Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Wie scharf sollen Bauvorschriften sein?
Kißlegger Verwaltung will Debatte zur Regelungen für bestehene Siedlungen anstoßen
KISSLEGG (sz/jps) - Die Kisslegger Gemeindeverwaltung will eine Grundsatzdiskussion zu der Frage anstoßen, ob geltende Vorschriften in bestehenden Baugebieten noch zeitgemäß oder ob sie in die Jahre gekommen sind. Anlass sind bauliche Veränderungswünsche von Anwohnern der Galgenbühl- oder Lorettosiedlung. Dahinter steckt aber auch der Spagat zwischen aktuellem Wohnraummangel und dem Erhalt historischer Siedlungen in bekannter Form. Formal geht es um die Aufhebung des dort geltenden Bebauungsplans, wie den Unterlagen für Gemeinderatssitzung am Mittwoch, 17. Januar, zu entnehmen ist.
Die Lorettosiedlung hat besondere bauliche Merkmale, wie sie nicht allerorten zu finden sind. Dort stehen vergleichsweise kleine Doppelhäuser mit großen, aber sehr schmalen Gärten. Baurechtlich gibt die Ortsbausatzung aus dem Jahr 1960 den Rahmen. 1978 wurde sie geändert, heißt es in der Sitzungsvorlage.
Dass zwar die baulichen Rahmenbedingungen lange nicht angetastet wurden, gleichzeitig es aber bei den Bewohnern und deren Ansprüchen Veränderungen gibt, geht aus den Unterlagen ebenfalls hervor: „Derzeit vollzieht sich ein Generationswechsel“, schreibt die Gemeindeverwaltung mit Blick auf die Siedlung. Und: Die jüngeren Bewohner hätten Wünsche die Häuser auszubauen und „heutigen Wohnverhältnissen anzupassen“.
Ausbau auf zwei Geschosse
Konkreter Anlass für die von der Verwaltung angestrebte Grundsatzdebatte ist der Fall einer Doppelhaushälfte im Säntisweg. Die Eigentümer wollen diese von anderthalb auf zwei Geschosse ausbauen. Dadurch würden sich die Dachneigung wie die Höhe der Außenwand verändern. Zudem sind laut Verwaltung größere Dachaufbauten geplant.
Da die Eingriffe in die Gebäudesubstanz massiv sein dürfte, reichen laut Gemeinde einzelne Befreiungen von der Ortsbausatzung nicht aus. In diesem Zuge beruft sie sich auf das Landratsamt, das „die Grundzüge der Planung berührt“sieht. Die nach Einschätzung der Verwaltung notwendige Folge: Der Gemeinderat müsste die Satzung ändern oder komplett aufheben.
Ersteres hält die Verwaltung „für verfahrenstechnisch nahezu unmöglich“, da dann die aktuelle Rechtslage mit eingeflochten werden müsste. Bliebe also die Streichung der Satzung und die Aufstellung eines komplett neuen Regelwerks. Werde auf eine Neufassung verzichtet, würden demnach in der Siedlung ausschließlich die eher allgemeinen Vorgaben von Paragraf 34 des Baugesetzbuchs gelten.
Genau an diesem Punkt stellt sich für die Verwaltung die Verwaltung die Grundsatzfrage, die sie in die mittwöchliche Ratssitzung einbringen will: „Für die Gemeinde Kißlegg muss anhand dieses Beispiels die Frage gestellt werden, ob der Wunsch nach heutigen Wohnverhältnissen es immer und grundsätzlich rechtfertigt, vorhandene, intakte Siedlungsstrukturen aufzulösen oder auf deren Erhalt zu achten.“
Die Verwaltung sieht die eigene Kommune dabei nicht als Einzelfall – und verweist beispielhaft auf die Praßbergsiedlung in Wangen. In ähnlicher Zeit wie die Lorettosiedlung entstanden, lasse die Große Kreisstadt dort nur sehr Um- und Anbauten zu. Sie habe sich für den Erhalt des Siedlungscharakters „aus Respekt vor der Geschichte“ausgesprochen.
Kißlegg hingegen habe mit dem aktuellen Baugebiet Becherhalde „einmal mehr seine liberale Haltung“in Sachen Bauvorschriften bewiesen. Ob dies auch für bestehende Baugebiete gelten soll, will sie im Gemeinderat klären lassen.
Einen Beschlussvorschlag gibt es – anders als sonst – bei diesem Thema nicht. Wohl aber führt die Verwaltung einige Aspekte ins Feld, die bei der Debatte eine Rolle spielen könnten: So verweist sie auf den ständigen und teils rasanten Wandel architektonischer Baustile, die bestehende Wohnungsnot und die Tatsache, dass auch nach den Neuansiedlungen in der Becherhalde kaum ein bestehendes Kißlegger Gebäude auf dem Wohnungsmarkt zum Verkauf stand.
Der Gemeinderat tagt am heutigen Mittwoch in der Mensa des Schulgeländes. Beginn ist um 17 Uhr. Gegen 19.15 Uhr sind Bürgerfragen möglich. Neben der Marktordnung stehen unter anderem folgende Themen auf der Tagesordnung: ein Antrag zur Aufhebung des Bebauungsplans Galgenbühlsiedlung, Baumaßnahmen an Kanälen, Baugesuche und die Annahme von Spenden.