Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Die Moritat vom sanften Tod
Lindenhof-Theater gastiert mit einer packenden Bühnenfassung von „Emmas Glück“in der Festhalle
LEUTKIRCH - Das saß! Mit „Emmas Glück“hat die VHS im neuen Jahr gleich einen Knaller gezündet. In eineinhalb Stunden brachte die fünfköpfige Truppe des Theaters Lindenhof die Kompaktversion des Erfolgsromans von Claudia Schreiber so geistreich wie rasant auf die Bühne. Inspiriert vom Chor der alten Griechen ließ Regisseur Heiner Kondschak einen Großteil der abgründig-wehmütigen Geschichte um Menschenleid und Schweineglück als Moritat von der Bühnenseite erzählen. Komödie? Tragödie? Von beiden Gattungen wurden den Besuchern abwechselnd feine Tranchen serviert. Sie dankten es mit großem Beifall.
Die Vorstellung begann bereits um 18 Uhr, was übrigens nicht wenige als idealen Zeitpunkt für einen sonntäglichen Theaterabend empfanden. Eingenordet von Heiner Kondschak, Regisseur, Musiker, Akteur und vor allem Autor der Bühnenfassung, kannten die Besucher der Vorbesprechung das heikle Problem, diesen Romanplot – armseliges Bauernleben, kriminelle Kurzschlusshandlung, schweres Krebsschicksal – fürs Schauspiel umzuschreiben. Auf Papier sind der Fantasie ja keine Grenzen gesetzt. Aber wie schlachtet man auf der Bühne ein Schwein? Wie lässt man einen Ferrari in Flammen aufgehen? Wie kann das Thema Sterbehilfe zwischen Klamauk und Lovestory trotzdem mit Würde abgehandelt werden? Kondschaks Professionalität und Musikalität machen es möglich. Emmas anrührende Schilderung, wie sie ihre Schweine zärtlich anlockt, streichelt, in den Arm nimmt und im großen Abstand zu den anderen Tieren mit einem schnellen exakten Schnitt tötet, bedürfen keiner weiteren bildlichen Darstellung. Beim Autounfall kracht es kräftig hinter den Kulissen, und dann signalisieren Rotlicht und Rauchschwaden das brenzlige Geschehen. Und die eiskalt-empathielos vorgetragene Diagnose eines Bauchspeicheldrüsenkarzinoms im Endstadium geht eh unter die Haut. Auch da braucht es keine große Kulisse.
Stoßgebet „Lieber Gott, mach mich glücklich oder reich!“
Dieser Krebspatient Max (einfühlsam leidend: Gerd Plankenhorn) krempelt Emmas Leben gründlich um. Eigentlich will die zupackende Junggesellin dem Kerl ja nur helfen, der vor ihrem Hof einen Unfall gebaut hat. Im Schubkarren bugsiert sie ihn in ihre Kammer – und hat damit endlich einen Mann im Bett! Von der schweren Erkrankung des Findlings ahnt sie noch nichts. Dass sie bei ihrer Ersten Hilfe aber auch eine pralle Tüte mit Geldscheinen im Auto findet, kommt der Besitzerin eines bankrotten Hofs nicht ungelegen. Ihr abendliches Stoßgebet „Lieber Gott, mach mich glücklich oder reich!“wurde also erhört.
Das karge Bühnenbild (Ilona Lenk) beschränkt sich auf ein Zimmer mit Bett, Türe und Hoftor. Immerhin hat Emma auch eine kleine Herdplatte, auf der sie für den Verunglückten Speckeier brät, worauf ein leichter Essensduft durch den Saal zieht. Es sind diese kleinen, schrägen, skurrilen, witzigen Details, die das im Grunde doch todtraurige Spiel aufbrechen. Wenn Emmas ewiger Verehrer Henner (Heiner Kondschak) als langmähniger, nonkonformistischer Dorfpolizist im grünen Retro-Schlabber-Trainingsanzug immer wieder um ihre Hand anhält, so macht dieser Runninggag einfach Laune. Linda Schlepps als Emma nimmt man von ihrer grazilen Erscheinung her die handfeste Bäuerin zwar nicht sofort ab. Aber mit ihrer frischen Spielfreude – auch in der 49. Aufführung! – macht sie das mehr als wett. Und wenn sie in Ermangelung eines Partners auf ihrem klapprigen Mofa lustvoll stöhnt, so ist das nur komisch und nicht obszön.
Brrrrr, klatsch. Brrrrr, klatsch: Bertold Biesinger als beschränkter Feuerwehrmann, der in seiner Sprachlosigkeit immer wieder prustet und mit den großen Handschuhen klatscht, ist die Blaupause des Einfaltspinsels auf hohem Niveau. Aber Biesinger muss mehrfach ran: Als aalglatter Freund Hans des totkranken Max, der Emmas Non-Profit-Hof als „Happy-Pork-Project“vermarkten will, karikiert er dann den Business-Gernegroß.
Regisseur und Musiker Kondschak zeigt sich als Meister der subtilen Ironie. Wenn er zu seinem eingängigen Country-Irish-Folk-Mix auf der E-Mandoline aufspielt und in flotten Versen das Spiel vorantreibt, dann gewinnt das irdische Elend die Leichtigkeit, die jede makabre Unterströmung sofort wieder vergessen lässt. In Christine Stiefelmayer an der Geige hat er die passende Partnerin. Und Musik ist ja nicht alles: Die Tür geht auf, die Tür geht zu, und die Geige quietscht dazu! Gekonnt.
Dass Emma ihrem Angetrauten Sterbehilfe leistet und ihm das gleiche, aus ihrer Sicht glückliche Ende beschert wie ihren Schweinen, kommt derb und trotzdem unglaublich liebevoll. Emma flieht, ihr alter Verehrer Henner lässt sie verständnisvoll entkommen, und in Mexiko, im Traumland des Verstorbenen, findet sie das Glück – mit ihrer kleinen Tochter.