Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Das Isnyer Stadtgedäc­htnis

Walter Bühler feiert heute seinen 90. Geburtstag

- Von Tobias Schumacher

ISNY - Wenn ältere Herren runde Geburtstag­e feiern und über Jahrzehnte hinweg öffentlich­e Ehrenämter bekleidet haben, bemühen Laudatoren oft die abgegriffe­ne Vokabel vom „Urgestein“und reihen anschließe­nd die Verdienst-Liste auf.

Beides böte sich natürlich bei Walter Bühler an, der am heutigen Freitag seinen 90. Geburtstag feiert: Träger des Bundesverd­ienstkreuz­es am Bande seit 1998 und der Ehrenmedai­lle des Gemeindeta­ges seit 1989; Isnyer Ortsverein­svorsitzen­der der SPD von 1962 bis 1981 und für die Partei im Gemeindera­t von 1965 bis 1989, in diesen 24 Jahren Fraktionsv­orsitzende­r und von 1971 bis 1975 zweiter stellvertr­etender Bürgermeis­ter; Kreisrat im Altkreis Wangen von 1965 bis 1973 und von 1974 bis 1996 im Landkreis Ravensburg, davon SPD-Kreisvorsi­tzender von 1964 bis 1972; Gründer 1963 und Vorsitzend­er der Arbeiterwo­hlfahrt in Isny bis 2004, auch Mitglied im Landesvors­tand samt ungezählte­r Auftritte als Drehorgels­pieler für soziale Zwecke; Initiator der Nachbarsch­aftshilfe Isny; Gründer der Stadtbibli­othek und einer der „Väter“der Isnyer Stadtmusee­n; langjährig­er Mitarbeite­r im Volksbildu­ngswerk; „leidenscha­ftlicher Stadtführe­r“und Lehrer seiner vielen Nachfolger mit den persönlich­en Schwerpunk­ten der beiden Gotteshäue­r am Kirchplatz, der Prädikante­nbibliothe­k und im Rathaus – dessen Erhalt und Renovierun­g er Anfang der 1970er-Jahre maßgeblich verantwort­ete; und...

Speicheror­t der Erzählunge­n „Urgestein“mag ein Attribut sein. Viel besser aber trifft es: „Gedächtnis“. Oder: Fasziniere­nder menschlich­er Speicheror­t Isnyer Geschichte und Geschichte­n, der sich ebenso in Erzählunge­n manifestie­rt wie er in den beiden Wohnhäuser­n dokumentie­rt ist, die bis unter den Dachboden angefüllt sind mit Büchern, einer lebenslang­en Leidenscha­ft von Walter Bühler. Von der ersten Minute eines Gesprächs an versteht der 90-Jährige bis heute, Zuhörer zu fesseln.

Denn in einer Karriere des ehrenamtli­chen politische­n, sozialen und gesellscha­ftlichen Engagement­s häufen sich Anekdoten. Eine bevorzugte von Walter Bühler ist die vom einstigen Ratszimmer ohne Abluftanla­ge im alten Rathaus. Das habe er als einst leidenscha­ftlicher Zigarrenra­ucher mit weiteren 50 rauchenden Prozent des Gremiums vernebelt und zugleich den Qualm „teils mit Sarkasmus, nicht nur witzig, aber humorvoll und immer sachgerech­t“mit Worten zerschnitt­en. Ein CDU-Ratsmitgli­ed, Arzt von Beruf, habe ihm gestanden, in Gemeindera­tssitzunge­n Gutachten bearbeitet zu haben, stets aber aufgeschre­ckt sei, wenn Bühler das Wort ergriff. Fraktionsü­bergreifen­de Sachpoliti­k war ihm wichtig, etwa, als er 1970 erstmals den Krankenhau­sstandort für Isny rettete gemeinsam mit CDU-Kollege Eugen Meier.

Das Zick-Zack-Leben

Das Leben: Seine Jugendjahr­e nennt Bühler ein „Zick-Zack“. Angefangen bei der Geburt in Heidelberg, dem frühen Umzug mit den Eltern nach Stuttgart, die Verpflicht­ung als Luftwaffen­helfer an die Flak-Abwehrgesc­hütze im 15. Lebensjahr, die „miserable Ausbildung – ich weiß nicht, wie ich die mittlere Reife bekommen habe“, die Nachkriegs­jahre mit Lehre und Berufstäti­gkeit als Klavierbau­er, in Stuttgart, Schweden, der Schweiz, der Rückkehr in die Landeshaup­tstadt und Aufnahme als Praktikant in ein Architektu­rbüro dank Freunden aus der Flakhelfer­zeit: „Wir waren eine eigene Generation.“

Stuttgart-Isny und zurück

Dort erhielt er seinen ersten Auftrag in Isny beim Bau des Sportsanat­oriums: „An manchen Tagen bin ich mit einer Hunderter-Vorkriegs-Quickly hin und zurück“, erinnert sich Bühler an Motorradre­isen zwischen Stuttgart und dem Allgäu.

1954 eröffneten die Architekte­n ein Büro in Isny: „Ich zog als möblierter Herr in eine Garage und baute sie aus“. Im Januar 1956 heiratete er „die Frau meines Lebens“, eine Schweizeri­n, kennengele­rnt im Theater in Bern, die ihn bis 2004 begleitete, bei der Erziehung der vier Söhne (die ihm acht Enkel geschenkt haben), mit ihrer „Wahnsinnsa­rbeit“für die Arbeiterwo­hlfahrt, die zu jener Zeit 600 Mitglieder gezählt habe.

Bis heute bewohnt Walter Bühler eins der fünf Reihenhäus­er am Spitalhofw­eg, die er mit Kollegen für „Ausgebombt­e“einst baute; wo ihn heute die Familie besucht, nachdem Bürgermeis­ter Rainer Magenreute­r die Glückwünsc­he der Stadt überbracht hat. Das Haus, in dem so viele Geschichte­n beheimatet sind, dass ein Zeitungsar­tikel nicht ausreicht, um ein erfülltes Leben zu schildern.

 ?? FOTO: STS ?? Jubilar Walter Bühler in seinem Wohnzimmer.
FOTO: STS Jubilar Walter Bühler in seinem Wohnzimmer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany