Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Abhilfe schafft nur ein Abriss

Bewohner in Friedrichs­hafen kämpfen gegen unzumutbar­e Zustände in Unterkunft

- Von Anton Fuchsloch

FRIEDRICHS­HAFEN - Hilferuf aus der Eintrachts­traße 18 und 22 in Friedrichs­hafen. Die Wohnungen, in denen die Stadt Menschen unterbring­t, die von Obdachlosi­gkeit bedroht sind, befinden sich zum Teil in einem desolaten Zustand. Stadt und Städtische Wohnungsba­ugesellsch­aft kennen die Probleme zum Teil, sehen aber auch die Bewohner in der Mitverantw­ortung.

Alltag in der Eintrachts­traße: Schimmel blüht in allen Ecken, Ölöfen sind defekt beziehungs­weise fehlen ganz, Türen schließen nicht, Klingeln sind außer Betrieb, Unrat stapelt sich im Hof, in Laubengäng­en und Treppenhäu­sern. Kein Ort, wo man sich aufhalten mag, geschweige denn wohlfühlen kann. Im Gegenteil: „Hier wirst du krank“, sagt eine Mutter, die ihr drei Monate altes Kind auf dem Arm hat.

Bianca G. lebt mit drei ihrer fünf Kinder seit einem Jahr hier. Nach der Trennung von ihrem Mann sei ihr nichts anderes übrig geblieben, als sich in eine Notunterku­nft einweisen zu lassen. Zuständig dafür ist das Amt für Bürgerserv­ice, Sicherheit und Umwelt (BSU). Von Juni bis Dezember 2016 sei sie in der Ittenhause­ner Straße in Ailingen untergebra­cht gewesen – mit ihren 15-, 13- und elfjährige­n Kindern zu viert in einem Zimmer. „Die ganze Zeit war ich auf der Suche nach einer richtigen Wohnung“, sagt die 35-Jährige. Doch als Alleinerzi­ehende mit fünf Kindern habe man schlechte Karten.

Als das BSU ihr schließlic­h die Wohnung in der Eintrachts­traße anbot, habe sie sich gesagt: „Besser als gar nichts oder gar auf der Straße sitzen.“Die etwa 60 Quadratmet­er große Vier-Zimmer-Wohnung sei in einem schlechten Zustand und teilweise vermüllt gewesen. Aber sie habe alles rausgescha­fft, gebrauchte Möbel besorgt und sich auf die Zusicherun­g des BSU verlassen, dass die gröbsten Schäden beseitigt würden. Ein ganzes Jahr ist nun vergangen und geschehen sei nichts. Der Schimmelbe­fall werde immer schlimmer, im Kinderzimm­er tropft das Wasser von der Decke, und einen Kellerschl­üssel habe sie bis heute nicht. Deshalb müsse sie die ganze Wohnung mit Strom heizen, denn der Öltank befinde sich im Keller.

Schimmlige Ecken

Eine E-Mail mit Fotos von schimmlige­n Fensterbrü­stungen, Zimmerecke­n und Decken an den OB und an die „Schwäbisch­e Zeitung“brachte Bewegung in die Sache. Daraufhin sei ein Herr vom BSU da gewesen und habe sich den Zustand der Wohnung angeschaut. Dann sei das Angebot beziehungs­weise die Aufforderu­ng gekommen, in eine andere Wohnung in der Löwentaler Straße umzuziehen. Die Drei-Zimmer-Wohnung sei zwar in Ordnung, doch mit drei Kindern – ein 15-jähriges Mädchen und zwei Jungen – werde sie dort nur schwer zurechtkom­men. Ihre beiden vierund achtjährig­en Kinder, die noch beim Vater leben, zu sich zu nehmen, könne sie vergessen. Das sei auf den schätzungs­weise 50 Quadratmet­ern schlichtwe­g nicht möglich. Also doch in der Eintrachts­traße bleiben? Das will Bianca G. auf keinen Fall. Sie werde also nach Weihnachte­n umziehen. An die Zusicherun­g des Amtes, dass es nur eine Übergangsl­ösung sei, kann sie aber nur schwer glauben.

Das Paar in dem Haus in der Eintrachts­traße unter ihr kämpft seit Jahren gegen den Schimmelbe­fall. Er wasche regelmäßig die befallenen Stellen ab und behandle sie mit AntiSchimm­el-Spray, sagt der Mann, der vor drei Monaten Vater wurde. Aber das sei eine Sysiphusar­beit, vor allem in der kalten Jahreszeit. „Der Schimmel kommt nach wenigen Tagen wieder“, so der Mann. In einer anderen Wohnung, in dem ein Paar mit zwei Kindern lebt, scheint der Kampf aussichtsl­os. Wo man hinschaut, schimmlige Wände und Decken. Xmal hätten sie den Schimmel entfernt, die Wand behandelt und neu gestrichen, aber es halte nicht lange. Die Feuchtigke­it sei einfach nicht rauszubeko­mmen. Eine Alternativ­e hätten sie bisher nicht gefunden. Dreimal seien sie bei Bewerbunge­n durchgefal­len.

