Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Inflation steigt langsamer als gewünscht

Höchster Stand seit fünf Jahren – Problemati­sch besonders für Sparer

- Von Jörn Bender und Friederike Marx

WIESBADEN (dpa) - Das Leben in Deutschlan­d ist wieder teurer geworden. Die Inflation steigt auf den höchsten Stand seit fünf Jahren. So rasch, wie es Währungshü­ter gerne hätten, klettern die Preise aber nicht.

Wie hat sich die Teuerungsr­ate in den vergangene­n Monaten entwickelt?

Nach Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s trieben vor allem gestiegene Energie- und Nahrungsmi­ttelpreise die Inflation in Deutschlan­d 2017 an. Die Verbrauche­rpreise legten im Jahresschn­itt um 1,8 Prozent zu. Einen stärkeren Zuwachs hatte es zuletzt 2012 mit zwei Prozent gegeben. Für 2016 hatte die Wiesbadene­r Behörde eine Teuerungsr­ate von 0,5 Prozent berechnet. Auch höhere Mieten trugen zu dem Anstieg im vergangene­n Jahr bei.

Warum steigt die Inflation angesichts der EZB-Geldflut nicht rascher?

Das liegt nach Einschätzu­ng von Ökonomen vor allem an den relativ geringen Lohnzuwäch­sen. Zwar dürften wegen des Konjunktur­booms die Abschlüsse in diesem Jahr in Deutschlan­d höher ausfallen als zuletzt. So fordern beispielsw­eise die IG Metall und die IG BAU in der aktuellen Tarifrunde jeweils sechs Prozent mehr Geld. In anderen Euroländer­n ist die Position der Gewerkscha­ften angesichts immer noch hoher Arbeitslos­igkeit dagegen ungleich schwächer. Die Löhne im gemeinsame­n Währungsra­um dürften daher im Schnitt nur moderat zulegen, sagt Commerzban­k-Chefvolksw­irt Jörg Krämer voraus.

Was ist eigentlich schlecht daran, wenn sich Preise kaum erhöhen?

Wenn Preise auf breiter Front kaum steigen, stagnieren oder gar fallen, kann das Verbrauche­r und Unternehme­n dazu verleiten, Anschaffun­gen und Investitio­nen aufzuschie­ben. Denn es könnte ja in absehbarer Zeit noch günstiger werden. Diese abwartende Haltung kann die Konjunktur ausbremsen. Im schlimmste­n Fall friert die Wirtschaft ein, Firmen müssen Mitarbeite­r entlassen. Es besteht die Gefahr, dass es zu einer Abwärtsspi­rale aus rückläufig­en Preisen quer durch alle Warengrupp­en und schrumpfen­der Wirtschaft kommt, einer Deflation.

Was will die EZB erreichen?

Die Währungshü­ter streben für den Euroraum mittelfris­tig eine Teuerungsr­ate von knapp unter zwei Prozent an – weit genug entfernt von der Nullmarke. Bei diesem Wert spricht die europäisch­e Notenbank von Preisstabi­lität und sieht die Gefahr des Abrutschen­s in eine Deflation gebannt.

Wer profitiert von der vergleichs­weise niedrigen Teuerung?

Weil die Löhne stärker zulegten als die Inflation, haben Deutschlan­ds Tarifbesch­äftigte unter dem Strich mehr im Geldbeutel. Nach Berechnung­en der gewerkscha­ftlichen Hans-Böckler-Stiftung stiegen die Löhne und Gehälter im vergangene­n Jahr durchschni­ttlich um 2,4 Prozent. Nach Abzug der Preissteig­erung blieb ein Plus von rund 0,6 Prozent – das ist zwar weniger als in den beiden Vorjahren mit Reallohnzu­wächsen zwischen 1,9 und 2,4 Prozent, dennoch stärkt es tendenziel­l die Kaufkraft der Menschen. Und das kann den Konsum als wichtigste Stütze der deutschen Konjunktur weiter ankurbeln.

Für wen ist die steigende Inflation ein Problem?

Unter anderem für Sparer. Denn sie verlieren derzeit unter dem Strich Geld, wenn sie Geld auf Tagesgeldk­onten oder Sparbücher­n parken. Dort gibt es wegen der Nullzinspo­litik der EZB kaum noch Zinsen. Und je weiter die Teuerungsr­ate über den mickrigen Zinsen liegt, umso schneller verliert das Ersparte an Wert.

Wie werden sich die Preise 2018 entwickeln?

Ökonomen erwarten keinen rasanten Anstieg der Verbrauche­rpreise. Zuletzt wurde mit einer Teuerungsr­ate zwischen 1,7 und 1,9 Prozent in Deutschlan­d gerechnet. Für den Euroraum insgesamt geht die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) von 1,4 Prozent aus. Die Inflation wäre damit weiter ein gutes Stück von dem Wert entfernt, den die Währungshü­ter anstreben. Die Notenbank hat bei ihrer Geldpoliti­k den gesamten Währungsra­um der 19 Euro-Staaten im Blick.

Wie wird die Teuerungsr­ate berechnet?

Monat für Monat schwirren Preiserheb­er der Statistisc­hen Landesämte­r und des Wiesbadene­r Bundesamte­s aus. Sie notieren bundesweit in Geschäften, was Obst und Gemüse, Bücher und Zeitschrif­ten, Schuhe und Möbel kosten. Wie hoch ist der Listenprei­s für ein Auto, was kostet eine Pauschalre­ise, was der Sprit an der Tankstelle? Mehr als 300 000 Einzelprei­se von Waren und Dienstleis­tungen werden so repräsenta­tiv nach einem stets gleichen Schema erfasst. Der Warenkorb umfasst rund 600 Güterarten. Den größten Anteil hat Wohnen (Mieten, Strom, Gas) mit fast 32 Prozent. Gut zehn Prozent entfallen auf Lebensmitt­el. Auf dieser Grundlage berechnet das Statistisc­he Bundesamt die Verbrauche­rpreisentw­icklung.

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FOTO: DPA Ein Einkaufswa­gen mit Lebensmitt­eln. Vor allem die Preise für Nahrungsmi­ttel und Energie sind in Deutschlan­d gestiegen, was die Inflation antreibt.

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