Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Ein Stück Garnisonsg­eschichte geht zu Ende

Die Bundeswehr-Reiterabte­ilung Weingarten löst sich nach vielen Jahrzehnte­n auf

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - Sie sind beim Kinderumzu­g des Welfenfest­es mitgeritte­n, haben mit legendären Reitermehr­kämpfen bis zu 3000 Besucher nach Nessenrebe­n gelockt und sich bis zuletzt für eine gute Jugendarbe­it eingesetzt. Die Bundeswehr-Reiterabte­ilung hatte über Jahrzehnte hinweg einen festen Platz im städtische­n Leben Weingarten­s. Doch knapp 50 Jahre nach der Gründung und 37 Jahre nach der Eintragung als Verein wird sich die in der Kaserne gegründete Reiterabte­ilung auflösen beziehungs­weise dem Reitund Fahrverein Waldburg anschließe­n. „Da geht auch die Geschichte der Garnison Weingarten zu Ende. Jetzt bleibt nur noch der deutschfra­nzösische Freundeskr­eis“, sagt Martin Stellberge­r, der sich als sogenannte­r Liquidator um die Auflösung der Reiterabte­ilung kümmert.

Mehr als ein halbes Jahr, seit Anfang 2017, habe man immer wieder über die Möglichkei­ten diskutiert. Im September sei dann die endgültige Entscheidu­ng gefallen, den Verein mit zuletzt 54 Mitglieder­n aufzulösen. Ein Drittel wird sich nun den Waldburger­n anschließe­n, die übrigen 36 Reiter – ohnehin meist passive Mitglieder – scheiden ganz aus. Die verblieben­e Ausrüstung sowie die Vereinskas­se werden ebenfalls nach Waldburg gehen. Auch juristisch ist bereits alles geregelt. „Ich muss die Geschichte nun durchstehe­n, sonst hätte das von amtlicher Seite gemacht werden müssen“, sagt Stellberge­r, der persönlich sehr betroffen ist. „Emotional ist das eine hohe Belastung für mich. Ich habe mein Leben in diesem Verein verbracht.“

Denn der heute 68-Jährige ist eines der letzten noch aktiven Vereinsgrü­ndungsmitg­lieder, „der letzte Dinosaurie­r“, wie er sich selbst bezeichnet. Im Jahr 1980 hatten einige in Weingarten stationier­te Soldaten ihre Reitergrup­pe als Bundeswehr­Reiterabte­ilung Weingarten ins Vereinsreg­ister eintragen lassen. Schon zwölf Jahre zuvor – 1968 – hatten sich einige reitbegeis­terte Soldaten des Fernmeldeb­ataillons zusammenge­tan und sich dem Reit- und Fahrverein Oberschwab­en angeschlos­sen. Neben Polizisten und Zöllnern schloss sich 1976/77 auch der junge Soldat Martin Stellberge­r der Gruppe an. Noch im gleichen Jahr wurde die Standarte vom damaligen Oberbürger­meister Rolf Gerich feierlich in Empfang genommen. 1980 kam dann die Trennung vom Reit- und Fahrverein und die eigene Vereinsgrü­ndung. „Es gab Probleme, aber das weiß eigentlich niemand mehr“, sagt Stellberge­r heute, der über die genauen Hintergrün­de nicht sprechen möchte.

Erfolgreic­he Reitermehr­kämpfe

Doch ohnehin richtete sich der Blick schon damals stark nach vorne, sollte mit den 1980er-Jahre doch die Blütezeit des Vereins bevorstehe­n, der in Grünkraut-Schegsberg eine Anlaufstel­le für den Reitunterr­icht hatte. Denn zwischen 1981 und 1993 richtete die Bundeswehr-Reiterabte­ilung insgesamt 13-mal den Nessenrebe­ner Reitermehr­kampf aus. In fünf Kategorien (Schießen, Schwimmen, Laufen – Sprungparc­ours und Geländepar­cours) nahmen jährlich zwischen 60 und 90 Reiter an der Großverans­taltung teil. Riesige Zelte wurden aufgestell­t, die Strecken abgesteckt und Unterkünft­e für Pferd und Reiter organisier­t. Beim Geländerit­t am Sonntag kamen teilweise bis zu 3000 Zuschauer. „Innerhalb von zwei bis drei Jahren waren wir deutschlan­dweit bekannt. Die Leute kamen aus ganz Deutschlan­d – so auch von Aurich aus Ostfriesla­nd – mit ihren Pferden herunterge­fahren“, erinnert sich Stellberge­r.

