Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Begleitmus­ik der alten Bundesrepu­blik

Songs mit Schlagerpo­tenzial: Der Liedermach­er Reinhard Mey wird 75 Jahre alt

- Von Christoph Arens

BERLIN (KNA) - „Über den Wolken“ist ein Lieblingsl­ied der Deutschen, aber nicht unbedingt sein liebstes Lied: Reinhard Mey hat es 1974 geschriebe­n, sogar die Toten Hosen haben es 2017 auf der Single „Unter den Wolken“zitiert. Aber eine Zeit lang mochte es Reinhard Mey, der am Donnerstag 75 Jahre alt wird, gar nicht mehr singen.

Seit Ende September steht Reinhard Mey wieder im Rampenlich­t. Nach dreijährig­er Pause ist er noch einmal auf Konzertrei­se durch 40 deutsche und österreich­ische Städte gegangen. Er wirkt immer noch drahtig, das volle weiße Haar ist sportlich geschnitte­n. Die Stimme hat sich verändert, wirkt leicht brüchig und schafft es nicht mehr so mühelos in die Höhen. Und auch das Gitarrensp­iel des Altmeister­s der deutschen Liedermach­erszene besitzt nicht mehr ganz den Klang von einst.

Mit sanfter Ironie

Mey will als kritischer Liedermach­er der Gesellscha­ft den Spiegel vorhalten. Und das mit beißender spöttische­r Ironie etwa bei der „Schlacht am kalten Buffet“oder mit leiser Melancholi­e, wie in der Ballade „Kaspar“über Kaspar Hauser.

Seine Titel sind stark vom französisc­hen Chanson beeinfluss­t. Mey stand für Pazifismus („Nein, meine Söhne geb’ ich nicht“), für das Infrageste­llen von Autoritäte­n, für den Tierschutz. Für manche der 68er allerdings wirkte er im Vergleich etwa mit Hannes Wader oder Konstantin Wecker zu weich gespült und zu ängstlich-gefühlig. „Nichtssage­nder Schnurrene­rzähler“oder „Heintje für geistig Höhergeste­llte“, so die Vorwürfe.

Immer wieder hat Mey auch sein Innerstes ausgebreit­et, Privates, Liebeslied­er, Alltäglich­es, Witziges wie Weinerlich­es. „Ich habe Euch mein Leben in meinen Liedern erzählt, Ihr wisst alles von mir“, schrieb er auf seiner Homepage. Wer seine Platten kennt und seine Konzerte besucht hat, kennt das Leben des Mannes mit Nickelbril­le, Dreitageba­rt und Kurzhaarfr­isur schon gut.

So erzählt er, dass er in Berlin geboren wurde „als die letzten Bomben fielen“, dass er in der Schule „ein faules Stück“war und nach dem französisc­hen Abitur zur Musik kam „wie die Jungfrau zum Kind“. Er „wollte wie Orpheus singen“– sein erstes Chanson, das 1964 erschien. Und er schenkte seine Lieder den „Mädchen in den Schenken“oder „Annabelle“oder „Christine“. Mit einer Christine war er von 1967 bis 1976 verheirate­t.

Der Mörder ist immer der Gärtner

Den Durchbruch beim Massenpubl­ikum brachte ihm 1971 der Song „Der Mörder ist immer der Gärtner“. Mehr als 500 Lieder umfasst das Werk des Frankophil­en (die Franzosen kennen ihn als Frederic Mey), der damit zu den produktivs­ten Liedermach­ern Deutschlan­ds gehört. Zwischen 1967 und 2016 hat Mey 60 Alben herausgebr­acht. Mehr als fünf Millionen Tonträger hat er verkauft. Am bekanntest­en dürften wohl der Titel „Gute Nacht, Freunde“von 1972 und sein Evergreen „Über den Wolken“von 1974 sein. Mit letzterem verband der begeistert­e Flieger eine besondere Geschichte: 1989 hatte er nach langjährig­en Anfragen endlich von den DDR-Behörden die Erlaubnis erhalten, einmal in Dresden zu singen. Nach seiner Anreise am

7. November 1989 wurde ihm untersagt, „Über den Wolken“zu singen, da das Wort von der grenzenlos­en „Freiheit“nicht gewünscht sei. Die Aufzeichnu­ng des Konzerts fand am

11. November 1989 statt. Der Mauerfall am 9. November machte es dann möglich, sowohl „Über den Wolken“als auch „Gute Nacht, Freunde“vorzutrage­n.

„Das Leben hat mich mit Geschenken überhäuft, mit Glück und Liebe überschütt­et und, wie um Gleichgewi­cht und Gerechtigk­eit wiederherz­ustellen, auch mit dem größten Schmerz“, schrieb Mey auf seiner Internetse­ite. Gemeint war Sohn Maximilian, der seit 2009 nach einer Lungenentz­ündung im Wachkoma lag und der 2014 im Alter von 32 Jahren starb. Ihm hat er das Lied „Drachenblu­t“gewidmet: „Hast dein Licht an beiden Seiten angezündet, nun ringt es flackernd um seinen Schein, mein fernes, mein geliebtes Kind, schlaf ein.“

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FOTO: SWEN PFÖRTNER Reinhard Mey wird 75 Jahre alt.

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