Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Ein Stück Garnisonsgeschichte geht zu Ende
Die Bundeswehr-Reiterabteilung Weingarten löst sich nach vielen Jahrzehnten auf
WEINGARTEN - Sie sind beim Kinderumzug des Welfenfestes mitgeritten, haben mit legendären Reitermehrkämpfen bis zu 3000 Besucher nach Nessenreben gelockt und sich bis zuletzt für eine gute Jugendarbeit eingesetzt. Die Bundeswehr-Reiterabteilung hatte über Jahrzehnte hinweg einen festen Platz im städtischen Leben Weingartens. Doch knapp 50 Jahre nach der Gründung und 37 Jahre nach der Eintragung als Verein wird sich die in der Kaserne gegründete Reiterabteilung auflösen beziehungsweise dem Reitund Fahrverein Waldburg anschließen. „Da geht auch die Geschichte der Garnison Weingarten zu Ende. Jetzt bleibt nur noch der deutschfranzösische Freundeskreis“, sagt Martin Stellberger, der sich als sogenannter Liquidator um die Auflösung der Reiterabteilung kümmert.
Mehr als ein halbes Jahr, seit Anfang 2017, habe man immer wieder über die Möglichkeiten diskutiert. Im September sei dann die endgültige Entscheidung gefallen, den Verein mit zuletzt 54 Mitgliedern aufzulösen. Ein Drittel wird sich nun den Waldburgern anschließen, die übrigen 36 Reiter – ohnehin meist passive Mitglieder – scheiden ganz aus. Die verbliebene Ausrüstung sowie die Vereinskasse werden ebenfalls nach Waldburg gehen. Auch juristisch ist bereits alles geregelt. „Ich muss die Geschichte nun durchstehen, sonst hätte das von amtlicher Seite gemacht werden müssen“, sagt Stellberger, der persönlich sehr betroffen ist. „Emotional ist das eine hohe Belastung für mich. Ich habe mein Leben in diesem Verein verbracht.“
Denn der heute 68-Jährige ist eines der letzten noch aktiven Vereinsgründungsmitglieder, „der letzte Dinosaurier“, wie er sich selbst bezeichnet. Im Jahr 1980 hatten einige in Weingarten stationierte Soldaten ihre Reitergruppe als BundeswehrReiterabteilung Weingarten ins Vereinsregister eintragen lassen. Schon zwölf Jahre zuvor – 1968 – hatten sich einige reitbegeisterte Soldaten des Fernmeldebataillons zusammengetan und sich dem Reit- und Fahrverein Oberschwaben angeschlossen. Neben Polizisten und Zöllnern schloss sich 1976/77 auch der junge Soldat Martin Stellberger der Gruppe an. Noch im gleichen Jahr wurde die Standarte vom damaligen Oberbürgermeister Rolf Gerich feierlich in Empfang genommen. 1980 kam dann die Trennung vom Reit- und Fahrverein und die eigene Vereinsgründung. „Es gab Probleme, aber das weiß eigentlich niemand mehr“, sagt Stellberger heute, der über die genauen Hintergründe nicht sprechen möchte.
Erfolgreiche Reitermehrkämpfe
Doch ohnehin richtete sich der Blick schon damals stark nach vorne, sollte mit den 1980er-Jahre doch die Blütezeit des Vereins bevorstehen, der in Grünkraut-Schegsberg eine Anlaufstelle für den Reitunterricht hatte. Denn zwischen 1981 und 1993 richtete die Bundeswehr-Reiterabteilung insgesamt 13-mal den Nessenrebener Reitermehrkampf aus. In fünf Kategorien (Schießen, Schwimmen, Laufen – Sprungparcours und Geländeparcours) nahmen jährlich zwischen 60 und 90 Reiter an der Großveranstaltung teil. Riesige Zelte wurden aufgestellt, die Strecken abgesteckt und Unterkünfte für Pferd und Reiter organisiert. Beim Geländeritt am Sonntag kamen teilweise bis zu 3000 Zuschauer. „Innerhalb von zwei bis drei Jahren waren wir deutschlandweit bekannt. Die Leute kamen aus ganz Deutschland – so auch von Aurich aus Ostfriesland – mit ihren Pferden heruntergefahren“, erinnert sich Stellberger.
Großen Menschenaufläufen begegnete der Verein auch immer beim Kinderumzug des Welfenfestes, an dem die Reiterabteilung stets teilnahm. „Das war ein großes Hallo in der Stadt. Die Straßen waren immer dicht gesäumt. Das war eindrucksvoll“, erinnert sich Stellberger. Darüber hinaus nahmen die Vereinsmitglieder auch an anderen Turnieren teil und gewannen gar dreimal die sogenannte „Landesstandarte“, quasi die baden-württembergischen Mannschaftsmeisterschaften im Vielseitigkeitreiten. Doch trotz dieser Erfolge lag das Hauptaugenmerk des Vereins in den 1990er-Jahren immer stärker auf dem Breitensport und der Jugendausbildung. Durch den Wegfall der Garnison veränderte sich auch die Reiterabteilung stark. Schließlich brach der komplette Nachwuchs – vornehmlich neue, junge Soldaten – mit einem Schlag weg. Zudem gingen zahlreiche Mitglieder nach der Kasernenauflösung zurück in ihre Heimatvereine.
Reiten als Unterrichtsfach
Um neuen Nachwuchs zu akquirieren oder zumindest auszubilden, wurden grundlegende Reitlehrgänge, wie der Basis- oder Reitpass, angeboten. Auch gab es in den 1990er-Jahren eine Vielzahl an Wanderritten, so wie beispielsweise ein Zehn-Tages-Ritt auf der Schwäbischen Alb. Von 2000 bis 2014 wurde dann ein Wahlmodul am Bildungszentrum Bodnegg angeboten, bei dem Jugendliche ebenfalls eine Grundausbildung im Reiten erhielten. Stellberger hatte dort nach Abzug der Garnison, einem Studium an der PH und einer ersten Anstellung in Wilhelmsdorf als Lehrer gearbeitet. Mehr als 350 Schüler sollen so ausgebildet worden sein.
Doch seit Beginn des laufenden Jahrzehnts zeichnete sich auch immer stärker ab, wie schwierig es ist, einen Verein ohne eigenes Grundstück – was mehrfach vergeblich versucht wurde – und mit kaum Nachwuchs und wenigen aktiven, vornehmlich weiblichen Mitgliedern am Leben zu erhalten. Daher entschied man sich im diesen Jahr nun zu diesem unausweichlichen Schritt. Eine Angliederung an den Reit- und Fahrverein Oberschwaben mit Sitz in Weingarten sei keine Option gewesen, da man von der Ausrichtung zu unterschiedlich sei. Daher wurde nach reiflicher Überlegung der Reitund Fahrverein Waldburg mit kleiner Anlage, Vereinshütte und Reitplatz ausgewählt. „Da passen wir gut rein“, sagt Martin Stellberger, Bundeswehrreiter a.D.