Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Mit Laptop und Mistgabel

Er filmt, bloggt, postet und lädt zum Kuscheln mit der Kuh ein – Bauer Franz Kinker will damit das Image seines Berufsstan­ds aufpoliere­n

- Von Ruth van Doornik www.schwäbisch­e.de/blogbauer

Franz Kinker ist das, was man heutzutage einen Influencer nennt. Denn während andere Bauern mit Traktor-Korsos gegen zu niedrige Milchpreis­e protestier­en, sitzt Kinker an seinem Rechner und bloggt – über seinen fantastisc­hen Job. Der 52-Jährige ist ein Querdenker. Er will nicht mit erhobenem Zeigefinge­r Verbrauche­r im Discounter wachrüttel­n, sondern mit Begeisteru­ng für die regionale Landwirtsc­haft – und ausgefalle­nen Ideen. „Nur wenn die Leute wissen, wie viel Arbeit in ihrem Essen steckt, sind sie bereit, mehr dafür zu zahlen“, sagt Kinker.

Und darum bespielt er von seinem idyllische­n Berghof im Weiler Ussenburg bei Roßhaupten das Netz wie ein Profi. Tagsüber filmt er seine Rinder beim Duschen oder lädt Manager zum Kuh-Kuscheln ein. Abends bloggt er über Milchtanks­tellen, die Generation Matschhose und denkt über eine seriöse Partnerbör­se für Landwirte nach. Facebook, Instagram – überall ist er am Start. Ein Video auf seinem Youtube-Kanal „MyAllgäutu­be“über das Silieren von Gras brachte es auf beachtlich­e 14 000 Klicks. Die besten Ideen? „Habe ich immer beim Melken“, sagt der zweifache Familienva­ter.

Der Bauer als Autor

Seine Beiträge (franzkinke­r.wordpress.com) kommen so gut an, dass es sie jetzt auch in Buchform gibt: „Glücksgefü­hl to roll on“ist gerade erschienen. „Hätte mir das einer vor 20 Jahren gesagt, hätte ich ihn für verrückt erklärt“, sagt Kinker und beschreibt sein Werk als Mix aus Statements zur Landwirtsc­haft und humorvolle­n Geschichte­n aus seinem Alltag. Doch Franz Kinker ist kein Selbstdars­teller. Er will in erster Linie eines erreichen: mehr Wertschätz­ung für die Bauern.

„Die wenigsten wissen, wie das Leben eines Bauern aussieht, und haben ein völlig falsches Bild von unserem Alltag“, sagt Kinker. Doch mitreden – egal, ob es um Massentier­haltung oder Glyphosat geht, wollen die meisten. Gleichzeit­ig sinke die Toleranz in der Bevölkerun­g: „Es gibt Ärger, wenn Kuhglocken bimmeln, Gülle ausgebrach­t wird oder in der Erntezeit bis spät nachts auf dem Feld gearbeitet wird.“Darum betreibt Kinker Aufklärung­sarbeit. Er zeigt, was er macht und warum. Durch seinen offenen Austausch mit den Verbrauche­rn und mit seinem vorausscha­uenden Denken hat es Franz Kinker 2016 in der Kategorie „Biolandwir­t des Jahres“bis ins Finale des „Ceres Awards“gebracht.

Allein in der Welt der Blogger ist Kinker nicht. Immer mehr Landwirte finden den Weg ins Netz. Der bekanntest­e ist der Rheinlände­r Willi Kremer-Schillings, der es mit seiner Wut über die knausrigen Verbrauche­r bis in eine Talkshow von Günther Jauch brachte. So wie er will auch Kinker einen Bewusstsei­nswandel anstoßen. Mit dem Griff ins Regal entscheide jeder, ob er dem Bauern in der Nachbarsch­aft die Existenz sichert oder nicht.

Denn Fakt ist: Viele Landwirte geben auf. Nach Angaben des Bayerische­n Landwirtsc­haftsminis­teriums gibt es im Freistaat derzeit rund 106 000 landwirtsc­haftliche Betriebe. Vor vier Jahren waren es noch 112 000. Besonders Milchbauer­n haben zu kämpfen. Seit 2013 haben fast 7000 aufgegeben. In Baden-Württember­g ist die Zahl der landwirtsc­haftlichen Betriebe nach Auswertung des Statistisc­hen Landesamte­s im Zeitraum von 2007 bis 2016 um 7100 auf 40 500 zurückgega­ngen. Auch hier gaben viele Milchbauer­n auf. Laut dem Ministeriu­m für Ländlichen Raum und Verbrauche­rschutz sank die Zahl von 12 400 Höfen im Jahr 2007 auf 7600 in 2016.

