Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Und immer wieder Churchill
„Die dunkelste Stunde“: Gary Oldman in einer Oscar-reifen Darstellung
An Filmen über Winston Churchill herrschte schon bislang kein Mangel, in letzter Zeit ist der legendäre britische Premierminister aber im Kino besonders präsent: Zum einen direkt, wie in der Biografie „Churchill“, die vergangenes Jahr die Stunden vor der Invasion in der Normandie, dem D-Day, schilderte. Zum anderen indirekt in Filmen über die Schlacht von Dünkirchen („Dunkirk“) und der darauffolgenden von Churchills Kriegskabinett angeordneten erfolgreichen Evakuierung und den Auswirkungen auf die Heimatfront („Ihre beste Stunde“). Neu ins Kino kommt nun Joe Wrights Filmbiografie „Die dunkelste Stunde“.
Die Rückbesinnung auf vergangene Krisen und Großtaten lässt sich leicht mit der derzeitigen Identitätskrise des Vereinigten Königreichs in Verbindung bringen. Verweise auf Churchill finden sich dann auch regelmäßig sowohl auf Seiten der Brexit-Befürworter wie -gegner. Selbst Außenminister Boris Johnson schrieb vor zwei Jahren ein Buch über den „Churchill-Faktor“, schließlich sieht er sich als eigenwilliger Außenseiter ganz in dessen Tradition, wobei er mit dieser Einschätzung zunehmend alleine dasteht.
Solche Parallelen zur derzeitigen internationalen Politik und grundlegenden Fragen wie dem Dilemma, ob man mit Tyrannen um des Friedens willen verhandeln darf, drängen sich während des zweistündigen Films fortlaufend auf. Regisseur Wright muss diese nicht besonders betonen. Andererseits funktioniert der Film aber auch losgelöst von der Tagespolitik als intensive Charakterstudie einer schillernden Figur.
Die alles überstrahlende Leistung kommt dabei von Gary Oldman, der sich hiermit als klarer Oscar-Kandidat profiliert. Zwar ist der eher hagere Charakterdarsteller unter der wuchtigen Maske bestenfalls zu erahnen, das ändert aber nichts an der Ausdrucksstärke seiner Mimik und Manierismen.
Der Film behandelt die Zeitspanne von rund einem Monat, zu deren Beginn Churchill gegen den Widerstand aus seiner eigenen Partei zum Premierminister einer Allparteienregierung gewählt wird. Besonders skeptisch zeigen sich sein Amtsvorgänger Neville Chamberlain (Ronald Pickup) und Lord Halifax (Stephen Dillane), die für Friedensverhandlungen mit Hitler-Deutschland plädieren. Den Blick auf den Alltag mit Churchill eröffnet dem Zuschauer seine neue persönliche Sekretärin Elizabeth Layton (Lily James), die sich an die Schrullen des altgedienten Politikers erst gewöhnen muss. So sieht man ihn selten ohne alkoholisches Getränk und praktisch nie ohne Zigarre, bisweilen murmelt er kaum verständlich. Aber wenn er sich aufrafft, dann ist der Literaturnobelpreisträger von konkurrenzloser Wortgewalt.
Auch Churchills frühere militärische und politische Niederlagen werden in „Die dunkelste Stunde“zumindest erwähnt, aber als prägende Erfahrungen für die Bereitschaft, auch schwierige Entscheidungen zu treffen, eingeordnet. Der Großteil des Films fokussiert darauf, wie Churchill um die richtige Antwort auf die Bedrohung durch NaziDeutschland ringt: Mit seinem Kriegskabinett, mit König George VI. (Ben Mendelsohn), und zunehmend mit sich selbst. Das ist bei aller Dramatik teilweise auch humorvoll, durchgehend unterhaltsam und vor allem spannend inszeniert. Angesichts der Tatsache, dass der weitere Verlauf der Geschichte dem Zuschauer bekannt ist, stellt dies eine weitere Leistung dieses absolut sehenswerten Films dar.
Die dunkelste Stunde. Regie: Joe Wright. Mit Gary Oldman, Kristin Scott Thomas, Ben Mendelsohn. Großbritannien 2017. 125 Minuten. FSK ab 6.