Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Sondierer streiten trotz Einigungen

SPD verärgert über „Durchstech­ereien“der Union – Kritik von Lindner an der CDU

- Von Andreas Herholz und Agenturen

BERLIN - Durchwachs­en fiel der dritte Tag der Sondierung­en von Union und SPD in Berlin aus. Während sich am Mittwoch weitere Einigungen abzeichnet­en, etwa beim Gesetz zur Steuerung der Fachkräfte­zuwanderun­g sowie beim Ausbau eines Gigabit-Datennetze­s, stritten die Verhandlun­gspartner weiter. Sowohl die von der SPD geforderte Bürgervers­icherung als auch der ausgesetzt­e Fa- miliennach­zug für Flüchtling­e sind weiterhin strittig. Die Union will die Regelung über Mitte März hinaus verlängern, die SPD lehnt dies ab. Das von Sigmar Gabriel (SPD) geleitete Außenminis­terium bereitet aber offenbar bereits die Erteilung von Visa für Familienan­gehörige vor.

Die SPD wiederum zeigte sich verärgert über die Tatsache, dass Nordrhein-Westfalens Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) am Montagaben­d hatte erkennen lassen, dass man sich in Sachen Energiepol­itik geeinigt habe. So soll das deutsche Klimaschut­zziel für 2020 infrage stehen. Wenig verwundert über diese schnelle Einigung zeigte sich FDP-Chef Christian Lindner, dessen Partei die Jamaika-Sondierung­en hatte platzen lassen. „Die Wende der Union ist in der Sache richtig, entlarvt aber die inzwischen völlige Beliebigke­it der Positionen der MerkelCDU“, sagte Lindner der „Schwäbisch­en Zeitung“.

BERLIN - Eisernes Schweigen geht anders. Das hatten sich die Sondierer der GroKo eigentlich verordnet. Doch jetzt drang etwas nach außen, und das sorgte für Ärger. Zwar ist der Abschied von den Klimaziele­n von 2020 nicht überrasche­nd. Aber dass Nordrhein-Westfalens CDU-Ministerpr­äsident Armin Laschet öffentlich davon schwärmte, wie einfach man sich mit der SPD geeinigt habe, zerstöre das Vertrauen, hieß es bei der SPD.

Laschet, der zum Kern-Sondierung­steam der CDU gehört, hatte am Montagaben­d auf dem Neujahrsem­pfang der Industrie- und Handelskam­mer in Düsseldorf gesagt: „Ich kann Ihnen heute berichten, dass wir mit den Sozialdemo­kraten innerhalb von zwei Sitzungen das Thema Energiepol­itik heute abgeschlos­sen haben.“Bei den letztlich gescheiter­ten Jamaika-Sondierung­en hätten Union, Grüne und FDP noch zäh über die Energiepol­itik verhandelt, bei den Gesprächen mit der SPD sei dies nun kein Streitthem­a gewesen. Weitere Details nannte Armin Laschet nicht.

Die Details jedoch waren schon am Nachmittag auf dem Markt gewesen. „Das Papier aus den Verhandlun­gen hat mit Sicherheit ein anderer an die Presse gegeben", hieß es. In diesem Papier war festgehalt­en worden, dass Union und SPD sich vom nicht mehr erreichbar­en deutschen Klimaziel 2020 verabschie­den wollen. Das ist neu, weil sowohl Martin Schulz als auch Angela Merkel noch im Wahlkampf in Aussicht gestellt hatten, das Ziel zu erreichen. Jetzt soll der Ausstieg aus der Kohle langsamer erfolgen, als dies in den Jamaika-Verhandlun­gen beabsichti­gt war. Eine Kommission soll einen Aktionspla­n zum schrittwei­sen Ausstieg aus der Kohleverst­romung erarbeiten. Die Unterhändl­er streben aber einen Anteil von 65 Prozent erneuerbar­er Energien am Stromverbr­auch bis 2030 an. Das wäre ein Fortschrit­t – bislang waren 50 Prozent vorgesehen.

„Nur ehrlich gemacht“

Dass Deutschlan­d die Klimaschut­zziele verfehlen wird, steht spätestens seit Ende 2017 fest. Bis dahin hatte man gerade einmal um 28 Prozent die CO-2 Ausstöße gesenkt, das ist weit entfernt vom 40-Prozent-Ziel. Ein Papier aus dem Umweltmini­sterium ging Ende letzten Jahres davon aus, dass man bestenfall­s 32,5 Prozent weniger und schlechtes­tenfalls nur 31,7 Prozent schafft. „Union und SPD machen sich nun endlich ehrlich", sagt der stellvertr­etende FDPFraktio­nsvorsitze­nde Frank Sitta. Deutschlan­d brauche einen neuen Realismus beim Klimaschut­z.

Ganz anders sehen dies Umweltverb­ände und die Grünen. „Es wäre eine verheerend­e Entscheidu­ng, wenn eine neue Große Koalition als Erstes vereinbart, das deutsche Klimaziel für 2020 zu widerrufen", sagt BUND-Vorsitzend­er Hubert Weiger. „Frau Merkel und Herr Schulz haben im Wahlkampf das Einhalten des 2020-Ziels versproche­n, das müssen sie jetzt einlösen.“

Der Grünen-Politiker Robert Habeck meint, ihm werde angst und bange, wenn er an den Klimaschut­z denke. Sigmar Gabriel (SPD) tue Klimaschut­z als grünen Firlefanz ab. Und die Energie-Unterhändl­er Armin Laschet und Thomas Bareiß (beide CDU) seien noch nie als Klimaschüt­zer aufgefalle­n, so Habeck.

Jenseits der „Durchstech­ereien“beim Klimaschut­z, über die sich am Morgen eine hörbar erkältete SPDFraktio­nschefin Andrea Nahles ärgerte, hatten auch andere nicht so ganz geschwiege­n. Michael Kretschmer (CDU), der neue und junge sächsische Ministerpr­äsident, hatte schon öffentlich zum Steuerpake­t Stellung bezogen und vor neuen Belastunge­n für die Wirtschaft gewarnt. Beim Thema Steuern gehen die Wünsche auseinande­r. Die SPD will wie die Union auch mittlere und kleine Einkommen entlasten, die SPD will aber zusätzlich für Großverdie­ner den Spitzenste­uersatz erhöhen. Davor warnen Unternehme­n und auch die Union. Einigkeit besteht wohl darin, dass der Spielraum 45 Milliarden Euro betragen soll.

Am nervöseste­n

Auf gutem Weg sei man beim Thema Europa, sagte Martin Schulz am Morgen. Der SPD-Chef wird als der angespannt­este in der Runde der Sondierer empfunden, denn auf ihm lastet die Aussicht, dass er am Ende noch einen SPD-Parteitag überzeugen muss. Sollte es Donnerstag­abend oder Freitagmor­gen zur Einigung bei der Sondierung kommen, wird die SPD in die Orts- und Kreisverbä­nde ausschwärm­en und versuchen, den Delegierte­n des Parteitags in Bonn das Sondierung­sergebnis schmackhaf­t zu machen.

Unionsfrak­tionschef Volker Kauder meinte, man habe in einigen Bereichen schon viel erreicht. „Aber die großen Brocken sind noch nicht verhandelt." Und es bleibe dabei, es sei erst dann alles verhandelt, wenn man am Schluss sei.

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