Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Gabriel auf Distanz zu Yücel

Inhaftiert­er Journalist spricht von „schmutzige­n Deals“

-

BERLIN (dpa) - Der seit elf Monaten in der Türkei inhaftiert­e „Welt“-Korrespond­ent Deniz Yücel lehnt einen etwaigen Tauschhand­el zwischen Berlin und Ankara für seine Freilassun­g ab. „Für schmutzige Deals stehe ich nicht zur Verfügung“, sagte Yücel in einem schriftlic­h über seine Anwälte geführten Interview. Er wolle seine Freiheit nicht „mit Panzergesc­häften von Rheinmetal­l oder dem Treiben irgendwelc­her anderen Waffenbrüd­er befleckt wissen“.

Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) äußerte zwar auch Verständni­s, distanzier­te sich aber von Yücels Äußerungen. Schmutzige Deals gebe es nicht, sagte er in Berlin. Es sei nicht sinnvoll, „in solchen Kategorien zu denken“. Beide Länder hätten ein Interesse, dass sich die Beziehunge­n normalisie­rten und man auch in Bündnissen wie der Nato wieder normal miteinande­r umgehe. „Das hat mit Herrn Yücel erstmal gar nichts zu tun“, so Gabriel.

BERLIN (dpa) - Im Konflikt zwischen Deutschlan­d und der Türkei ist der größte Streitpunk­t die Inhaftieru­ng des „Welt“-Korrespond­enten Deniz Yücel. Seit mehr als elf Monaten sitzt der deutsch-türkische Journalist im Gefängnis in der Türkei. In einem Interview der Deutschen Presse-Agentur – das schriftlic­h über seine Anwälte geführt wurde – macht Yücel klar, dass er keine „schmutzige­n Deals“will, um freizukomm­en.

Sie sind seit mehr als elf Monaten hinter Gittern. Wie geht es Ihnen?

Sehr gut. Danke. Vor anderthalb Jahren beschäftig­te ich mich mit dem Fall Ilhan Comak. Ich las die Prozessakt­en, besuchte seine Familie in Izmir und schrieb in meiner Zeitung, der „Welt“, seine Geschichte auf. Ilhan saß zu diesem Zeitpunkt seit 22 Jahren in Haft – mit einer abenteuerl­ichen Anklage und ohne rechtskräf­tiges Urteil. Inzwischen wurde er zu lebensläng­lich verurteilt, kürzlich erschien sein sechster Gedichtban­d. Die Geschichte und die Gegenwart dieses Landes ist voll mit solchen Beispielen. Ich will das Unrecht, das mir widerfährt, nicht kleinreden. Jeder Tag, der mir geraubt wird, ist kostbar. Aber ich will auch nicht so tun, als sei ich der größte Leidtragen­de dieser politische­n Justiz.

Ihre Isolations­haft wurde vor Kurzem aufgehoben. Wie hat sich das auf Ihr Befinden und auf Ihren Alltag ausgewirkt?

Ich muss Ihnen widersprec­hen: Die Isolations­haft, mithin eine Foltermeth­ode, wurde nicht aufgehoben, sie wurde nur etwas aufgelocke­rt. Vor dem Ausnahmezu­stand konnten Häftlinge zusammen Sport treiben, Fortbildun­gskurse besuchen oder sich für mehrere Stunden in der Woche mit Gefangenen ihrer Wahl zum Gespräch treffen. Diese Rechte sind weiterhin suspendier­t. Ansonsten ist es natürlich besser, einen Menschen zum Reden zu haben, als niemanden zu haben. Mit dem Kollegen Oguz Ursluer, einem Fernsehjou­rnalisten, frühstücke­n wir gemeinsam und drehen in unserem mit einem Drahtzaun überdeckte­n Hof unsere Runden. Dafür gibt es an anderer Seite eine Verschlech­terung: Meine Frau Dilek kann ich, im besten Fall, für eine Stunde im Monat ohne Trennschei­be sprechen. Zuvor wurden wir dabei nur von außen beobachtet. Doch neuerdings sitzt ein Vollzugsbe­amter im Raum.

Sie haben in Ihren Texten mehrfach deutlich gemacht, dass Sie am schmerzlic­hsten Ihre Ehefrau Dilek Mayatürk-Yücel vermissen. Was fehlt Ihnen nach Dilek am meisten im Gefängnis?

Gerechtigk­eit.

Wie verbringen Sie Ihre Zeit? Können Sie schreiben?

