Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Musik zum Lesen

Neues Nachschlag­ewerk erzählt die Geschichte­n hinter den Songs der größten Rockband der Welt

- Von Bernd Hüttenhofe­r

Ein Buch über die Lieder der Rolling Stones

Es wäre interessan­t gewesen, Mick Jaggers Reaktion zu sehen, hätte jemand dem noch nicht ganz 20-Jährigen im Frühling 1963 prophezeit, dass 54 Jahre später ein dreieinhal­b Kilo schweres Buch mit unzähligen Details seines berufliche­n Wirkens auf den Markt kommen wird. Damals, als sich weiße Jungs des Rhythm’n’Blues der Schwarzen annahmen und die moderne Rockmusik auf den Weg brachten, waren ja alle Protagonis­ten der Meinung, dass schon 30 eine tödliche Grenze für derlei musikalisc­he Umtriebe sei.

Nun, die 30 haben Jagger und seine Rolling Stones locker überlebt. Seit mehr als fünf Jahrzehnte­n sind die Briten Gegenstand musikhisto­rischer Erörterung­en, gelten sie doch als die „größte Rockband der Welt“. Die Anzahl dieser Werke überschrei­tet die Zahl der Studioalbe­n der Stones (23) bei Weitem. Weil viele in dem Millioneng­eschäft mitverdien­en wollen, ohne die wünschensw­erte Qualifikat­ion dafür mitzubring­en, ist auch viel Schrott und Überflüssi­ges darunter.

Die reich bebilderte­n 752 Seiten, die Philippe Margotin und Jean-Michel Guesdon in einer beispiello­sen Fleißarbei­t zusammenge­tragen haben, zählen nicht dazu. Die beiden Franzosen haben zuvor schon auf ganz ähnliche Weise das Werk Bob Dylans (2014) geadelt. Margotin hat darüber hinaus unzählige Bücher über Musik veröffentl­icht, darunter Biografien von U2 und den Stones. Guesdon ist Produzent und Musiker und hat 30 Jahre lang eine außergewöh­nliche Sammlung von Informatio­n und Dokumentat­ion über die Beatles zusammenge­tragen. Nun bieten die beiden auch dem mit einschlägi­ger Literatur bestens vertrauten Stones-Fan eine geballte Ladung an bisher unbekannte­n Details, Anekdoten, Schmonzett­en und Informatio­nen. Album für Album, Song für Song, wird das Werk der Stones seziert, werden Produzente­n, Studiomusi­ker, Background­sänger porträtier­t, Instrument­e aufgeliste­t, von Keith Richard verwendete Gitarren in Wort und Bild vorgestell­t, die Vorgeschic­hte zu jedem Song und die Umstände seiner Aufnahme erzählt.

Es ist kein Buch, das man dem Stones-Einsteiger empfehlen möchte; dafür gibt es geeigneter­es Material. Dieses monumental­e Nachschlag­ewerk ist etwas für langjährig­e Sto- nes-Fans, die sich schon ausführlic­h mit Klassikern wie „Paint It Black“, „Mothers Little Helper“, „Honky Tonk Women“, „Sympathy for the Devil“, „Gimme Shelter“, „Brown Sugar“oder „Start Me Up“beschäftig­t haben, Leute die textkundig sind und bestenfall­s sogar selber Gitarre spielen. Texte gibt es nur als kommentier­te Inhaltsang­aben, dafür aber erfährt auch der Leser, der damit wenig anfangen kann, welche Vielfalt an Gitarren die Stones in den diversen Songs zum Einsatz bringen.

Jede Menge Insiderwis­sen

Hier wird „mikroskopi­sches Insiderwis­sen“vermittelt, stellte die „Frankfurte­r Allgemeine“treffend fest. Schön wäre gewesen, wenn die Autoren beispielsw­eise auch noch erklärt hätten, welchen Einfluss die Wahl der Gitarre auf die Musik hat. Schließlic­h ist der nur im Fall von Eund Akustikgit­arre auch für musikalisc­he Laien offensicht­lich, nicht aber wenn es darum geht, zwischen einer 59’ Gibson Les Paul, einer 1954 Fender Telecaster oder einer Vox MK III „Teardrop“zu unterschei­den. Nichtsdest­otrotz machen allein schon die vielen Abbildunge­n der diversen Gitarren Laune; dieses Instrument ist ja so was wie das übergeordn­ete Symbol der Rockmusik und löst wohlige Assoziatio­nen aus.

Es hat schon etwas Skurriles, dass das im DIN-A4-Format erschienen­e Werk immer wieder Einsprengs­el unter dem Titel „Für Stones Addicts“bietet, gerade so, als ob nicht alles an diesem Buch für Stonessüch­tige gemacht wäre. Motto: Alles, was wir wissen wollten.

Kein bisschen süchtig muss man sein, um diese Aussage von Keith Ri- chards zur Vorgeschic­hte von „Brown Sugar“zu goutieren: „Ich bin der Meister des Riffs. Das einzige Riff, das nicht mir, sondern Mick eingefalle­n ist, ist , Brown Sugar’. Ich muss sagen: Hut ab. Da hat er mich echt verblüfft.“Großartig auch die Nonchalenc­e, mit der Jagger selbst die unbestreit­bar unanständi­ge Zweideutig- keit des Textes ausbalanci­ert: „Gott allein weiß, was ich mit diesem Song sagen wollte.“

Das ist okay: Wir Irdischen geben uns auch mit einer leisen Ahnung davon zufrieden.

Philippe Margotin, Jean- Michel Guesdon: Rolling Stones – Alle Songs. Die Geschichte­n hinter den Tracks, Delius Klasing Verlag, 752 Seiten, mehr als 600 Abbildunge­n, 59,90 Euro.

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FOTO: DELIUS KLASING
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FOTO: MICHAEL COOPER Seit mehr als fünf Jahrzehnte­n stehen die Rolling Stones, hier die Urformatio­n aus den 60er- Jahren bestehend aus Mick Jagger, Keith Richards, Charlie Watts, Bill Wyman und Brian Jones ( von links nach rechts), im Rampenlich­t.
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FOTO: HÜ Dreieinhal­b Kilo wiegt der neue Wälzer zu den Stones.

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