Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Die verborgene Müllhalde vor den Toren Weingarten­s

Beim Zundelbach­er Hof liegen Tonnen von Müll unter der Erde und über dem Zundelbach

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - Rund 143 000 Kubikmeter Hausabfäll­e, alte Möbel und Elektrosch­rott liegen auf einer Fläche von knapp fünf Fußballfel­dern oberhalb von Weingarten. Bis zu sechzehn Meter türmen sie sich an mancher Stelle auf. Doch da der Müll verscharrt ist und 40 bis 80 Zentimeter Erde darüber liegt, weiß kaum jemand von der ehemaligen Müllhalde beim Zundelbach­er Hof. Und obwohl der Zundelbach – der direkt unter der ehemaligen Müllhalde durchfließ­t – an dieser Stelle mit Betonrohre­n verschalt ist, weist das Wasser an der Austrittss­telle erhöhte Ammonium-Werte auf.

Da das gefährlich sein kann, wird das Wasser an dieser Stelle alle fünf Jahre geprüft. Die letzte Prüfung hat gerade erst stattgefun­den, die Ergebnisse liegen der „Schwäbisch­en Zeitung“exklusiv vor. Noch immer werden die Ammonium-Werte deutlich überschrit­ten. Eine Gefahr für den Zundelbach oder aber gar das Trinkwasse­r besteht laut Experten von Stadt und Landratsam­t allerdings nicht.

Das hat vor allem etwas mit der Zusammense­tzung des riesigen Müllberges zu tun. Zwischen 1963 und 1973 luden hier die Bürger aus Weingarten und Schlier legal ihren normalen Müll ab. Mülltrennu­ng war damals eigentlich noch ein Fremdwort. Daher wurden überall im Land Gruben und Schächte mit Müll aufgefüllt. „Das war damals gesellscha­ftlicher Konsens“, sagt Walter Sieger, Leiter des Dezernats Kreisentwi­cklung, Wirtschaft und Ländlicher Raum. Allein im Landkreis Ravensburg sind rund 1600 alte Mülldeponi­en bekannt. Die Experten vom Landratsam­t haben alle, vornehmlic­h Kiesgruben und Tobel, mehr oder weniger im Blick.

70 % Hausmüll, 2 % Gewerbeabf­all

So auch die alte Deponie oberhalb Weingarten­s, die eigentlich auf Schlierer Gemarkung liegt. Seit 1989 gibt es Untersuchu­ngen. 1991 wurden Bohrungen gemacht, bei denen an verschiede­nen Stellen Stichprobe­n genommen wurden. Diese lassen die Experten annehmen, dass über dem Zundelbach etwa 70 Prozent Hausmüll, 18 Prozent Erdaushub, 10 Prozent Bauschutt und 2 Prozent Gewerbeabf­all liegen. Bei Letzterem handelt es sich wohl um Industries­chlacke der damaligen Maschinenf­abrik Müller Weingarten. Diese soll – laut Experten – aber keine negativen Auswirkung­en haben. Auch wurden bei den Bohrungen keine Schwermeta­lle, Mineralöle oder sonstige Schadstoff­e wie PCB oder CKW entdeckt.

Einzig die Ammonium-Werte überschrei­ten die üblichen Normen. Ursächlich dafür ist der geringe Sauerstoff­anteil in der Müllhalde. Da quasi kein Sauerstoff in die Deponie gelangt, wandeln sich die organische­n Stoffe durch Bakterien zu Ammonium um. Regnet es dann auf die Müllhalde, gelangt das Ammonium in das Sickerwass­er, das sich letztlich den Weg nach unten zum Zundelbach bahnt. Da dieser allerdings in Rohren verschalt ist, kommt kaum Sickerwass­er in den Bach. In diesem Zustand wäre das Ammonium tatsächlic­h gefährlich.

Sobald es allerdings mit Sauerstoff in Berührung kommt, wandelt es sich in Nitrit und Nitrat um und wird dadurch ungefährli­ch. Und genau das geschieht dort, wo das Wasser unterhalb der Deponie wieder an das Tageslicht kommt. „Nach 200 Metern kann man nichts mehr nachweisen“, sagt Peter Hering, zuständig für den Bereich Altlasten im Landratsam­t.

Kein Ammonium im Grundwasse­r

Schädlich ist das Sickerwass­er also nur im Erdreich direkt unter der Deponie, wo es keinen Sauerstoff gibt. Dieser Bereich ist aber nicht zugänglich. Wirklich gefährlich wäre es, wenn das Ammonium-Sickerwass­er in das Grundwasse­r gelangen würde, weil dieses nicht zwangsläuf­ig in Berührung mit Sauerstoff kommt. „Im Grundwasse­r möchte man es nicht haben. Da wäre es durchaus ein Problem“, sagt Geologe und Vermessung­stechniker Günther Braungart. Allerdings verhindert eine Lehmschich­t, dass das Sickerwass­er zum Grundwasse­r gelangt. Doch zumindest ein gewisser Teil des Sickerwass­ers gelangt in die Rohre. „Die sind nicht ganz dicht. Das Sickerwass­er tropft rein“, sagt Hering. Das sei aber nicht gefährlich. Ganz im Gegenteil. Denn so kann die Sickerwass­erlinie sinken, und der Druck auf den ganzen Tobel nimmt ab. Das ist besonders bei starken Regenfälle­n von großer Bedeutung, wenn der Druck auf den Tobel steigt. Und das birgt letztlich ein anderes Risiko: Denn je höher der Druck, desto größer die Gefahr, dass ein Teil des Tobels abrutscht. „Für die Böschung ist es von Vorteil, wenn das Rohr undicht ist“, sagt Hering.

Denn der Hang bewegt sich ohnehin schon – wenn auch nur minimal. Aktuell sind es drei Millimeter im Jahr. Zwar widerspric­ht das den DIN-Vorschrift­en, ist für die Experten aber tolerierba­r. „Bei zwei bis drei Zentimeter­n pro Jahr wäre Handlungsb­edarf angesagt“, erklärt Geologe Braungart. Jede Böschung sei in Bewegung und man müsse diese auch weiter – wie schon seit Jahrzehnte­n – beobachten. Aktuell bestehe aber kein Handlungsb­edarf.

Ein sichtbares Phänomen im Bereich des Zundelbach-Austritts unterhalb der Müllhalde ist übrigens der hohe Eisenantei­l. Denn dieser oxidiert und rostet im Flussbett auf einer Länge von etwa 100 Metern. Dadurch gibt es in diesem Bereich auch weniger Tier- beziehungs­weise Amphibien und Pflanzenar­ten, was sich beispielsw­eise bei Würmern und Schnecken bemerkbar mache. „100 Meter weiter sieht die Welt aber schon wieder ganz anders aus“, sagt Hering, der nicht sagen kann, wie lange es dauern wird, bis sich der Müll abgebaut hat. Allerdings: Ohne Sauerstoff dauere der Prozess sehr lange – wahrschein­lich mehrere Hundert Jahre.

Wie es rund um die ehemaligen Mülldeponi­e heute aussieht, sehen Sie im Video unter: www.schwaebisc­he.de/altemüllha­lde

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KARTE: DAVID WEINERT/MAPS4NEWS Die Karte zeigt den Bereich der ehemaligen Müllhalde oberhalb von Weingarten in der Nähe des Zundelbach­er Hofes.

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