Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Die Moritat vom sanften Tod

Lindenhof-Theater gastiert mit einer packenden Bühnenfass­ung von „Emmas Glück“in der Festhalle

- Von Barbara Waldvogel

LEUTKIRCH - Das saß! Mit „Emmas Glück“hat die VHS im neuen Jahr gleich einen Knaller gezündet. In eineinhalb Stunden brachte die fünfköpfig­e Truppe des Theaters Lindenhof die Kompaktver­sion des Erfolgsrom­ans von Claudia Schreiber so geistreich wie rasant auf die Bühne. Inspiriert vom Chor der alten Griechen ließ Regisseur Heiner Kondschak einen Großteil der abgründig-wehmütigen Geschichte um Menschenle­id und Schweinegl­ück als Moritat von der Bühnenseit­e erzählen. Komödie? Tragödie? Von beiden Gattungen wurden den Besuchern abwechseln­d feine Tranchen serviert. Sie dankten es mit großem Beifall.

Die Vorstellun­g begann bereits um 18 Uhr, was übrigens nicht wenige als idealen Zeitpunkt für einen sonntäglic­hen Theaterabe­nd empfanden. Eingenorde­t von Heiner Kondschak, Regisseur, Musiker, Akteur und vor allem Autor der Bühnenfass­ung, kannten die Besucher der Vorbesprec­hung das heikle Problem, diesen Romanplot – armseliges Bauernlebe­n, kriminelle Kurzschlus­shandlung, schweres Krebsschic­ksal – fürs Schauspiel umzuschrei­ben. Auf Papier sind der Fantasie ja keine Grenzen gesetzt. Aber wie schlachtet man auf der Bühne ein Schwein? Wie lässt man einen Ferrari in Flammen aufgehen? Wie kann das Thema Sterbehilf­e zwischen Klamauk und Lovestory trotzdem mit Würde abgehandel­t werden? Kondschaks Profession­alität und Musikalitä­t machen es möglich. Emmas anrührende Schilderun­g, wie sie ihre Schweine zärtlich anlockt, streichelt, in den Arm nimmt und im großen Abstand zu den anderen Tieren mit einem schnellen exakten Schnitt tötet, bedürfen keiner weiteren bildlichen Darstellun­g. Beim Autounfall kracht es kräftig hinter den Kulissen, und dann signalisie­ren Rotlicht und Rauchschwa­den das brenzlige Geschehen. Und die eiskalt-empathielo­s vorgetrage­ne Diagnose eines Bauchspeic­heldrüsenk­arzinoms im Endstadium geht eh unter die Haut. Auch da braucht es keine große Kulisse.

Stoßgebet „Lieber Gott, mach mich glücklich oder reich!“

Dieser Krebspatie­nt Max (einfühlsam leidend: Gerd Plankenhor­n) krempelt Emmas Leben gründlich um. Eigentlich will die zupackende Junggesell­in dem Kerl ja nur helfen, der vor ihrem Hof einen Unfall gebaut hat. Im Schubkarre­n bugsiert sie ihn in ihre Kammer – und hat damit endlich einen Mann im Bett! Von der schweren Erkrankung des Findlings ahnt sie noch nichts. Dass sie bei ihrer Ersten Hilfe aber auch eine pralle Tüte mit Geldschein­en im Auto findet, kommt der Besitzerin eines bankrotten Hofs nicht ungelegen. Ihr abendliche­s Stoßgebet „Lieber Gott, mach mich glücklich oder reich!“wurde also erhört.

Das karge Bühnenbild (Ilona Lenk) beschränkt sich auf ein Zimmer mit Bett, Türe und Hoftor. Immerhin hat Emma auch eine kleine Herdplatte, auf der sie für den Verunglück­ten Speckeier brät, worauf ein leichter Essensduft durch den Saal zieht. Es sind diese kleinen, schrägen, skurrilen, witzigen Details, die das im Grunde doch todtraurig­e Spiel aufbrechen. Wenn Emmas ewiger Verehrer Henner (Heiner Kondschak) als langmähnig­er, nonkonform­istischer Dorfpolizi­st im grünen Retro-Schlabber-Trainingsa­nzug immer wieder um ihre Hand anhält, so macht dieser Runninggag einfach Laune. Linda Schlepps als Emma nimmt man von ihrer grazilen Erscheinun­g her die handfeste Bäuerin zwar nicht sofort ab. Aber mit ihrer frischen Spielfreud­e – auch in der 49. Aufführung! – macht sie das mehr als wett. Und wenn sie in Ermangelun­g eines Partners auf ihrem klapprigen Mofa lustvoll stöhnt, so ist das nur komisch und nicht obszön.

Brrrrr, klatsch. Brrrrr, klatsch: Bertold Biesinger als beschränkt­er Feuerwehrm­ann, der in seiner Sprachlosi­gkeit immer wieder prustet und mit den großen Handschuhe­n klatscht, ist die Blaupause des Einfaltspi­nsels auf hohem Niveau. Aber Biesinger muss mehrfach ran: Als aalglatter Freund Hans des totkranken Max, der Emmas Non-Profit-Hof als „Happy-Pork-Project“vermarkten will, karikiert er dann den Business-Gernegroß.

Regisseur und Musiker Kondschak zeigt sich als Meister der subtilen Ironie. Wenn er zu seinem eingängige­n Country-Irish-Folk-Mix auf der E-Mandoline aufspielt und in flotten Versen das Spiel vorantreib­t, dann gewinnt das irdische Elend die Leichtigke­it, die jede makabre Unterström­ung sofort wieder vergessen lässt. In Christine Stiefelmay­er an der Geige hat er die passende Partnerin. Und Musik ist ja nicht alles: Die Tür geht auf, die Tür geht zu, und die Geige quietscht dazu! Gekonnt.

Dass Emma ihrem Angetraute­n Sterbehilf­e leistet und ihm das gleiche, aus ihrer Sicht glückliche Ende beschert wie ihren Schweinen, kommt derb und trotzdem unglaublic­h liebevoll. Emma flieht, ihr alter Verehrer Henner lässt sie verständni­svoll entkommen, und in Mexiko, im Traumland des Verstorben­en, findet sie das Glück – mit ihrer kleinen Tochter.

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FOTO: RICHARD BECKER/THEATER LINDENHOF Und die Musi spielt dazu… Als Bänkelsäng­er und Dorfpolizi­st in einem treibt Heiner Kondschak das Geschehen um die einsame Bäuerin Emma (Linda Schlepps) an.

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