Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Herz und Hirn in Balance
Andrea Petkovic zeigt beim 6:3, 4:6, 10:8 über Petra Kvitova lange vermisste Qualitäten
MELBOURNE (SID/dpa) - Andrea Petkovic riss den Mund weit auf und schrie so laut, dass es wahrscheinlich am anderen Ufer des Yarra River noch zu hören war. Fast drei Stunden lang hatte sie sich in der Sommerhitze von Melbourne unter Kontrolle gehabt, nicht gejammert oder geflucht. Diesen einen kurzen Ausbruch erlaubte sich Andrea Petkovic nun. Sie hatte allen Grund dazu. In einem dramatischen Match hatte die 30-jährige Darmstädterin die zweimalige Wimbledonsiegerin Petra Kvitova aus Tschechien bei den Australian Open mit 6:3, 4:6, 10:8 niedergerungen und zum ersten Mal seit einem Jahr wieder die zweite Runde bei einem Grand-Slam-Turnier erreicht. Petkovic belohnte sich damit für eine disziplinierte Leistung; sie zeigte dabei Qualitäten, die ihre Fans lange vermisst hatten.
Anstatt nach drei vergebenen Matchbällen mit sich und der Welt zu hadern, nahm Andrea Petkovic den Kampf an. 4:0 hatte sie im dritten Satz geführt, ließ ihre Gegnerin noch einmal auf 4:4 herankommen, vergab beim Stand von 5:4 besagte Matchbälle, war später nur zwei Punkte von einer Niederlage entfernt – und gewann. „Das ist es doch, was ich wollte. Das Schicksal fordert mich heraus, Petra fordert mich heraus, und auch der Schiedsrichter fordert mich heraus“, sagte sie. Also habe sie versucht, „im Moment zu bleiben“, nicht zu grübeln. „Das hat meine ganze Willenskraft gekostet. Ganz ehrlich, ich habe gar nichts mehr gefühlt, ich habe nur noch existiert auf dem Platz.“
Erinnerungen hätten ihren Kopf fluten können – zum Beispiel an die drei Dreisatzniederlagen in den ersten Runden der vergangenen Grand Slams. „Mein Gehirn funktioniert oft auf der Überholspur, es ist manchmal stärker als mein Herz. Ich habe versucht, es in die Balance zu bringen, und freue mich, dass es hier geklappt hat.“
Eloquent war Petkovic schon immer, in der Niederlage oder im Triumph. Nach ihrer Karriere will sie als Autorin arbeiten und hat im Winter auch schon einen ersten Text veröffentlicht. Doch ganz so schnell soll es damit nicht gehen, eine weitere Chance will sie sich auf der Tennistour geben, eine Saison ohne Jammern und Heulen zu Ende spielen. „So wie heute habe ich es in diesem Jahr in jedem Match und in jedem Training gemacht. Das will ich durchziehen. Nur so kann ich noch einmal gefährlich werden.“
Längst kämpft die ehemalige Weltranglistenneunte gegen den Sturz aus den Top 100, eine Situation, die nicht einfach ist. Wie erleichternd muss da der Erfolg über Kvitova sein, auch wenn die nach der Messerattacke vor einem Jahr noch längst nicht wieder die Alte ist. Auch Andrea Petkovic weiß: „Das war nur ein Match, es hat sich nicht das gesamte Schicksal gedreht. Aber es ist doch eine Genugtuung nach dem vergangenen Jahr.“
Die letzten Monate der Saison 2017 hatte die Darmstädterin wegen chronischer Knieprobleme nur noch unter Schmerzmitteln spielen können. Die neue Saison eröffnete sie Ende Dezember mit einer Niederlage in der ersten Qualifikationsrunde von Brisbane. „Das war ein grausames Match“, sagte sie. Und zog die Konsequenzen: Sie musste etwas ändern. An Silvester habe sie bei einem Glas Wein über ihr Leben nachgedacht, erzählte sie jetzt schmunzelnd. „Ich habe mir gesagt, Andrea, so kann es nicht weitergehen.“
Ein erster Schritt ist ihr geglückt: Die zweite Runde in Melbourne gegen Lauren Davis aus den USA hat sich Andrea Petkovic redlich verdient.
Angelique Kerber hat ihre Auftakthürde bei den Australian Open trotz einiger Probleme im zweiten Satz souverän gemeistert. Die 29 Jahre alte Kielerin, die vor zwei Jahren in Melbourne ihren ersten Grand-Slam-Titel gewonnen hatte, setzte sich im deutschen Duell mit Anna-Lena Friedsam aus Neuwied nach 66 Minuten 6:0, 6:4 durch und baute ihre Serie im Jahr 2018 auf zehn Siege aus. Jetzt wartet eine besondere Herausforderung: An ihrem 30. Geburtstag trifft Kerber am Donnerstag auf Donna Vekic – und Ex-Trainer Torben Beltz.