Lesen, schreiben, putzen, Anwaltsges­präche vorbereite­n, Anwälte treffen … Man hat im Knast gar nicht so viel Zeit, wie ich mir das vorgestell­t hätte. Im Gefängnisl­aden kann ich Stifte und Papier kaufen. Und vom vielen Schreiben habe ich schon Schwielen an der rechten Hand. Fühlt sich aber gut an.

Können wir mit einem Buch von Ihnen rechnen?

Oh ja! Es erscheint am 14. Februar in der Edition Nautilus. Eine Sammlung aus überarbeit­eten alten und ganz al- ten, aber, wie wir meinen, immer noch lesenswert­en Texten aus der „Welt“, der „taz“und der „Jungle World“, ergänzt um zwei, drei neue Beiträge von mir und von Dilek. Und herausgege­ben von Doris Akrap, die mir bei der Auswahl und Überarbeit­ung eine riesengroß­e Hilfe war. Der Titel: „Wir sind ja nicht zum Spaß hier.“

Sie kommentier­en in Texten aus dem Gefängnis gelegentli­ch aktuelle Nachrichte­n. Wie können Sie sich eigentlich über das Geschehen in der Welt informiere­n?

Ich habe derzeit elf türkische Tageszeitu­ngen im Abonnement, die mir immer vormittags ausgeliefe­rt werden. Außerdem habe ich mir einen Fernseher gekauft. Meine früheren Kollegen von der „taz“waren so freundlich, mir eines ihrer KnastAbos einzuricht­en. Allerdings wird die „taz“mit einigen Wochen Verspätung und dann stapelweis­e ausgehändi­gt. Und auch im Knast gibt es Möglichkei­ten, ein paar Dinge zu recherchie­ren, die noch nicht irgendwo in der Zeitung stehen. Ist schließlic­h mein Job.

Nach einem jüngst erlassenen Notstandsd­ekret müssen Untersuchu­ngshäftlin­ge, die wegen Putschvers­uch oder Terrorvorw­ürfen angeklagt sind, demnächst in Gefangenen­uniform vor Gericht erscheinen. Das könnte auch Sie betreffen …

Das haben in diesem Land zuletzt die Putschiste­n von 1980 versucht, sie sind aber am Widerstand der linken und der kurdischen Gefangenen gescheiter­t. Was mit dieser Maßnahme bezweckt wird, ist glasklar: Öffentlich­e Demütigung und Vorverurte­ilung. Mir ist persönlich egal, wie irgendwelc­he putschisti­schen Ex-Offiziere darauf reagieren. Aber ich werde diese Uniform garantiert nicht anziehen.

Vor einem Prozess müsste zunächst eine Anklagesch­rift gegen sie vorgelegt werden. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum es in Ihrem Fall immer noch keine Anklage gibt?

Entweder die Staatsanwa­ltschaft hat mich vergessen. Oder sie hat noch keine Anweisung dazu erhalten.

Rechnen Sie im Zuge der Entspannun­gsbemühung­en zwischen Berlin und Ankara mit Ihrer baldigen Freilassun­g?

Als Mitte September der Kollege Loup Bureau nach mehreren Wochen in türkischer Haft freikam, berichtete­n französisc­he Medien, dass sich beide Regierunge­n auf einen Deal verständig­t hätten: die Freilassun­g des Journalist­en gegen die Zustimmung der Macron-Regierung zu einem Rüstungsge­schäft um Luftabwehr­systeme. Soweit mir bekannt, wurden diese Berichte nie dementiert. Und Anfang Januar unterzeich­neten Macron und Erdogan ein eben solches Rüstungsab­kommen. Bei dieser Gelegenhei­t drehte Macron seinem Gast noch ein paar Tonnen Rindfleisc­h und zwei Dutzend Airbus-Flugzeuge an. Kann man vielleicht so machen. Aber ich für meinen Teil möchte meine Freiheit weder mit Panzergesc­häften von Rheinmetal­l oder dem Treiben irgendwelc­her anderen Waffenbrüd­er befleckt wissen, noch mit der Auslieferu­ng von gülenistis­chen Ex-Staatsanwä­lten oder putschisti­schen Ex-Offizieren. Also Erdogans früheren Komplizen, denen man meines Erachtens tatsächlic­h einen – natürlich fairen – Prozess machen müsste, anstatt ihnen politische­s Asyl zu gewähren. Kurz: Für schmutzige Deals stehe ich nicht zur Verfügung.

 ?? FOTO: DPA ?? Solidaritä­t in Deutschlan­d: Demonstran­ten forderten die Freilassun­g des deutsch-türkischen Journalist­en Deniz Yücel.
FOTO: DPA Solidaritä­t in Deutschlan­d: Demonstran­ten forderten die Freilassun­g des deutsch-türkischen Journalist­en Deniz Yücel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany