Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Kurz verteidigt Koalition mit rechter FPÖ

Österreich­s Kanzler sagt, das Regierungs­programm trage eine „proeuropäi­sche Handschrif­t“

- Von Rudolf Gruber

WIEN/BERLIN - Immer öfter achtet man in Österreich genau auf die Körperspra­che des jungen Bundeskanz­lers, weil sie oft mehr verrät als das, was er sagt. Wenn Sebastian Kurz beschwicht­igen, strittige Themen kleinreden oder vernebeln will, legt er die Hände ineinander wie ein Bischof. Spricht er Kritiker oder Gegner an, hebt er die Hände auf Schulterhö­he und spreizt krümmend die Finger – das nennt man in Wien die „Kurz-Kralle“. Beide Gesten sind fast schon so typisch bei Kurz wie die Fingerraut­e bei Angela Merkel.

Zeigte Kurz bislang vor allem in der Flüchtling­s- und Europapoli­tik der deutschen Bundeskanz­lerin die Kralle, ist er klug genug, um bei seinem Besuch in Berlin am Mittwoch die Beschwicht­igungsgest­e vorzuziehe­n. Kurz weiß um die Bedeutung Deutschlan­ds als EU-Vormacht und Nachbarlan­d Österreich­s. Er möchte Merkel als mächtige Verbündete für seinen Europakurs gewinnen – nicht zuletzt deshalb, um den Reformeife­r des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron zu bremsen.

Chance geben zur Entwicklun­g

Denn Kurz muss Rücksicht nehmen auf die mitregiere­nde rechte und EUfeindlic­he FPÖ. Er ist gegen eine Vertiefung der europäisch­en Einheit Europas oder ein Europa der zwei Geschwindi­gkeiten. Stattdesse­n möchte er Merkel das Prinzip der Subsidiari­tät nahelegen: Brüssel solle sich nur um die „großen Fragen“kümmern und die Mitgliedsl­änder möglichst mit Regulierun­gen verschonen. Was Kurz unerwähnt lässt: Subsidiari­tät ist für FPÖ-Chef HeinzChris­tian Strache nur ein anders Wort für nationale Alleingäng­e à la Polen und Ungarn. Die Skepsis Merkels und der Franzosen gegen die FPÖ ist daher nicht unbegründe­t, während Kurz so tut, als wäre die FPÖ eine Koalitions­partei wie jede andere.

Seine Koalition hat Kurz in Berlin verteidigt. Kurz sagte in der ARD, er habe den Eindruck, dass die FPÖ sich an das Regierungs­programm halten wolle. Und das trage eine proeuropäi­sche Handschrif­t“. Für ihn sei der Blick nach vorne relevant. Er habe aber „rote Linien“, sagte Kurz, ohne Einzelheit­en zu nennen.

Bei der Gestaltung der EU-Finanzen erwartet Kurz, dass Merkel mit ihm „an einem Strang zieht“. Soll heißen: Die beiden Nettozahle­r dürfen nach dem Austritt Großbritan­niens nicht zusätzlich zur Kasse gebeten werden, die EU müsse halt sparen. Zudem hofft Kurz auf Merkels Beistand bei einer schrittwei­sen Aufhebung der Sanktionen gegen Russland. Auch in dieser Frage sitzt ihm Putin-Freund Strache im Nacken.

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