Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Jeder merkt: Hier ist etwas geboten“
Roland Paulus, scheidender Leiter des ASM-Bezirks, erzählt, wie sich die Blasmusik verändert hat
STIEFENHOFEN - Nach 21 Jahren an der Spitze hat Roland Paulus seinen Posten als Bezirksleiter des AllgäuSchwäbischen-Musikbunds (ASM) Ende November abgegeben. Im Bezirksvorstand war er noch länger aktiv. Mehr als zwei Jahrzehnte, in denen sich die Blasmusik massiv geändert hat – wie, das sagt Paulus im Interview mit Bettina Buhl. Und er verrät auch, was er in musikalischer Hinsicht noch vorhat.
Herr Paulus, wie hat sich die Blasmusik in Ihrer langen Amtszeit als Bezirksleiter verändert?
Roland Paulus: Sie hat sich vor allem im oberen Landkreis sehr verändert. Das hat viel mit den Musikschulen zu tun. 1986 wurde der Zweckverband der Musikschule Westallgäu gegründet, ein Jahr darauf die Musikschule in Lindenberg. Das hat der Ausbildung der Musiker einen enormen Schub gegeben. Zuvor hatten die Kapellen alle selber ausgebildet: Gute Musiker hatten die Jugendlichen unter ihre Fittiche genommen. Was aber eine Musikschule bringt, hat man im Bezirk ganz deutlich gesehen. In Lindau gab es sie bereits seit 1951, die Jugendmusikschule Württembergisches Allgäu seit 1967. Im Einzugsgebiet von Letzterer waren schon immer die Musiker aus Maria-Thann und Wohmbrechts. Das merkt man noch heute. Beide sind Oberstufenkapellen.
Jeder, der ein Instrument lernen will, kann heute von Profis Unterricht nehmen. Besteht aber nicht auch die Gefahr, dass ältere Musiker, die noch keine solche fundierte Ausbildung bekommen konnten, auf der Strecke bleiben?
Paulus: Das glaube ich nicht. Außerdem bieten wir älteren Musikern auch etwas. 2010 haben wir uns schwer ins Zeug gehängt und mit Unterstützung der Musikvorstände das Bezirksseniorenorchester gegründet. Es probt einmal im Monat und hat mehrere Auftritte im Jahr.
Tracht und Blasmusik: Nicht wenige reduzieren Musikvereine auf Klischees. Ärgert Sie das?
Paulus: Ich denke nicht, dass es diese Klischees heute noch gibt. Jeder, der auf ein Jahreskonzert unserer Kapellen geht, merkt: Da ist etwas geboten. Das hängt sicher mit der guten Ausbildung zusammen. Die Bläserkurse des ASM haben hier eine wichtige Funktion, aber auch die Wettbewerbe.
Welche Bedeutung messen Sie Wettbewerben bei? Soll es in der Musik wie beim Sport um Leistung gehen – schneller, höher, weiter?
Paulus: Es geht nicht um schneller, höher, weiter, sondern um besser. Es gibt viele Jugendliche, die zeigen wollen, was sie drauf haben und, dass sie nicht umsonst üben.
In den vergangenen Jahren hat die Blasmusik ihr vermeintlich angestaubtes Image verbessert. Wie sehr schätzen Sie den Einfluss von Gruppen wie Mnozil Brass oder La Brass Banda?
Paulus: Ich hab selber erlebt, wie die Blasmusik einen neuen Schwung bekommen hat. Früher hatte man eine große Trommel, eine kleine Trommel und Becken. Wenn man einen langweiligen Spieler an der kleinen Trommel hatte, der hinterherhinkte, hat das die ganze Blasmusik kaputt gemacht. Kurz nachdem ich Dirigent in Stiefenhofen wurde, haben wir ein kombiniertes Schlagzeug eingeführt. Später lernten Klarinettisten Saxophon spielen. Mit diesen Instrumenten kann man moderne Blasmusik spielen, auf den Stil der Musik, den Klang eingehen. Am deutlichsten merkt man das daran, dass die Schlagzeuger heute mit dem Set und ihrem Instrumentarium viel mehr können. Da läuft der Laden.
Was schätzen Sie an der Blasmusik?
Paulus: Die Vielfalt. Nicht nur in musikalischer Hinsicht. Bei einem Konzert in Oberreute beispielsweise habe ich erlebt, wie der 75-jährige Klarinettist neben der zwölfjährigen Klarinettistin saß – und das Solo spielte die Kleine. Schön ist auch, dass die Blasmusik seit 40 Jahren keine reine Männergesellschaft mehr ist. Heute ist das Verhältnis Männer/Frauen etwa 50/50 und wir haben auch hervorragende weibliche Vorsitzende.
