Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Familienstreit endet mit zerstochenen Reifen
30-jähriger Italiener soll Landsmann bedroht haben – Richterin versucht Licht ins Dunkel zu bringen
OBERALLGÄU - Manchmal ist es besser, dass nicht die ganze Wahrheit ans Licht kommt. Nicht einmal vor Gericht. Sonst müsste womöglich ein Oberallgäuer italienischer Abstammung für drei Monate hinter Gitter, weil er die Familienehre hochhalten will. Das wollte auch Richterin Brigitte Gramatte-Dresse nicht, als im Sonthofer Amtsgericht der Fall von vier zerstochenen Reifen verhandelt wurde. Den angeklagten Italiener nahm sie dennoch gehörig ins Gebet: „Ich will Sie vor Gericht nicht noch einmal sehen. Wir sind hier in Deutschland. Da werden Konflikte anders gelöst, aber nicht so.“
Auf der Anklagebank saß ein 30Jähriger aus Kalabrien, der seit einem Jahr im Oberallgäu lebt und in einem Restaurant arbeitet. Körperlich eher zart gebaut und nicht besonders groß, mit einem unschuldigen Gesichtsausdruck, wollte man ihm die Tat zunächst gar nicht zutrauen. Außerdem bestritt er sie anfangs vehement. Die Verhandlung wurde von einem Dolmetscher begleitet, der zudem die verschiedenen Parteien immer wieder beruhigen musste, um die Würde des Gerichts zu wahren. Und die Richterin rief Zuhörer zur Ordnung, die versuchten, während des Prozesses mit dem Angeklagten zu reden.
Laut Klageschrift soll der 30-Jährige im Februar vorigen Jahres alle Reifen am Auto eines 24-jährigen Landsmannes zerstochen haben. Als dieser die Polizei einschaltete und ihn der Tat beschuldigte, soll er zudem den 24-Jährigen angerufen und ihm – falls er ihn weiter anklage – gedroht haben: „Dann schneide ich dir den Kopf ab.“Beide Italiener stammen aus dem gleichen Dorf in Kalabrien, bestritten aber, zuvor Ärger miteinander gehabt zu haben.
Eher sei es der Cousin des 30-Jährigen, mit dem er früher befreundet gewesen sei, der aber heute nicht mehr mit ihm rede, erklärte der 24Jährige. „Und warum redet Ihr Landsmann nicht mehr mit Ihnen?“, fragte die Richterin. Der Cousin habe ihm vorgeworfen, dass er nach seiner Heirat im Sommer 2016 keine Zeit mehr für ihn gehabt habe und nicht mehr mit ihm um die Häuser ziehen wollte.
Schließlich habe der Cousin des Angeklagten aus Verärgerung den Kontakt ganz abgebrochen. „Vielleicht hat er dann seinen Cousin angestiftet, mir eins auszuwischen“, mutmaßte der 24-Jährige. So seien er und seine Frau nachts kurz vor 1 Uhr von einem Knall aufgeschreckt worden, dem drei weitere folgten. Sie rissen das Fenster auf und sahen den Angeklagten, wie er von ihrem Auto weggerannt sei. Der Fiat war direkt unter dem Fenster des Mehrfamilienhauses geparkt. Als der Täter um eine Kurve lief, habe das Ehepaar sein Gesicht gesehen und den Landsmann erkannt.
Angeklagter soll Schaden zahlen
An dieser Stelle schlug der Staatsanwalt dem Angeklagten einen Handel vor, den auch die Richterin mittrug: Der 30-Jährige komme um eine Verurteilung herum, wenn er den Schaden an den Reifen von 300 Euro sowie 300 Euro ans Haus International zahlt. Dem stimmte der Italiener zu. Allerdings wollte das geschädigte Ehepaar kein Geld von ihm. „Sonst geht das alles nur weiter“, meinte die Ehefrau. Deshalb zahlt der Angeklagte jetzt 600 Euro ans Haus International.
Mit diesem Handel wurde verhindert, dass der Cousin als Entlastungszeuge des Angeklagten auftritt und dann womöglich falsch aussagt. Und darauf stehen mindestens drei Monate Gefängnis.