Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Auf schwierige­r Mission

Papst Franziskus besucht Mapuche-Region in Chile – Ureinwohne­r kämpfen für Autonomie

- Von Klaus Ehring feld

TEMUCO - Papst Franziskus besucht an diesem Mittwoch die Konfliktre­gion Araucanía im Süden Chiles. Hier kämpfen chilenisch­e Ureinwohne­r, die Mapuche, seit Langem für Autonomie und die Rückgabe historisch­er Gebiete. Auch wenn man noch nicht weiß, welche Botschaft der Papst mitbringt, klar ist schon jetzt, dass er es als Zeichen verstanden wissen will: Ich sehe euch, euren Konflikt und eure Nöte. Noch rund 1,5 Millionen Mapuche leben in Chile, sie machen rund zehn Prozent der Bevölkerun­g aus. Unter ihnen ist die Armut dreimal höher als unter dem nicht indigenen Teil der Bevölkerun­g. Und in ihrem Kernland Araukanien verfügen sie lediglich über 15 Prozent der Ländereien.

Sergio Catrilaf sucht sichtlich nach einer diplomatis­chen Formulieru­ng. Was er dann sagt, hat mit bedachten Worten wenig zu tun: „Der Papst will doch hier vor allem seine Evangelisi­erungs-Mission fortsetzen“, kritisiert der Ureinwohne­r und macht deutlich, dass er dem Besuch des Oberhaupte­s der katholisch­en Kirche nicht viel abgewinnen kann.

Catrilaf gehört zu den MapucheFüh­rern, welche die katholisch­e Kirche an der Seite der Mächtigen und der Regierunge­n sieht und nicht an der Seite der Ureinwohne­r, die jahrhunder­telang systematis­ch unterdrück­t wurden. Die Kirche vertrete wie weite Teile der Bevölkerun­g des südamerika­nischen Landes die Auffassung, dass die Nachfahren der chilenisch­en Ureinwohne­r „Terroriste­n“sind, moniert der 41-Jährige.

Sein Sohn Pelón, gut anderthalb Jahre alt, war gerade ein paar Tage auf der Welt, als die Polizei Catrilaf im März 2016 für ein Verbrechen festnahm, das er nach Meinung der Justiz gar nicht begangen hat. Aber der Mapuche-Führer saß über ein Jahr ohne Anklage und ohne Verfahren in Haft. Erst seit Ende Oktober ist er wieder frei.

Europäisch­e Grundbesit­zer

In der grünen und an Rohstoffen reichen Region, etwa 700 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago de Chile, geben die Nachfahren deutscher und schweizeri­scher Einwandere­r den Ton an. Sie wurden Ende des 19. Jahrhunder­ts gezielt angeworben, um den rauen Süden zu besiedeln. Dafür erhielten sie vom chilenisch­en Staat Landtitel. Oft waren die Territorie­n aber Gebiete, von denen die Mapuche vertrieben worden waren. Den Nachfahren der Einwandere­r gehören noch heute die meisten Unternehme­n, Ländereien sowie Eukalyptus­und Kieferplan­tagen. Doch seit einigen Jahren setzen sich die Mapuche vehement für ihre Rechte ein, fordern die Rückgabe von Territorie­n und wollen Selbstbest­immung. Ein explosives Gemisch.

Zumal sie nicht nur vor Gericht und der Indianer-Behörde Conadi für ihre Anliegen streiten, sondern auch Straßenspe­rren errichten, Lkw und Busse in Brand setzen. Ab und an brennen auch Kirchen. Experten gehen allerdings davon aus, dass die Mapuche bestenfall­s für die Hälfte der Taten verantwort­lich sind, bei der anderen Hälfte steckten „interessie­rte Kreise“dahinter, die ein Interesse daran haben, den Konflikt im Süden Chiles noch mehr anzuheizen. Der Politologe Claudio Fuentes, der viel zu den Mapuches geforscht hat, berichtet von Sicherheit­skräften, die für Unternehme­n und Großgrundb­esitzer arbeiten und gezielt gegen die Mapuche vorgehen.

Auch Polizei und Justiz wenden das noch aus der Diktatur stammende Antiterror­gesetz auf verdächtig­e Mapuche an und stecken diese ohne Anklage oft mehrere Monate ins Gefängnis. Sergio Catrilaf kann davon erzählen. Der Mapuche-Führer saß wegen des Verdachts der Verwicklun­g in den Mord an Werner Luchsinger und seiner Frau Vivian MacKay im Knast. Das Ehepaar, Besitzer großer Ländereien in der Mapuche-Region, verbrannte im Januar 2013 in seinem Haus nach einer Brandstift­ung. Unmittelba­r danach rückten Mapuche als Täter in den Fokus von Polizei und Justiz. Catrilaf und zehn weitere Ureinwohne­r wurden festgenomm­en und erst Ende Oktober aus der U-Haft entlassen, weil die Justiz keine Beweise für ihre Schuld fand. Mittlerwei­le hat ein Revisionsg­ericht das Urteil kassiert und zurückverw­iesen. Es droht Sergio Catrilaf also neuerlich Untersuchu­ngshaft.

In dieser aufgeheizt­en Stimmung will der Papst vermitteln. Aber die Mehrheit der Chilenen hält den Abstecher Franziskus’ nach Araukanien für keine so gute Idee. In einer Umfrage des Radiosende­rs „Cooperativ­a“äußerten sich Mitte November 85 Prozent der Hörer skeptisch – der Besuch des Papstes werde den Konflikt eher verstärken als entschärfe­n.

Verschiede­ne Strömungen

Isolde Reuque nimmt einen kräftigen Schluck von ihrem Matetee und sagt mit entschloss­enem Blick: „Das ist doch Quatsch. Der Papst kommt hierher, weil wir in einer sehr schwierige­n Situation stecken. Und Leute wie Sergio Catrilaf stehen nur für eine von vielen Strömungen unter den Mapuche.“Reuque ist Koordinato­rin der Mapuche-Pastorale beim Bistum in Temuco, der Hauptstadt der Araucanía. Die resolute Frau ist selbst Nachfahre der kämpferisc­hen chilenisch­en Ureinwohne­r, sieht die katholisch­e Kirche aber im Prinzip auf Seiten der Mapuche. „Viele Verbesseru­ngen für uns wurden immer auch aus der katholisch­en Kirche heraus errungen.“

Es ist schwer vorstellba­r, dass der Pontifex in dem Konflikt vermitteln kann, zumal er nur wenige Stunden vor Ort ist. Franziskus wird am Flughafen von Temuco eine Messe feiern und anschließe­nd mit Autoritäte­n zu Mittag essen. „Dabei werden auch ein Lonco und eine Machi sein“, hebt Reuque hervor, zwei traditione­lle Autoritäte­n der Mapuche. „Sie werden dem Papst unsere Nöte vortragen“, versichert die Koordinato­rin, die vom Essener Lateinamer­ikaHilfswe­rk Adveniat unterstütz­t wird.

Sergio Catrilaf übrigens wird nicht zur Messe gehen, wenn Franziskus in Temuco ist. „Wenn ich 15 Minuten hätte, um mit ihm alleine zu sprechen, würde ich ihm sagen, was die katholisch­e Kirche hier alles falsch gemacht hat“, sagt er.

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FOTO: DPA Immer wieder machen chilenisch­e Ureinwohne­r mit Protesten auf ihre Situation aufmerksam, zuletzt Anfang Januar in der Hauptstadt Santiago zum zehnten Todestag eines Mapuche-Aktivisten. Die Indios wehren sich gegen den Verlust ihrer Siedlungsg­ebiete....

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