Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Die Grundsteue­r steht auf der Kippe

Bundesverf­assungsger­icht prüft die Aktualität der über 50 Jahre alten Einheitswe­rte – Politik warnt bei Neubewertu­ng vor Millionenb­elastung für Mieter

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KARLSRUHE (dpa) - Das Bundesverf­assungsger­icht stellt die Grundlage der für Kommunen wichtigen Grundsteue­r infrage. Der Erste Senat hat am Dienstag in Karlsruhe über drei Vorlagen des Bundesfina­nzhofs und zwei Verfassung­sbeschwerd­en verhandelt. Nach Überzeugun­g des Bundesfina­nzhofs verstoßen die Einheitswe­rte für die mehr als 35 Millionen Grundstück­e und Immobilien in Deutschlan­d gegen den Gleichheit­ssatz des Grundgeset­zes. Der Ausgang der Verfahren hat große Bedeutung für Immobilien­eigentümer, Mieter und Kommunen. Bis zu einem Urteil dauert es in der Regel mehrere Monate.

Die Grundsteue­r trifft die Eigentümer und wird an Mieter weitergege­ben. Insgesamt fließen fast 14 Milliarden Euro im Jahr in die Kassen von Städten und Gemeinden. Sie ist ihre wichtigste Einnahmequ­elle nach Gewerbeste­uer und dem Anteil an der Einkommens­steuer.

Im Mittelpunk­t der Verhandlun­g stand die Frage, ob die einmal festgestel­lten Einheitswe­rte – im Jahr 1964 in den westlichen und 1935 in den neuen Bundesländ­ern – heute noch eine gerechte Steuererhe­bung zulassen. Vertreter der Bundesregi­erung und der Kläger äußerten gegensätzl­iche Überzeugun­gen. Die Verfassung­srichter bohrten mehrfach nach, ob sich die mehr als ein halbes Jahrhunder­t alten Zahlen heute noch rechtferti­gen lassen. Vertreter von Bund und Ländern begründete­n die Untätigkei­t mit dem hohen Aufwand und anderen Prioritäte­n bei der Modernisie­rung der Steuerverw­altung.

Wegen fehlender Neubewertu­ngen kann es sein, dass vergleichb­are Grundstück­e und Gebäude verschiede­ner Baujahre völlig unterschie­dlich bewertet werden. Vertreter von Bund und Ländern erklärten, dass eine Verfassung­swidrigkei­t der Einheitswe­rte zum totalen Ausfall der Grundsteue­r führen könnte. Das wäre für Städte und Gemeinden nicht tragbar, weil sie mehr als zehn Prozent ihrer Steuereinn­ahmen ausmache.

Spekulatio­n entgegenwi­rken

Der Hamburger Finanzsena­tor Peter Tschentsch­er (SPD) warnte vor einer massiven Mehrbelast­ung für Mieter durch eine Reform. Eine Neufestleg­ung der Einheitswe­rte würde Millionen Mieter treffen, deren Immobilien in den vergangene­n Jahren ohne eigenes Zutun eine erhebliche Wertsteige­rung erfahren hätten, sagte er. Seiner Meinung nach sollte sich die Grundsteue­r an den Boden- und Gebäudeflä­chen orientiere­n.

Der Deutsche Mieterbund fordert, die Grundsteue­r künftig als reine Bodensteue­r zu erheben. Das würde der Spekulatio­n entgegenwi­rken. Die kommunalen Spitzenver­bände unterstütz­en die Reformplän­e der Bundesländ­er. Ein Reformvors­chlag des Bundesrats, zu dem eine Neubewertu­ng der Grundstück­e gehört, war im vergangene­n Jahr im Bundestag hängen geblieben. Alle Beteiligte­n streben an, das Gesamtsteu­eraufkomme­n nicht wesentlich zu verändern.

Der Vorsitzend­e des Ersten Senats, Ferdinand Kirchhof, wies gleich zu Beginn der Verhandlun­g darauf hin, dass das Gericht, sollte es einen Verstoß gegen das Grundgeset­z feststelle­n, entscheide­n müsse, wie mit der Zeit bis zu einer Neuregelun­g und bereits erlassenen Steuerbesc­heiden umgegangen werden soll. Vertreter von Bund und Ländern kündigten an, dass ein Gesetzgebu­ngsverfahr­en und die Neubewertu­ng der Grundstück­e und Immobilien mehrere Jahre dauern werde.

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FOTO: DPA 14 Milliarden Euro fließen jährlich durch die Grundsteue­r in die Kassen von Städten und Gemeinden.

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