Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Ich möchte ab jetzt nur noch lachen“
Argenbühler Schülerin Nilofar Shirdel erhält das Stipendium „Talent im Land“
ARGENBÜHL - Zwei Jahre ist es her, da hat sich Nilofars Leben komplett geändert. Was die heute 17-Jährige bis dahin in ihrer Heimatstadt Herat in Afghanistan erlebt hat, möchte sie nicht mehr erzählen. Sie blickt in die Zukunft: „Ich will ab jetzt nur noch lachen und fröhlich sein.“Ihr Ziel ist es nun, das Abitur zu machen und zu studieren. Und dafür ist sie auf dem besten Weg: Nilofar gehört zu den 53 Jugendlichen, die unter 650 Bewerbern für ein Stipendium von der Begabtenförderung „Talent im Land“(Til) in diesem Jahr ausgewählt wurden. Die von der Baden-Württembergund der Robert-Bosch-Stiftung finanzierte Schülerförderung unterstützt Heranwachsende, die sich trotz mancher Hürden und Hindernisse nicht unterkriegen lassen.
Im Winter 2015 kam Nilofar mit ihrer Familie in Deutschland an. Im Februar 2016 besuchte sie dann das erste Mal eine Vorbereitungsklasse in Kißlegg. Sechs Monate lang lernte sie in dieser Klasse Deutsch und kam anschließend in die 10. Klasse der Werkrealschule in Isny. Seit diesem Schuljahr ist sie nun auf dem technischen Gymnasium in Wangen.
Mit ihrer Familie lebt sie seit Kurzem in einer Wohnung in Eisenharz, nachdem sie zuerst in einem Flüchtlingsheim in Ratzenried untergebracht waren. Durch ihre Schulwechsel und den Umzug hat sie in den vergangenen zwei Jahren viel von der Region gesehen. „Ich finde alle Orte im Allgäu schön. Aber die Hauptsache für mich ist, dass wir jetzt in Sicherheit sind“, sagt Nilofar. Jetzt kann sie endlich mit dem Bus zu Schule fahren, alleine zu Fuß durch den Ort laufen, sich mit Klassenkameraden treffen. „Hier fühle ich mich frei“, sagt die 17-Jährige. In Herat hat ihr Vater sie und die vier Geschwister nirgends alleine hingehen lassen. Die Angst, dass ihnen auf der Straße etwas passieren könnte, war immer zu groß. „Hier kann ich vielleicht endlich in einen Verein eintreten“, hofft Nilofar. Sie spielt gerne Schach und Volleyball.
Traumjob Ingenieurin
Eigentlich wollten ihre Eltern, dass sie Ärztin wird, da ihre Noten von Klein auf überdurchschnittlich gut waren. „Klassenbeste“steht in persisch unter den bunt verzierten Zeugnissen, die sie in Afghanistan bekommen hat. Doch Nilofar möchte Ingenieurin werden. Eines ihrer Lieblingsfächer ist nämlich Mathe. Ihr Mathelehrer in Isny war es auch, der sie für das Begabtenprogramm des Landes Baden-Württemberg vorgeschlagen hat, erzählt Nilofar: „Das hat mich so gefreut. Ich bin gleich nach Isny gefahren, um ihm eine Kleinigkeiten zu schenken.“Ein paar Monate lang dauerte die Bewerbungsfrist, dann kam die Einladung vom Land nach Stuttgart zur nächsten Bewerberrunde.
Schließlich wurde Nilofar Mitte November bei einem Festakt offiziell in das seit 2003 bestehende Förderprogramm aufgenommen. „Das war alles sehr aufregend“, erinnert sich die 17-Jährige. Zusammen mit 52 anderen Jugendlichen erhält sie nun bis zum Abitur Unterstützung für Lehrbücher, Klassenfahrten, Musikunterricht oder für Nachhilfe, sollte sie diese brauchen. Doch nicht nur über diese konkrete Unterstützung im Alltag freut sich die Schülerin: „Ich habe durch dieses Stipendium viele neue Freunde gefunden. Das war eine schöne Erfahrung.“
In Frieden studieren können
25 der diesjährigen Til-Stipendiaten sind in den vergangenen vier Jahren nach Deutschland gekommen, 17 von ihnen so wie Nilofar und ihre Familie im Winter 2015. Die Herkunftsländer sind dabei vielfältig: von Afghanistan über die Türkei und China bis Syrien. Was sie alle gemein haben ist aber, dass sie sich durch besondere Leistungen in der Schule für das Stipendium qualifiziert haben „Ich lerne täglich für die Schule“, erzählt Nilofar.
Und mittlerweile fällt es ihr leichter, denn in der familieneigenen Wohnung kann sie sich jetzt zurück ziehen. Davor im Flüchtlingsheim war es nie leise, sie hatte nie Zeit für sich, um sich in Ruhe für die Schule vorzubereiten. Das Stipendium gibt ihr nun Hoffnung, sagt sie. Hoffnung, dass sie ihr Talent weiter ausschöpfen kann. Und Hoffnung, dass sie 2020 die Schule mit dem Abitur abschließt. Damit sie in Ruhe und Frieden studieren kann.