Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Mit wenig Mitteln über den Berg helfen
Das Kinder- und Frauen-Hilfsprojekt „CCARA“wirkt an sozialen Brennpunkten in Indien
NEUTRAUCHBURG - Selbst 13 Jahre später hallen bei Heike Maurus die schockierenden Ereignisse nach, die sie, ihr Mann Roman und ihre beiden damals vier und acht Jahre alten Kinder mit eigenen Augen verfolgt haben und ihrem Leben eine einschneidende Wendung bescherten: „Wir feiern jedes Weihnachten Familiengeburtstag“, erzählt die heute in Neutrauchburg lebende zweite Vorsitzende und Projektleiterin des Indien-Hilfsprojekts „CCARA e.V.“.
Auf Einladung eines befreundeten Inders hatte sich die Familie 2004 spontan zu einem Urlaub auf dem Subkontinent entschlossen. Was ihnen das Leben rettete war, dass an der Südküste Indiens alle Hotelzimmer am Strand ausgebucht waren und sie zunächst ein Innenstadtquartier bezogen. „An unserem ersten Urlaubstag, dem zweiten Weihnachtsfeiertag, waren wir nicht am Strand, sondern im Gottesdienst“, erinnert sich Maurus. Es war just in jenen Minuten, als der verheerende Tsunami an den Küsten des Indischen Ozeans vermutlich 230 000 Menschen in den Tod riss und weitere 1,7 Millionen obdachlos machte.
Als sie wenig später die Verheerungen in Augenschein nahmen, „konnten wir nicht mehr Urlaub machen und haben beschlossen, dort Kindern zu helfen“, berichtet Maurus weiter. Der indische Freund bot sich als Partner vor Ort an, es war die Geburtsstunde der „Charitable Child Assistance Relief and Accommodation – Hilfe für Kinder in Not“, wofür die Abkürzung CCARA steht. Vom ursprünglichen Plan, TsunamiWaisen zu unterstützen, wofür in Chennai zunächst ein Haus für acht Kinder angemietet wurde, nahmen die
Maurus’ nach drei Jahren Abstand: „Der Staat hat uns eher blockiert.“
Viel dramatischer erlebten sie bei Besuchen „die Not auf dem Land bei den Dalits, den Unberührbaren“, schildert Maurus. Dort seien – obwohl die hinduistische Gesellschaftsordnung der Kasten offiziell abgeschafft ist – „allen voran Frauen und Mädchen teilweise weniger wert als eine Ziege“. Diesen Menschen zu helfen, wurde fortan zum Schwerpunkt von CCARA: „Unterm Strich sind es heute 500 Kinder, die jeden Monat von uns versorgt werden, vor allem durch Bildungseinrichtungen und Familienhilfe in armen Dörfern und in Slum-Regionen“, sagt Maurus. Und es sind nicht nur Kinder.
Essen und Bildung
Jüngestes Projekt ist die „CCARASlum-School“in Jaipur, der über drei Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt des Bundesstaates Rajasthan. Dank der Unterstützung aus Deutschland – Bildungspatenschaften und -gutscheinen in Höhe von 120 Euro pro Kind und Jahr – können dort aktuell gut 50 Kinder lernen und essen. „Das ist ein großer Luxus, die Plätze sind begehrt, wir haben eine riesenlange Warteliste“, schildert Maurus. Die wurde nur unwesentlich kürzer, als 2016 ein Stockwerk aufgesattelt werden konnte – für die aus westlicher Sicht marginale Summe von 8000 Euro. Aber: „Wir haben für die Schule noch keine regelmäßigen Spender – je mehr wir hätten, desto mehr Kinder könnten wir mit Essen und Bildung versorgen.“
Dalit-Kinder, die nicht zur Schule gehen, helfen von Sonnenauf- bis -untergang ihren Eltern beim Müllsammeln, womit sie zum erbärmlichen Lebensunterhalt beitragen. „Diese Kinder wollen wir von der Straße holen“, umreißt Maurus das Ziel. Projektpartner vor Ort stünden Projektleiterin Heike Maurus im Dialog mit den Eltern, fast ausschließlich Analphabeten, um den Wert von Bildung und damit Hoffnung auf ein besseres Leben zu vermitteln. Hauptgrund für die Eltern, den Kindern einen Schulbesuch zu erlauben, sei das Essen.
Brennpunkte: Lepra-Kolonien Nach dem Patenschafts-Prinzip und mit vielen Einzelspenden wurden ab 2007 auch zwei Kinderheime im Bundesstaat Tamil Nadu aufgebaut, wo jeden Monat 150 Kinder versorgt werden, 80 Prozent davon Mädchen. „Wo die Kinder herkommen, sind soziale Brennpunkte – zum Beispiel aus Lepra-Kolonien oder Zwangs- und Kinderarbeit“, weiß Maurus von ihren vielen Besuchen. Zwar habe Indiens Regierung die Krankheit offiziell als ausgerottet erklärt. Angesichts der Bevölkerung von über 1,3 Milliarden Menschen treffe dies im Detail aber nicht zu: „Im Umfeld unserer Heime leben rund 1000 Menschen mit Lepra, sie sind Ausgestoßene und dürfen nicht mal den Bus benutzen.“
Neben den Kinderheimen – dazu einem Witwenheim und vier Kindergärten, die mit Einzelspenden aufgebaut werden konnten und für die Maurus ebenfalls Paten sucht – wirkt CCARA hier mit Einzelprojekten: Die Frau eines Projektleiters vor Ort ist Ärztin, die „auf CampingTischen in den Slums“medizinische Versorgung vor Ort anbietet. Im „Schafprojekt“werden Tiere als rudimentäre Ernährungshilfe an „Lepra-Familien“vergeben. Und für gerade einmal 80 Euro könne einer jungen Frau, zumeist verwitwet, eine Nähmaschine gekauft werden, „mit der sie eine Existenz gründen und sich selbst versorgen kann“, schildert Maurus.
Bildung und Versorgung vor Ort in den Slums, Schulen und Kinderbetreuung in Verbindung mit Essen, Hilfe zur Selbsthilfe und dies alles durchaus auch mit dem Hintergrund christlicher Nächstenliebe – so lässt sich die Arbeit von CCARA in Indien zusammenfassen. Um sie zu gewährleisten, vielleicht weiter auszubauen, „dazu reicht oft schon ein bisschen mehr, damit die Menschen über den Berg sind“, sagt Heike Maurus. Sie, ihr Mann als erster Vorsitzender und die Projektpartner vor Ort wissen, dass sie damit auch anderen Familien so etwas wie einen neuen Geburtstag bescheren.
„Wir haben für die Schule noch keine regelmäßigen Spender – je mehr wir hätten, desto mehr Kinder könnten wir mit Essen und Bildung versorgen.“