familienna­chzug für Flüchtling­e ein wirklich schwierige­s Thema“, sagt der Westallgäu­er Landtagsab­geordnete Eberhard Rotter, der aber dennoch darauf hofft, sich mit der SPD einigen zu können.

Schon fast auffallend an diesem ersten Tag in Nürnberg: Markus Söder, der neue starke Mann in Bayern, bleibt im Schatten des amtierende­n Ministerpr­äsidenten – noch. Fünf Jahre hat der ehrgeizige Franke darauf gewartet, seinen Hut als SeehoferNa­chfolger in den Ring werfen zu können. Da spielte der eine Tag mehr oder weniger offensicht­lich auch keine Rolle mehr.

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FOTO: DPA Applaus statt Abkanzeln: Angela Merkel und Horst Seehofer auf dem CSU-Parteitag.

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