Ihr großes Anliegen waren auch die Bezirksmusikfeste. Doch da gab es Probleme, Ausrichter zu finden, weil die Arbeit für ein solches Fest sehr groß ist. Stiefenhofen und Hergensweiler haben zuletzt mit Absicht kleiner gefeiert und das ausgeflaggt. War es an der Zeit, kürzerzutreten?
Paulus: Bei der Frühjahrstagung 2016 in Hergensweiler haben wir bewusst unter Ausschluss der Öffentlichkeit darüber geredet, woran es klemmt. Viele Vorstände und kleinere Kapellen berichteten, dass sie Mammutveranstaltungen mit teuren Gruppen und großem Zelt nicht stemmen können. Aber der Wunsch war da, ein Fest für die Kapellen im Landkreis zu machen, bei dem sich alle einmal im Jahr treffen. Hergensweiler sagte damals zu, das Fest mit Abstrichen zu machen. Stiefenhofen feierte auch ein kleines, aber feines Fest. Und bis 2020 sind alle weiteren Feste nun vergeben.
Fast jedes Dorf im Bezirk hat seine eigene Kapelle. Wird das auch in Zukunft Bestand haben?
Paulus: Das denke ich schon. Natürlich spielt da auch rein, wie sich die Kinderzahlen entwickeln. Aber die Kapellen haben gute Jugendgruppen und der Nachwuchs kommt schon. Man muss dazu auch sagen: Was die Musiker in den Kapellen leisten, ist auch eine gemeinnützige Dienstleistung am Ort, an der Gemeinde.
Viele gute Musiker absolvieren den Dirigentenkurs, aber eine Kapelle übernehmen die wenigsten. Woran liegt das?
Paulus: Ich habe erst vor kurzem ein positives Beispiel erlebt: In Grünenbach hat Jürgen Füssinger mit gerade einmal 21 den Dirigentenposten übernommen. Davor war er einer der Leiter der Jugendkapelle Argental. Da gehört schon Mut dazu, aber noch mehr braucht es, um eine Kapelle fest zu übernehmen. Es ist schön, dass es junge Musiker gibt, die diesen Schritt wagen. Aber auf der anderen Seite gibt es viele junge Dirigenten, die schlicht ein Zeitproblem haben. Der Dirigentenposten bedeutet viel Arbeit.
Gibt es Dinge, die Sie nicht erreicht haben und gerne noch angestoßen hätten?
Paulus: Eine Sache wäre da. Ich hatte mal nachgeforscht: Zwischen 1999 und 2016 haben 28 Musiker im Bezirk den Dirigentenkurs bestanden. Ich wollte mal alle jungen Dirigenten und Vertreter von Kapellen, die auf Dirigentensuche sind, an einen Tisch bringen, um zu klären, was die Kapellen von den Dirigenten erwarten und umgekehrt. Vielleicht finden so die einen oder anderen zusammen. Vielleicht auch projektmäßig. Ein junger Dirigent könnte zum Beispiel ein Jahreskonzert vorbereiten und so Erfahrung sammeln und die Kapelle hätte auch was davon. Ich hatte das in der Maisitzung schon angesprochen. Vielleicht wird noch was daraus.
Was bleibt Ihnen als scheidender Bezirksleiter besonders in Erinnerung?
Paulus: Robert Fink als Bezirksdirigent fing an, jedes Jahr die eifrigsten und besten Jungmusiker im Bezirk zum Bezirksblasorchester zu sammeln. Da kamen oft 40 bis 60 Musiker zusammen und gaben ganz tolle Konzerte – auch gemeinsam mit anderen Orchestern wie den Jugendblasorchestern aus Wangen oder Marktoberdorf. Toll war auch der Bigband-Workshop mit der Bigband Wangen und einem grandiosen Konzert zum Abschluss.
Die Konzertsäle werden Sie sicherlich auch in Zukunft nicht meiden. Und werden Sie jetzt auch mehr Zeit haben, selber wieder zu musizieren?
Paulus: Das wäre denkbar. Aber ich bin jetzt 73 Jahre alt und müsste als Trompeter erst wieder meinen Ansatz komplett aufbauen. Da müsste ich täglich proben. Wenn, dann will ich nicht nur mithupen.