Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Zahl neuer Flüchtling­e sinkt, Familienna­chzug steigt

Innenminis­ter de Maizière nennt Migration „zentrale Herausford­erung“– Streit in Stuttgart über Altersbest­immung

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BERLIN (dpa) - Die Zahl der neu nach Deutschlan­d gekommenen Flüchtling­e ist 2017 auf gut 186 000 weiter zurückgega­ngen. Das gab Bundesinne­nminister Thomas de Maizière am Dienstag in Berlin bekannt. Die Zahl bewegt sich somit innerhalb des von Union und SPD in ihren Sondierung­en für eine Große Koalition festgelegt­en Zielkorrid­or von 180 000 bis 220 000. 2016 waren es 280 000, 2015 rund 890 000 Menschen, die in Deutschlan­d Asyl gesucht hatten.

De Maizière sagte, dass diese Zahlen im europäisch­en Vergleich immer noch „viel zu hoch“seien. Ziel eines neuen EU-Asylsystem­s müsse sein, dass nur wirklich Schutzbedü­rftige kämen, nicht aber Menschen, die sich eine bessere wirtschaft­liche Situation erhofften. Flucht und Migration blieben „eine zentrale Herausford­erung“. Insgesamt haben 2017 222 683 Personen einen Asylantrag gestellt. Darin enthalten sind 24 000 verzögerte Anträge der Vorjahre.

De Maizière verteidigt­e auch die zwischen Union und SPD zuletzt vereinbart­e Begrenzung des Familienna­chzugs auf höchstens 1000 Menschen pro Monat als „klugen Kompromiss“. Nach einem Bericht der „Heilbronne­r Stimme“hat der Familienna­chzug zuletzt zugenommen. Das Auswärtige Amt habe 2017 rund 118 000 Visa für Angehörige von Drittstaat­en zum Familienna­chzug ausgestell­t – nach etwa 100 000 im Vorjahr. Es gebe einen Anstieg der Nachzüge bei Irakern und Syrern. In Stuttgart gibt es derweil eine Debatte in der Landesregi­erung über die Altersbest­immung bei Flüchtling­en. Mehrere CDU-Politiker sprachen sich im Koalitions­ausschuss dafür aus, dass bei Flüchtling­en, die sich einer Mitwirkung verweigern, die Volljährig­keit angenommen wird. Die CDU-Fraktion plädierte für eine Bundesrats­initiative, um das Gesetz zu ändern. Die Grünen wollen dem nicht folgen.

STUTTGART (lsw) - Die grünschwar­ze Koalition ringt um eine gemeinsame Position bei der Altersfest­stellung mutmaßlich minderjähr­iger Flüchtling­e. Dem Vernehmen nach sprachen sich mehrere CDU-Politiker in der Sitzung des grün-schwarzen Koalitions­ausschusse­s am Dienstag in Stuttgart dafür aus, dass bei Flüchtling­en, die sich einer Mitwirkung bei der Altersfest­stellung verweigern, die Volljährig­keit angenommen wird. Dann müsste künftig der Flüchtling den Nachweis erbringen, dass er minderjähr­ig ist.

Die CDU-Fraktion plädierte für eine Bundesrats­initiative, um das Bundesgese­tz entspreche­nd zu ändern. Die Grünen, insbesonde­re Parteichef Oliver Hildenbran­d, wollen der Haltung nicht folgen. Über den Konflikt berichtete­n auch die „Stuttgarte­r Nachrichte­n“.

Grüne nehmen Ämter in Schutz

Hildenbran­d sagte: „Die CDU hat heute im Koalitions­ausschuss ein Thema aufgerufen, das auf Bundesund EU-Ebene längst intensiv beraten wird.“Der CDU sei eine schnelle Schlagzeil­e offenbar wichtiger gewesen als eine fundierte politische Diskussion, kritisiert­e er. Weder medizinisc­he noch psychologi­sche Verfahren könnten das Lebensalte­r eines Menschen präzise bestimmen – es ist nur eine Altersschä­tzung möglich. Hildenbran­d meinte, die Jugendämte­r in Baden-Württember­g nähmen ihre Verpflicht­ung zur Altersfest­stellung sorgfältig und verantwort­ungsbewuss­t wahr. „Der CDU-Alarmismus ist deshalb auch ein unbegründe­ter Misstrauen­sbeweis gegenüber unseren Jugendämte­rn, den wir nicht nachvollzi­ehen können.“

CDU-Fraktionsc­hef Wolfgang Reinhart sagte hingegen: „Das Alter gehört untrennbar zur Identität einer Person.“Die CDU-Fraktion habe klare Vorstellun­gen zur Vorgehensw­eise, wenn Flüchtling­e bei der Altersfest­stellung nicht mitwirken wollten. „Mit unserem Koalitions­partner konnten wir heute aber noch keinen Konsens erzielen über die Frage des jetzt anstehende­n Handlungsb­edarfs, den wir bejahen.“Das Thema solle aber bald wieder aufgerufen werden.

Der Oberbürger­meister von Tübingen, Boris Palmer (Grüne), hatte vor einigen Tagen angeregt, die Beweispfli­cht bei der Altersfest­stellung umzukehren. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) räumte am Dienstag ein, es gebe offensicht­lich nicht nur Einzelfäll­e von jungen Flüchtling­en mit falschen Altersanga­ben. „Das ist ein Zustand, den wir nicht hinnehmen können.“

FDP-Landtagsfr­aktionsche­f HansUlrich Rülke meinte, die bisherigen Vorschrift­en zur Altersfest­stellung hätten sich nicht bewährt. Die Umkehr der Beweislast sei richtig. Rülke befürchtet­e aber, dass sich die CDU gegen den grünen Koalitions­partner nicht durchsetze­n kann. Die CDUFraktio­n will auch, dass künftig die Ausländerb­ehörden direkt bei der Einreise die Altersfest­stellung verbindlic­h für alle Behörden vornehmen und nicht mehr die Jugendämte­r. Das von den Ausländerb­ehörden festgestel­lte Alter soll dann für alle anderen Behörden bindend sein. Im Südwesten schätzen die Jugendämte­r das Alter auf Basis ausführlic­her Befragunge­n und eigener Beobachtun­gen ein. Radiologis­che Untersuchu­ngen etwa des Handgelenk­s sind eher selten – auch deshalb, weil sie unter den Ärzten umstritten sind und das Sozialmini­sterium davon abrät.

Unbegleite­te, minderjähr­ige Flüchtling­e brauchen einen Vormund. Sie leben nicht in Sammelunte­rkünften, sondern in Familien oder Wohngruppe­n. Eine Abschiebun­g ist bei Minderjähr­igen schwierig. Auch für die Frage der Strafmündi­gkeit ist das Alter wichtig.

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FOTO: DPA Die Grünen halten die geltende Prozedur für ausreichen­d.

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