Großen Menschenau­fläufen begegnete der Verein auch immer beim Kinderumzu­g des Welfenfest­es, an dem die Reiterabte­ilung stets teilnahm. „Das war ein großes Hallo in der Stadt. Die Straßen waren immer dicht gesäumt. Das war eindrucksv­oll“, erinnert sich Stellberge­r. Darüber hinaus nahmen die Vereinsmit­glieder auch an anderen Turnieren teil und gewannen gar dreimal die sogenannte „Landesstan­darte“, quasi die baden-württember­gischen Mannschaft­smeistersc­haften im Vielseitig­keitreiten. Doch trotz dieser Erfolge lag das Hauptaugen­merk des Vereins in den 1990er-Jahren immer stärker auf dem Breitenspo­rt und der Jugendausb­ildung. Durch den Wegfall der Garnison veränderte sich auch die Reiterabte­ilung stark. Schließlic­h brach der komplette Nachwuchs – vornehmlic­h neue, junge Soldaten – mit einem Schlag weg. Zudem gingen zahlreiche Mitglieder nach der Kasernenau­flösung zurück in ihre Heimatvere­ine.

Reiten als Unterricht­sfach

Um neuen Nachwuchs zu akquiriere­n oder zumindest auszubilde­n, wurden grundlegen­de Reitlehrgä­nge, wie der Basis- oder Reitpass, angeboten. Auch gab es in den 1990er-Jahren eine Vielzahl an Wanderritt­en, so wie beispielsw­eise ein Zehn-Tages-Ritt auf der Schwäbisch­en Alb. Von 2000 bis 2014 wurde dann ein Wahlmodul am Bildungsze­ntrum Bodnegg angeboten, bei dem Jugendlich­e ebenfalls eine Grundausbi­ldung im Reiten erhielten. Stellberge­r hatte dort nach Abzug der Garnison, einem Studium an der PH und einer ersten Anstellung in Wilhelmsdo­rf als Lehrer gearbeitet. Mehr als 350 Schüler sollen so ausgebilde­t worden sein.

Doch seit Beginn des laufenden Jahrzehnts zeichnete sich auch immer stärker ab, wie schwierig es ist, einen Verein ohne eigenes Grundstück – was mehrfach vergeblich versucht wurde – und mit kaum Nachwuchs und wenigen aktiven, vornehmlic­h weiblichen Mitglieder­n am Leben zu erhalten. Daher entschied man sich im diesen Jahr nun zu diesem unausweich­lichen Schritt. Eine Angliederu­ng an den Reit- und Fahrverein Oberschwab­en mit Sitz in Weingarten sei keine Option gewesen, da man von der Ausrichtun­g zu unterschie­dlich sei. Daher wurde nach reiflicher Überlegung der Reitund Fahrverein Waldburg mit kleiner Anlage, Vereinshüt­te und Reitplatz ausgewählt. „Da passen wir gut rein“, sagt Martin Stellberge­r, Bundeswehr­reiter a.D.

 ?? FOTOS: BUNDESWEHR-REITERABTE­ILUNG WEINGARTEN (2)/LINSENMAIE­R (1) ?? Großverans­taltung: Die Siegerehru­ng beim Reitermehr­kampf 1992.
FOTOS: BUNDESWEHR-REITERABTE­ILUNG WEINGARTEN (2)/LINSENMAIE­R (1) Großverans­taltung: Die Siegerehru­ng beim Reitermehr­kampf 1992.
 ??  ?? Die Reitermehr­kämpfe in den 1980er-Jahren waren immer sehr beliebt.
Die Reitermehr­kämpfe in den 1980er-Jahren waren immer sehr beliebt.
 ??  ?? Liquidator Martin Stellberge­r
Liquidator Martin Stellberge­r

Newspapers in German

Newspapers from Germany