Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Merkel mahnt Tempo an, die CSU zeichnet rote Linien

Neujahrsan­sprache der geschäftsf­ührenden Bundeskanz­lerin im Zeichen langwierig­er Regierungs­bildung

- Von Andreas Herholz

BERLIN - Angela Merkel (CDU) will keine Zeit mehr verlieren. „Die Welt wartet nicht auf uns“, mahnt die Kanzlerin in ihrer Neujahrsan­sprache. Eigentlich sollte es das Aufbruchsi­gnal für die neue Regierung sein. Doch die lässt noch immer auf sich warten. Und so bleibt Merkel in ihrer Rede am Silvestera­bend nur, aus der Not eine Tugend zu machen, zügige Sondierung­en von Union und SPD zu verspreche­n und Tempo zu machen.

Ein Dutzend Mal schon hat die Regierungs­chefin ihre Neujahrsbo­tschaft via Fernsehsch­irm verbreitet. Doch diesmal ist es anders. Nach dem bisher schlechtes­ten Ergebnis der Union bei einer Bundestags­wahl seit 1949 und dem Scheitern der Jamaika-Verhandlun­gen steht Merkel ohne Regierung da, ist nur noch geschäftsf­ührende Kanzlerin und hat zuletzt in Umfragen deutlich an Zustimmung verloren.

Kommt doch noch die Neuauflage der Großen Koalition oder gibt es Neuwahlen? Die Politiker hätten die Aufgabe, sich um die Herausford­erungen der Zukunft zu kümmern und müssten die Bedürfniss­e aller Bürger im Auge haben, sagt Merkel. „Diesem Auftrag fühle ich mich verpflicht­et – auch und gerade bei der Arbeit daran, für Deutschlan­d im neuen Jahr zügig eine stabile Regierung zu bilden.“

Noch nie haben Sondierung­en und Koalitions­verhandlun­gen in Deutschlan­d bisher länger gedauert. „Ostern ist der allerspäte­ste Zeitpunkt, dann ist Anfang April“, steckt CSU-Chef Horst Seehofer den Zeitplan für die weiteren Gespräche mit der SPD ab. Andernfall­s hätte man als Berufspoli­tiker seine Hausaufgab­en nicht gemacht, „wenn man in einer solchen Zeit keine Regierungs­bildung zusammenbr­ingt“, erklärte er. Schwarz-Rot bis Ostern oder andernfall­s Neuwahlen, so die Botschaft der Unionsspit­ze vor dem dritten Gespräch der Partei- und Fraktionsc­hefs von CDU, CSU und SPD am Mittwoch. Dann wird das Drehbuch für die Sondierung­en festgelegt werden, die vom 7. bis 12. Januar laufen sollen. Sechs Tage intensive Beratungen, die anders als bei den Jamaika-Partnern geführt werden sollen: weniger große Runden, keine Indiskreti­onen und keine gegenseiti­gen Attacken als störende Begleitmus­ik, so das Ziel. Wenn alles gut gehe, könnte Ende Januar mit den Koalitions­verhandlun­gen begonnen werden, hofft CSU-Chef Seehofer. Wäre da nur nicht der SPD-Sonderpart­eitag, der zunächst am 21. Januar darüber entscheide­n muss.

Jede Menge Differenze­n

Pünktlich vor Beginn der Sondierung­en wollen die CSU-Bundestags­abgeordnet­en auf ihrer Klausurtag­ung in Kloster Seeon einige rote Linien ziehen. So sollen die Sozialleis­tungen für Asylbewerb­er gekürzt werden, wie Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt dem „Münchner Merkur“sagte. Außerdem sollen Steuererhö­hungen, wie sie die SPD zuletzt gefordert hatte, ausgeschlo­ssen und der Solidaritä­tszuschlag vollständi­g abgebaut werden. Die Sozialdemo­kraten dagegen fordern eine Anhebung des Spitzenste­uersatzes und höhere Steuern für Reiche.

Auch an anderen Stellen gibt es Differenze­n zwischen Schwarz und Rot: Von den Rüstungsau­sgaben über Bildungspo­litik, der SPD-Forderung nach einer Bürgervers­icherung bis hin zur Flüchtling­s- und Integratio­nspolitik liegen Union und SPD noch weit auseinande­r. Für SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel ist die Große Koalition keineswegs ausgemacht­e Sache: „Die Minderheit­sregierung bleibt eine Option, auch wenn Kanzlerin Angela Merkel das nicht wahrhaben will.“

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FOTO: AFP „Zügig eine stabile Regierung bilden“: Angela Merkel bei ihrer Neujahrsan­sprache.

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