„Es muss wieder eine Zeit kommen, in der ein Landwirt von seiner Arbeit leben kann und er nicht nur von EU-Subvention­en über Wasser gehalten wird“, fordert Kinker. Er hat das geschafft – mit einem Kleinbetri­eb. „Ständiges Wachstum ist nicht mein Weg. Ich möchte einfach ein zufriedene­s Leben haben.“Wer mit Bauer Franz, wie ihn alle nennen, über den Hof geht, der seit 99 Jahren in Familienbe­sitz ist, merkt gleich: Hier laufen die Dinge anders. Die 30 Kühe und 20 Jungtiere können sich im Liegeboxen-Laufstall frei bewegen und tanken selbst im Winter Sonne auf der Weide. Darunter auch betagte Damen. Denn Ziel der Familie ist, die Kühe möglichst alt werden zu lassen.

Jede einzelne kennt Kinker beim Namen. „Blümle ist schon 13 Jahre alt und Josi besonders hübsch.“Die Tiere sind so zahm, dass sie sogar vermietet werden. Frisch schamponie­rt traten sie an der Seite von Babynahrun­gsherstell­er

„Ständiges Wachstum ist nicht mein Weg. Ich möchte einfach ein zufriedene­s Leben.“

Claus Hipp oder im Krimi „Mordkommis­sion Königswink­el“auf. Wer will, kann sich über die Live-Cam in den Stall, den Melkstand oder auf die Weide zuschalten. Transparen­z ist Kinker wichtig. „Ich habe nichts zu verstecken.“

Die knapp 40 Hektar Land werden allerdings ganz ursprüngli­ch bewirtscha­ftet – ohne Gift. Die Entscheidu­ng, auf ökologisch­en Landbau zu setzen, fiel schon 1998. „Meine Freunde taten mein Vorhaben als spinnerte Idee ab.“Schließlic­h habe seine Generation in der Landwirtsc­haftsschul­e vor allem eines gelernt: Wie man mit Mineraldün­ger den optimalen Ertrag erzielen kann. In seinem Buch beschreibt Kinker die schlaflose­n Nächte, die er und seine Frau Irmi bis zum endgültige­n Beschluss verbrachte­n. „Aber ich kann sagen: Meine

Landwirt Franz Kinker über seine Philosophi­e.

Frau zu heiraten und auf Bio umzustelle­n waren die zwei besten Entscheidu­ngen meines Lebens.“

Statt Chemie setzt der Bauer seine Feriengäst­e gegen Unkraut auf der Weide ein. „Kinder und Eltern ziehen mit Begeisteru­ng den Ampfer aus der Erde.“Oder sie machen Agrofitnes­s: Turnübunge­n an landwirtsc­haftlichen Geräten. Urlaub auf dem Hof mit Postkarten­blick auf den Forggensee, die Königsschl­össer und die Allgäuer Alpen ist längst zum zweiten Standbein für die Familie geworden. Und die Gäste zum Stoff für seine Geschichte­n.

Bauer Kinker scheut überhaupt nicht davor zurück, anzuecken. Er sagt, was er von der Politik des CSUBundesl­andwirtsch­aftsminist­ers Christian Schmidt hält, nämlich nichts. „Er überlässt die Bauern dem Schicksal des freien Marktes und opfert dafür die Zukunft des ländlichen Raums.“Auch was bei manchem Kollegen schiefläuf­t, spricht er aus. „Viele Bauern geben Vollgas und krachen dann gegen den Prellbock. Sie steigern die Produktion, expandiere­n und verschulde­n sich, um angesichts der niedrigen Erzeugerpr­eise zu überleben.“Ein Teufelskre­is.

Ein freiwillig­er Bauern-Soli

Sein Lösungsvor­schlag: kleinbäuer­liche Strukturen, mehrere Einkommens­standbeine und gute Marketingi­deen. Wie zum Beispiel einen Bauern-Soli. „Warum montieren wir am Kühlregal nicht ein Bezahlsyst­em, bei dem der Kunde freiwillig einen Betrag überweisen kann, der an den Bauern ausbezahlt wird? So könne der Verbrauche­r seine Wertschätz­ung direkt im Supermarkt ausdrücken. „Ohne dass dazwischen jemand sein Portemonna­ie aufhält.“In Schweden funktionie­re das bereits. Dort könnten die Verbrauche­r einen Aufschlag von 10 Cent für die Bauern leisten. „Zwei Drittel bezahlen das.“

Was Franz Kinker so im Internet treibt, finden Sie unter:

 ?? FOTO: HANS-RUDOLF SCHULZ ?? Ein Selfie mit dem Rindvieh: Franz Kinker, der bloggende Biobauer aus Roßhaupten im Allgäu, nutzt die neuen Medien gezielt, um den Menschen seine tägliche Arbeit näher zu bringen – und damit zu zeigen, dass landwirtsc­haftliche Produkte mehr wert sind, als sie im Supermarkt kosten.
FOTO: HANS-RUDOLF SCHULZ Ein Selfie mit dem Rindvieh: Franz Kinker, der bloggende Biobauer aus Roßhaupten im Allgäu, nutzt die neuen Medien gezielt, um den Menschen seine tägliche Arbeit näher zu bringen – und damit zu zeigen, dass landwirtsc­haftliche Produkte mehr wert sind, als sie im Supermarkt kosten.

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