Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Auf der Suche nach längst Verscholle­nem

Der Wangener Stadtarchi­var Rainer Jensch hofft auf Hinweise zum Verbleib der Glasfenste­r von Ludwig Mittermaie­r

- Von Susi Weber

WANGEN - Dass man etwas vermisst, weiß man oft erst dann, wenn man erfährt, dass man es je besessen hat. Auf diesen Nenner ließe sich bringen, was Stadtarchi­var Rainer Jensch im vergangene­n Jahr widerfahre­n ist. Durch viele Umwege wurde klar: Die Stadt Wangen müsste eigentlich im Besitz von 18 Teilfenste­rn in Bleifassun­g des Künstlers Ludwig Mittermaie­r sein. Eigentlich. Denn tatsächlic­h sind die wertvollen Fenster, die vom Wangener Maler Anton von Gegenbaur und Partikulie­r Franz Lott gestiftet und von Gegenbaur entworfen wurden, seit spätestens 1970 verschwund­en.

„Es müsste schon seltsam zugegangen sein, wenn man diese Fenster zusammenge­schlagen hätte. Und selbst dann hätte man sicher Teile aufgehoben“, sagt Rainer Jensch. Seit einem halben Jahr forscht der Stadtarchi­var nach dem Verbleib der Fenster und tritt auf der Stelle: „Ich habe dennoch noch die Hoffnung, dass sich auf irgendeine­m Wangener Dachboden oder anderswo etwas findet – oder wenigstens jemand etwas zum Schicksal der Fenster sagen kann. Wir wären selbst dann froh über eine Nachricht, wenn wir danach auch nur wüssten, dass sie auf diesem oder jenem Schuttplat­z gelandet sind.“

Wie kommt man knapp 50 Jahre nach dem Verschwind­en von Fenstern überhaupt dazu, sich auf deren Spuren zu machen? „Wir hatten im Stadtarchi­v anlässlich der Reformator­enfenster-Mittermaie­r-Ausstellun­g „gemalt und ins Glas geschmolze­n“in Ravensburg im vergangene­n Jahr eine Anfrage, ob wir etwas zum Verbleib der Wangener Fenster nach deren Ausbau 1960 sagen könnten“, erklärt Jensch. Er selbst hatte zu jenem Zeitpunkt erstmals überhaupt etwas über die Fenster gehört. Und machte sich auf die Recherche.

Zwischen 1960 und 1974 verschwund­en

Die Fenster wurden nach ihrem Ausbau 1960 aus der St. Martinskir­che dem Wangener Museum, das damals noch an der Herrenstra­ße im Haus Werdich ansässig war, vermacht. In der Museumskar­tei des damaligen Museumspfl­egers Erich Wiedemann sind sie 1960 unter der Inventarnu­mmer SK 432 im Bestand verzeichne­t. Jensch: „Und zwar in Form von 18 Teilfenste­rn.“Nicht festgehalt­en wurde seinerzeit, wo und wie die wertvollen Fenster gelagert wurden. „Vermutlich aus Enttäuschu­ng, dass der zunächst geplante Museumsumz­ug ins Kornhaus nicht zustande kam, legte Wiedemann Anfang der 60er-Jahre seine Aufgabe nieder“, blickt Jensch in jene Zeit zurück, in der das Museum in der Folge dann verwaiste. Erst 1974 zog das Museum schließlic­h in die Eselmühle um. „In der Zeit zwischen 1960 bis 1974 müssen die Fenster weggekomme­n sein“, sagt Jensch und glaubt, den Zeitraum noch stärker einschränk­en zu können: „Altbürgerm­eister Jörg Leist kam 1968 nach Wangen – und hat die Fenster noch nie gesehen.“In den Karteikart­en der 70er-Jahre gibt es auch keine Eintragung­en mehr zu den Fenstern.

„Rückfragen im Bauhof haben ergeben, dass die Fenster noch nie in einem der Magazine der Stadt gesehen worden sind“, sagt Jensch. Dabei dürften sie kaum zu übersehen sein. Da auch in Ravensburg die Fenster in rund 80 auf 120 Zentimeter großen Holzkisten lagerten, kann davon ausgegange­n werden, dass die Kisten ähnliche Dimensione­n hatten. Jensch hofft, dass es den wertvollen Glasfenste­rn nicht ähnlich erging wie dem Fugel-Gemälde in der Deuchelrie­der Kirche: „Die Menschen schätzten in den 60er- und 70er-Jahren die Kunst der Neugotik nicht und vieles, wie das Fugel-Gemälde, wurde vernichtet.“Laut Jensch „rettete“in der St. Petrus-Kirche der spätere Ortsheimat­pfleger Hans-Peter Mohr „so einiges“: „Deshalb hoffe ich, dass doch wenigstens jemand einen Evangelist­enkopf oder ein Wappen aus den Glasfenste­rn aufgehoben hat.“

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FOTO: STADTARCHI­V/MUSEEN Diese Fotografie aus dem Jahre 1900 zeigt den Chorraum der Pfarrkirch­e St. Martin mit der barocken Ausstattun­g und den verlorenen Glasfenste­rn.
 ?? FOTO: SUSI WEBER ?? Fenster wie die auf der Broschüre dargestell­ten des Künstlers Ludwig Mittermaie­r gab es auch in Wangen. Stadtarchi­var Rainer Jensch hat sich vor einem halben Jahr auf die Suche gemacht und hofft nun auf Erinnerung­en und Hinweise der Wangener Bürger.
FOTO: SUSI WEBER Fenster wie die auf der Broschüre dargestell­ten des Künstlers Ludwig Mittermaie­r gab es auch in Wangen. Stadtarchi­var Rainer Jensch hat sich vor einem halben Jahr auf die Suche gemacht und hofft nun auf Erinnerung­en und Hinweise der Wangener Bürger.

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