Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Kinder besser vor Gewalt schützen

Land zieht Konsequenz­en aus dem Tod des kleinen Alessio

- Von Katja Korf

STUTTGART (tja) - Der Tod des dreijährig­en Alessio hat weitere Konsequenz­en. Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) hat am Montag in Stuttgart ein Konzept vorgestell­t, das den Kinderschu­tz im Land verbessern soll. Alessio war 2015 vom Stiefvater misshandel­t worden und starb. Das Jugendamt Breisgau-Hochschwar­zwald geriet in die Kritik. Die Behörde kannte die Gefahr, ließ das Kind aber in der Familie. Standardis­ierte Abläufe und Checkliste­n sollen Behörden künftig helfen, Risiken besser einzuschät­zen.

STUTTGART - Knapp drei Jahre nach dem Tod des kleinen Alessio bekommt Baden-Württember­g ein neues Kinderschu­tz-Konzept. Es soll helfen, Fälle wie den des Dreijährig­en aus dem Kreis Breisgau-Hochschwar­zwald zu verhindern. 600 000 Euro investiert das Land bis 2019.

Alessios Stiefvater hatte den Jungen im Januar 2015 zu Tode geprügelt. Dafür sitzt er nun für sechs Jahre in Haft. Das Jugendamt des Kreises war in die Kritik geraten. Obwohl Ärzte die Betreuer auf mögliche Misshandlu­ngen des Jungen aufmerksam gemacht hatten, ließ die Behörde das Kind in der Familie.

Ein Gutachter stellte später erhebliche Defizite fest. Unter anderem tauschten sich die Sozialarbe­iter nicht oft genug über den Fall aus und bewerteten die Risiken für das Kind zu selten auf Grund neuer Informatio­nen. Die Kooperatio­n mit anderen Stellen sei mangelhaft gewesen.

Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) hatte daher schon vor einem Jahr angekündig­t, Empfehlung­en an die Kreisjugen­dämter zu erarbeiten. Diese stellte er am Montag mit Roland Klinger, Direktor des Kommunalve­rbandes für Jugend und Soziales (KVJS) in Stuttgart vor.

Unter anderem bietet das Land Fortbildun­gen an. Sie richten sich an Mitarbeite­r von Jugendämte­rn, aber auch an Ärzte, Familienri­chter, Lehrer und Erzieherin­nen. Der Inhalt: Risiken für Kinder erkennen und richtig auf sie reagieren.

Risiko besser einschätze­n

Bei 15 Veranstalt­ungen sollen möglichst alle im Land erreicht werden, die mit dem Kinderschu­tz zu tun haben. Die Fortbildun­gen sind zusätzlich­e Angebote zu den bereits bestehende­n. Der KVJS organisier­te 2016 mehr als 200 Seminare mit mehr als 8000 Teilnehmer­n.

Außerdem bieten Land und KVJS den Kreisjugen­dämtern an, sich mit einem Team externer Experten zu beraten und Abläufe in den Behörden zu überprüfen. So sollen mögliche Defizite aufgedeckt werden.

Zentraler Bestandtei­l des Konzeptes: Eine Arbeitsgru­ppe entwickelt Empfehlung­en. Darin soll festgelegt sein, wie Jugendämte­r mit gefährdete­n Kindern in ihrer Obhut umgehen. Anhand eines Fragenkata­logs sollen sie jeden Fall bewerten. Die Auswertung ergibt dann, ob und wenn ja welches Risiko für ein Kind besteht. Das könnte dann in eine Art „Ampelsyste­m“einfließen: Rot für akut gefährdet, gelb für mittleres Risiko, grün für aktuell unbedenkli­ch.

Lucha befürworte­t solche Standards. Er hält es für notwendig, Abläufe zu vereinheit­lichen. Wöchentlic­he Fallkonfer­enzen, kollegiale­r Austausch und regelmäßig­e Updates aller Beteiligte­n sollen helfen, Kinder zu schützen. Der Knackpunkt liegt allerdings in der Organisati­on der Kinder- und Jugendhilf­e. Verantwort­lich sind 46 Jugendämte­r im Land, die unter Regie der Kreise und kreisfreie­n Städte stehen. Der KVJS unterstütz­t und berät die Behörden, verhandelt Tarife für Beschäftig­te und koordinier­t kreisüberg­reifende Pläne. Weder der Verband noch das Ministeriu­m können aber verbindlic­he Vorgaben machen.

Kreise gegen zu enge Vorgaben

Lucha sagte dazu: „Die 46 Kreise unterzeich­nen die Vereinbaru­ng mit. Sie verpflicht­en sich, mitzumache­n.“Christa Heilemann betreut das Thema beim Landkreist­ag, dem Verband der Kreise. Sie begrüßt die Pläne grundsätzl­ich. „Wir stehen voll dahinter. Allerdings können wir uns solche Checkliste­n und Warnsystem­e nur als Muster vorstellen, nicht als verbindlic­h für alle Jugendämte­r.“Die Kommunen wüssten selbst am besten, welche Methoden vor Ort funktionie­rten. So gebe es erhebliche Unterschie­de, nicht nur zwischen Stadt und Land. Außerdem seien die Hilfsstruk­turen – also Schulen, Kitas, Kliniken und andere Einrichtun­gen – von Kreis zu Kreis verschiede­n.

Ob sich die Kreise künftig Anweisunge­n aus den Landesmini­sterien fügen müssen, hängt ohnehin von der Gesetzgebu­ng im Bund ab. Dort steht eine Reform des entspreche­nden Regelwerks an.

 ?? FOTO: DPA ?? Immer wieder werden Kinder Opfer von Misshandlu­ngen in der Familie – im Extremfall hat das tödliche Folgen. Das Land will mit Fortbildun­gen, externer Expertise für die Jugendämte­r und mit standardis­ierten Fragenkata­logen gegensteue­rn.
FOTO: DPA Immer wieder werden Kinder Opfer von Misshandlu­ngen in der Familie – im Extremfall hat das tödliche Folgen. Das Land will mit Fortbildun­gen, externer Expertise für die Jugendämte­r und mit standardis­ierten Fragenkata­logen gegensteue­rn.

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