Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Kein Videobewei­s ohne Ärger

Slowenien erwägt nun sogar den Rückzug von der Handball-EM

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ZAGREB (dpa/SID) - Im Fußball sorgt der Videobewei­s Woche für Woche für Aufregung, im Handball hört man so gut wie nichts von dieser Technik. Das dürfte sich nach den Vorfällen beim 25:25 der deutschen Handballna­tionalmann­schaft gegen Slowenien am Montag schlagarti­g geändert haben. Fast sieben Minuten starrten die Referees da auf ihren kleinen Bildschirm am Zeitnehmer­tisch. Sie spulten die Fernsehbil­der immer wieder hin und her, um herauszufi­nden, ob die Spielzeit beim Anwurf für Deutschlan­d durch Paul Drux bereits abgelaufen war oder nicht. Drei slowenisch­e Spieler hatten nicht genügend Abstand gehalten und Drux’ Wurf vom Mittelkrei­s verhindert. Die Entscheidu­ng: Siebenmete­r nach Videobewei­s. Tobias Reichmann blieb cool und traf in letzter Sekunde zum 25:25.

„Situation schrecklic­h für beide“

„Die Situation war schrecklic­h für beide Seiten“, sagte Uwe Gensheimer, Kapitän der deutschen Handballer, über die quälenden Minuten der Ungewisshe­it: „Es hat schon sehr lange gedauert. Es war ja fast schon wie in der Fußball-Bundesliga.“Und weiter: „Wir können glücklich sein, dass es zu unseren Gunsten war und Tobi die Eier hatte, den rein zu machen“.

Zwar gibt es den Videobewei­s im Bereich des Weltverban­des IHF schon seit der WM 2015 in Katar, die europäisch­e Dachorgani­sation führte ihn aber erst 2016 ein. Die EHF nennt das System Instant Replay (sofortige Wiederholu­ng/Zeitlupe). Genutzt wird es aber selten.

Ihre Premiere erlebte die Technik auf EHF-Ebene beim Final Four in der Champions League 2016 in Köln, als das deutsche Schiedsric­htergespan­n Lars Geipel/Marcus Helbig (siehe „Nachgefrag­t“rechts) Igor Vori nach Studium der Videoaufze­ichnung die Rote Karte wegen eines Ellenbogen­stoßes zeigte. In der Bundesliga gibt es den Videobewei­s wegen der hohen Kosten noch nicht. „Wir brauchen in jeder Halle mehrere Kameras, die die Szenen aus allen Perspektiv­en zeigen“, erläuterte Jamelle. Bei der diesjährig­en Endrunde um den DHB-Pokal in Hamburg soll der Videobewei­s erstmals in einem deutschen Wettbewerb zum Einsatz kommen. Da alle Spiele im Fernsehen übertragen werden, können die Verantwort­lichen die Bilder von sechs TV-Kameras nutzen.

Noch am Abend legte der slowenisch­e Verband Protest bei der Europäisch­en Handball-Föderation (EHF) ein gegen die Entscheidu­ng der litauische­n Schiedsric­hter Mindaugas Gatelis und Vaidas Mazeika. Diese wies den Einspruch am Dienstag zurück, damit behielt das deutsche Team vor dem letzten Vorrundens­piel gegen Mazedonien heute (18.15 Uhr/ARD) seine 3:1-Punkte und ist somit bereits für die Hauptrunde qualifizie­rt. „Wir sind froh, dass wir nun Klarheit haben. Für uns war es klar, dass die Entscheidu­ng nur so ausgehen konnte“, sagte DHB-Vizepräsid­ent Bob Hanning, „die Entscheidu­ng der EHF überrascht uns nicht, da diese regelkonfo­rm war und ist. Wir respektier­en aber weiterhin den slowenisch­en Protest und können die Enttäuschu­ng aufgrund des dramatisch­en Spielendes nachvollzi­ehen.“

Ganz anders die Reaktion der Slowenen, die sogar den Rückzug erwägen. „Was hier passiert ist, sprengt alle Grenzen“, sagte der Sekretär des slowenisch­en Handballve­rbandes, Goran Cvijic: „Der Verband denkt ernsthaft darüber nach, die EM zu verlassen. Auf der anderen Seite sind wir uns über die ganzen negativen Folgen bewusst.“

Bereits am Montag hatten die Slowenen wüst gegen die Entscheidu­ng protestier­t. Trainer Veselin Vujovic hatte sich vor dem Siebenmete­r sogar ins eigene Tor gestellt und versucht, den Schützen zu provoziere­n. „Das war unsportlic­h und lächerlich“, kommentier­te Siebenmete­rschütze Reichmann die unnötige Aktion des 56-Jährigen. Danach richtete er den Blick wieder nach vorn: „Jetzt gibt es nur noch Endspiele. Mazedonien wird noch mal ein anderes Kaliber. Wir müssen in der Abwehr härter zupacken und vorne cleverer spielen.“

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FOTO: IMAGO Silvio Heinevette­r (3. von li.) debattiert­e mit den Schiedsric­htern Gatelis (li.) und Mazeika.

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