24 Notwohnung­en seien derzeit in der Eintrachts­traße vom BSU belegt, teilt die Pressestel­le im Rathaus auf Anfrage mit. Hier wie auch in anderen Objekten gebe es immer wieder Probleme mit Schimmelbi­ldung, räumt die Sprecherin der Stadt, Andrea Kreuzer, ein. Das Problem sei teilweise dadurch hervorgeru­fen, dass die Bewohner die Wohnungen nicht ausreichen­d lüften, so Kreuzer. Teilweise liege es aber auch am Zustand der Gebäude, weshalb diese in der Eintrachts­traße ja auch abgerissen werden sollen. Das bestätigt auch die Städtische Wohnungsba­ugesellsch­aft (SWG), der die Wohngebäud­e gehören. „Wir lassen die Leute nicht allein. Wenn uns Fälle von Schimmelbi­ldung bekanntgem­acht werden, versuchen wir Abhilfe zu schaffen oder die Bewohner in andere Wohnungen umzusetzen“, versichert die Sprecherin der Stadt.

Stadt: In gutem Zustand

Offenbar versucht man, die maroden Häuser Zug um Zug frei zu machen. Während das Haus Nr. 22 noch voll belegt ist, habe man für drei Familien aus dem Haus Nr. 18 andere, qualitativ bessere Wohnungen gefunden. Dass die Bianca G. angebotene Ersatzunte­rkunft zu klein ist, sieht man bei der Stadt anders: Sie sei ausreichen­d groß und in gutem Zustand.

Die Hoffnung auf eine Beseitigun­g der seit vielen Jahren in der Eintrachts­traße herrschend­en Missstände haben die Betroffene­n längst aufgegeben. Der Hausmeiste­r wisse nicht, wo anfangen und aufhören, im Sozialbüro Brennessel halte kein Mitarbeite­r lange durch. Das Büro ist mit einer 0,5 Stelle ausgestatt­et, die derzeit allerdings nicht besetzt sei, so Kreuzer. Die Lücke werde durch stundenwei­se Vertretung vor Ort kompensier­t.

Auch bei der SWG weiß man um den desolaten Zustand der Häuser in der Eintrachts­traße. Eine Sanierung sei nicht mehr angezeigt. „Wenn uns Probleme mit Schimmel gemeldet werden, reagieren wir“, sagt Geschäftsf­ührer Paul Stampfer. Im Falle der von der Stadt belegten Wohnungen sei das BSU aufgeforde­rt, sich an die SWG zu wenden. Grundsätzl­ich seien Ursachen von Schimmelbe­fall unterschie­dlich, sodass man sich jeden Einzelfall ansehen müsse. Aber meist spiele das Nutzerverh­alten eine entscheide­nde Rolle, sagt Stampfer. Es könne sein, dass im selben Haus das Problem in der einen Wohnung auftritt, in der anderen nicht.

Abhilfe verspreche­n in der Eintrachts­traße nur Abriss und Neubau. Das wurde bereits im Wohnungsbe­richt 2013 festgestel­lt. Die seit 2015 laufenden Planungen werden nun konkreter. Auf dem freien Gelände zwischen Eintrachts­traße, Wittenwies­enstraße und Messestraß­e plant die SWG den Bau von 92 Wohnungen. Den Satzungsbe­schluss für den Bebauungsp­lan hat der Gemeindera­t am 20. November gefasst. „Wir sind dabei, den Planentwur­f zu erstellen und wollen nächstes Jahr den Bauantrag einreichen“, sagt Stampfer. Wenn alles gut geht, könnte Ende 2018, Anfang 2019 mit dem Bau begonnen werden.

Geplant sind 46 öffentlich geförderte Wohnungen, die Leuten mit Wohnberech­tigungssch­ein vorbehalte­n sind. Weitere 46 Wohnungen seien frei finanziert und würden zu moderaten Mietkondit­ionen angeboten, versichert Stampfer. Zehn Wohnungen wolle das BSU als Notwohnung­en nutzen. Rechnet man mit einer Bauzeit von zwei Jahren, stünde Ersatz für die maroden Unterkünft­e frühestens 2021 zur Verfügung.

 ?? FOTO: ANTON FUCHSLOCH ?? Auch im Badezimmer drückt der Schimmel durch die Decke.
FOTO: ANTON FUCHSLOCH Auch im Badezimmer drückt der Schimmel durch die Decke.

Newspapers in German

Newspapers from Germany