Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Schwangere wohnt mit Kind auf zehn Quadratmetern
Obdachlosigkeit betrifft nicht nur Alleinstehende – Altenpflegerin aus Ravensburg sucht dringend eine Wohnung
RAVENSBURG - Wenn die Rede von Obdachlosen ist, denken viele an ältere, ungepflegte Männer, die mit einer Zeitung bedeckt auf der Parkbank ihren Rausch ausschlafen. Die Wirklichkeit sieht anders aus. In Zeiten krasser Wohnungsnot drohen selbst Mittelschichtsfamilien auf der Straße zu landen. Ein Beispiel aus Ravensburg.
Die junge Frau mit den braunen, langen Haaren hat ununterbrochen Tränen in den Augen, während sie ihre Geschichte erzählt. Hin und wieder kullern sie über die Wangen, und sie wischt sie schnell weg. Versucht, tapfer zu sein. Sandra P. (Name geändert) ist hochschwanger. Anfang Februar erwartet die 31-Jährige ihr zweites Kind. Das erste ist fünf Jahre alt. Gemeinsam leben Mutter und Kind seit Oktober in der Drei-Zimmer-Wohnung der Schwiegereltern. In einem Bügelzimmer, das gerade mal zehn Quadratmeter misst. Der Vater ist in die städtische Obdachlosenunterkunft in der Florianstraße gezogen und teilt sich dort ein Zimmer mit einem anderen Mann. Der Ort sei absolut ungeeignet für ein kleines Kind, daher die vorübergehende Trennung.
Obdachlos wurde die Familie im September, als sie aus ihrer Wohnung in der Ravensburger Innenstadt herausmusste. Der Mietvertrag war nur befristet, eine neue bezahlbare Wohnung nicht zu bekommen. Als Altenpflegerin in Teilzeit verdient Sandra P. nicht viel, und ihr Mann, der Maschinenbau studiert hat, verlor schon im Januar 2017 seine Arbeitsstelle wegen Alkoholproblemen. Nach einer dreimonatigen Entziehungskur ist er trocken, zudem schrieb er seine Doktorarbeit fertig, eine Arbeitsstelle hat er aber trotz verzweifelter Suche noch nicht gefunden. „Er bewirbt sich auch auf Stellen, die nicht so viel Geld bringen, zum Beispiel als Programmierer, hört aber oft, er sei überqualifiziert.“Eine schwere Belastungsprobe für die Ehe, die durch die Umstände zu zerbrechen droht.
Seit Monaten rennt die werdende Mutter von Amt zu Amt, um eine Wohnung zu finden. „Ich war bereits bei jeder erdenklichen Stelle in Ravensburg, die mir gegebenenfalls weiterhelfen könnte, aber werde leider immer wieder zur nächsten geschickt. Oder mir wird gesagt, man könne mir leider nicht helfen.“
Beim Amt für Architektur und Gebäudemanagement bekam sie zumindest einen Wohnberechtigungsschein und wurde mit hoher Priorität in die Warteliste für eine Stadtwohnung eingetragen, allerdings könne es eine Weile dauern, bis eine frei werde. Eine Mitarbeiterin beim städtischen Sozialamt bot ihr eine Notunterkunft in der Florianstraße an, meinte jedoch selbst, das sei nicht der geeignete Ort für eine Frau mit Kind, und sie solle lieber bei den Schwiegereltern bleiben. Die Caritas teilte ihr per EMail mit, sie könne leider nicht weiterhelfen. Die Diakonie schlug ihr den Dornahof vor, wo aber zahlreiche Suchtkranke untergebracht sind. „Wir waren dort, und ein Betrunkener erbrach sich fast vor meinem Sohn.“Die Sonja-Reischmann-Stiftung für Kinder und Familien in Not hatte auch nichts frei.
Im Internet hat sich Sandra P. ebenfalls nach einer Wohnung umgeschaut. „Viele werden von vorneherein nur an ruhige Mieter vergeben, und wenn mein zweites Kind auf der Welt ist, kann ich nicht garantieren, dass es nicht schreit“, sagt sie – und wischt sich wieder eine Träne von der Wange. „Es gab auch Zuschriften von Perversen, die schrieben, sie stehen auf Schwangere – aber kein einziges seriöses Angebot.“
Bei der Stadt Ravensburg wird keinerlei Statistik über die Obdachlosenzahlen geführt. Deshalb kann Sozialamtsleiter Stefan Goller-Martin auch nicht sagen, ob das Phänomen zugenommen hat. „Es meldet sich ja nicht jeder bei uns, der in einer prekären Wohnsituation lebt.“In den Unterkünften der Stadt, zum Beispiel in der Florianstraße, sind derzeit 320 Menschen untergebracht, davon 300 Flüchtlinge.
Die Caritas Bodensee-Oberschwaben hingegen kennt das Problem. Sie ist laut Regionalleiter Ewald Kohler massiv konfrontiert mit verzweifelten Menschen, die über Monate oder Jahre hinweg nach einer bezahlbaren Bleibe suchen, ohne Erfolg. „Diese Situation gefährdet den sozialen Frieden, weil bei diesen Menschen dauerhaft das Gefühl aufkommt, in dieser Gesellschaft nicht mehr dazuzugehören.“
Die Stadt Ravensburg will das Problem der Wohnungsnot für Menschen mit geringen Einkommen angehen und bis Jahresende eine eigene Wohnungsbaugesellschaft gründen. Diese würde dann unter anderem Projekte für sozialen Wohnungsbau verwirklichen – wie in der Fischerwiese. Für Sandra P. käme diese Wohnung aber zu spät. Jeden Moment kann ihr zweites Kind kommen.
Wohnungsangebote leiten wir gerne an Sandra P. weiter. Die Wohnung darf nicht größer als 75 Quadratmeter sein und nicht mehr als 770 Euro warm kosten. Schreiben Sie an a.vincenz@schwaebische.de oder rufen Sie an unter 0751 / 29552232.