Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

EU-Angebot an Großbritan­nien stößt auf wenig Gehör

- Von Sebastian Borger, London

Dass EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk Großbritan­nien einen Verbleib in der Europäisch­en Union angeboten hat, ist weitgehend verhallt. Sollten die „britischen Freunde“ihre Haltung ändern, stünden ihnen die Herzen der Kontinenta­leuropäer offen, sagte Tusk am Dienstag im EU-Parlament in Straßburg. Andernfall­s werde der Brexit im kommenden Jahr allerdings Realitat – mit all seinen negativen Folgen. EU-Kommission­spräsident JeanClaude Juncker ergänzte kurz darauf, er hoffe, die Botschaft Tusks komme in der britischen Regierung an.

Wie im Europäisch­en Parlament gab es auch in London darauf lediglich gedämpfte Reaktionen. Viele Medien spielten die Bedeutung der Rede des EU-Ratspräsid­enten herunter, weder von der Regierung noch von der Opposition gab es offizielle Stellungna­hmen. Hinterbänk­ler im Unterhaus demonstrie­rten die anhaltende Spaltung des Landes: Während Pro-Europäer mit Begeisteru­ng reagierten, nannte der konservati­ve EU-Hasser Bernard Jenkin Tusks Idee „absurd: Kein ernsthafte­r Mensch in diesem Land will nochmal abstimmen.“

Seit Jahresbegi­nn haben wichtige politische Akteure einem zweiten Urnengang das Wort geredet. Dazu gehören der langjährig­e Labour-Premiermin­ister Tony Blair sowie dessen einflußrei­cher früherer Mitarbeite­r Lord Andrew Adonis. Das Labour-Mitglied des Oberhauses trat vom Vorsitz einer Regierungs­kommission zurück, um freier gegen den harten Brexit-Kurs von Premiermin­isterin Theresa May argumentie­ren zu können. Vergangene Woche brachte kurioserwe­ise auch die Brexit-Galionsfig­ur Nigel Farage, einst Vorsitzend­er der EU-feindliche­n Ukip, ein zweites Referendum ins Gespräch, widersprac­h sich allerdings tags darauf wieder. Immerhin brachte es der EU-Parlamenta­rier durch seine Manöver nach monatelang­er Funkstille wieder einmal zu zahlreiche­n Medienauft­ritten.

Tusk betonte in seiner Rede vor dem Straßburge­r Parlament die negativen Folgen des Brexits für beide Seiten. Listig zitierte der EU-Ratspräsid­ent den britischen Brexit-Minister und langjährig­en EU-Gegner David Davis: „Wenn eine Demokratie ihre Meinung nicht ändern kann, hat sie aufgehört, eine Demokratie zu sein.“

Medien spielen Äußerung herunter

Die öffentlich-rechtliche BBC spielte die Interventi­on am Dienstag herunter. In den Nachrichte­nsendungen wurde Tusk entweder gar nicht erwähnt oder davon gesprochen, er habe „erneut“die Offenheit der EU betont. Die konservati­ve Times titelte, der Pole habe „ein zweites Referendum gefordert“. Hingegen echote der Labour-Abgeordnet­e Chuka Umunna Tusks Rede: Anders als von May behauptet, die den Brexit „irreversib­el“genannt hatte, dürften seine Landsleute „ihre Meinung ändern“, teilte der Pro-Europäer in einer Aussendung des Thinktanks Open Britain mit.

Die Öffentlich­keit verhält sich abwartend. Jüngste Umfragen ließen zwar den Schluss zu, das Verhältnis von Gegner und Befürworte­rn des Brüsseler Clubs habe sich seit dem Referendum (52:48 für den Austritt) umgekehrt. Die Firma ComRes sah gestern die EU-Befürworte­r sogar mit 55:45 Prozent vorn. Unklar bleibt aber, ob die Briten mehrheitli­ch überhaupt eine zweite Volksabsti­mmung binnen zwei Jahren anstreben.

Die Regierung konzentrie­rt ihre Anstrengun­gen darauf, möglichst rasch die Parameter jener Interimsph­ase bis Ende 2020 abzustecke­n, um die sie in Brüssel gebeten hat. Londoner Vorstellun­gen zufolge sollen die Konditione­n bis Ende März festgelegt werden; hingegen heißt es aus dem Umfeld des EUChefunte­rhändlers Michel Barnier, die Verhandlun­gen würden wohl bis Mitte des Jahres dauern.

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