Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Jedem Dritten geht im Pflegeheim Geld aus
Altersarmut: Hunderte Senioren sind auf Sozialhilfe angewiesen
KEMPTEN (jan) - Etwa ein Drittel aller Senioren, die in einem Pflegeheim umsorgt werden, können die Kosten nicht aus eigener Tasche zahlen und sind auf Sozialhilfe angewiesen. In Kempten und im Oberallgäu musste der Bezirk Schwaben für 706 Menschen mit 7,3 Millionen Euro einspringen. Der Kemptener Hochschulprofessor Philipp Prestel warnt davor, dass mit zunehmender Altersarmut und steigender Lebenserwartung die Zahl der nicht mehr nur körperlich, sondern auch finanziell Hilfsbedürftigen massiv steigen wird. Was dagegen kaum noch zunehmen kann, ist die Scham vieler Senioren über die Abhängigkeit vom Staat. Diese bedrückende Erfahrung macht Yvonne Spöcker, Sprecherin der Interessengemeinschaft der Kemptener Heime, ein ums andere Mal.
Ein Drittel ist nach Einschätzung der Pflegeexperten viel – und dennoch stehen Kempten und das Oberallgäu mit diesem Wert vergleichsmäßig noch gut da. Deutschlandweit, sagt Professor Prestel von der Fakultät Soziales und Gesundheit, erhielten zuletzt 326 000 Menschen Leistungen aus dem Finanztopf „Hilfe zur Pflege“– das sind 48 Prozent aller Heimbewohner.
„In aller Regel“, sagt Spöcker als Heimleiterin des Kemptener AllgäuStifts, „können unsere Bewohner zunächst noch selbst zahlen, wenn sie zu uns kommen.“Die meisten hätten Rücklagen zwischen 10 000 und 15 000 Euro. Normalerweise würde die Heimleiterin das gar nicht erfahren, allzu oft ist das kleine Vermögen aber schnell aufgebraucht, sofern die Rente niedrig ist. Die Heimkosten setzen sich aus den Teilbeträgen für den Pflegeaufwand, für Unterkunft und Verpflegung, einem Investitionsanteil sowie einer Ausbildungsumlage zusammen. Abhängig von Pflegebedürftigkeit und Standard des Heimes geht es im Bereich Kempten und Oberallgäu um eine Summe zwischen 2500 und 4500 Euro pro Monat.
Ist das Geld ausgegangen, bemerkt dies das Heim immer wieder erst dann, wenn nach der zweiten Mahnung für eine nicht beglichene Monatsrechnung die Verwaltung stutzig wird. „Rechtzeitig offen darüber zu sprechen, wäre wichtig. Aber viele schämen sich so sehr, dass sie nichts sagen“, erläutert Spöcker. Dabei sollte ein Antrag auf „Hilfe zur Pflege“mindestens zwei Monate vor der Hilfsbedürftigkeit gestellt werden.
Stellen kann einen solchen Antrag nur der Betroffene, dessen Angehörigen oder ein richterlich bestellter Betreuer. Hat es Auswirkungen für den Heim-Alltag, wenn ein Bewohner auf staatliche Unterstützung angewiesen ist? Gibt es beispielsweise Unterschiede bei den Leistungen? „Nein“, sagt Spöcker bestimmt. „Alle Bewohner sind gleich zu behandeln“. Das Personal in den Wohnbereichen wisse gar nicht, wie die Kosten beglichen werden. Bei der Pflege könne ohnehin kein Unterschied gemacht werden. Und der früher nötige Antrag auf einen „Einzelzimmerzuschlag“habe sich in fast allen Heimen erledigt, weil es kaum noch Mehrbettzimmer gibt.
Der gesellschaftspolitisch bedenkliche Trend immer höherer Sozialhilfeleistungen macht aus Überzeugung von Professor Prestel eines deutlich: Jeder sollte „alle denkbaren Programme zur Altersversorgung nutzen, um das Pflegerisiko abzusichern“.