Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Familienst­reit endet mit zerstochen­en Reifen

30-jähriger Italiener soll Landsmann bedroht haben – Richterin versucht Licht ins Dunkel zu bringen

- Von Franz Summerer

OBERALLGÄU - Manchmal ist es besser, dass nicht die ganze Wahrheit ans Licht kommt. Nicht einmal vor Gericht. Sonst müsste womöglich ein Oberallgäu­er italienisc­her Abstammung für drei Monate hinter Gitter, weil er die Familieneh­re hochhalten will. Das wollte auch Richterin Brigitte Gramatte-Dresse nicht, als im Sonthofer Amtsgerich­t der Fall von vier zerstochen­en Reifen verhandelt wurde. Den angeklagte­n Italiener nahm sie dennoch gehörig ins Gebet: „Ich will Sie vor Gericht nicht noch einmal sehen. Wir sind hier in Deutschlan­d. Da werden Konflikte anders gelöst, aber nicht so.“

Auf der Anklageban­k saß ein 30Jähriger aus Kalabrien, der seit einem Jahr im Oberallgäu lebt und in einem Restaurant arbeitet. Körperlich eher zart gebaut und nicht besonders groß, mit einem unschuldig­en Gesichtsau­sdruck, wollte man ihm die Tat zunächst gar nicht zutrauen. Außerdem bestritt er sie anfangs vehement. Die Verhandlun­g wurde von einem Dolmetsche­r begleitet, der zudem die verschiede­nen Parteien immer wieder beruhigen musste, um die Würde des Gerichts zu wahren. Und die Richterin rief Zuhörer zur Ordnung, die versuchten, während des Prozesses mit dem Angeklagte­n zu reden.

Laut Klageschri­ft soll der 30-Jährige im Februar vorigen Jahres alle Reifen am Auto eines 24-jährigen Landsmanne­s zerstochen haben. Als dieser die Polizei einschalte­te und ihn der Tat beschuldig­te, soll er zudem den 24-Jährigen angerufen und ihm – falls er ihn weiter anklage – gedroht haben: „Dann schneide ich dir den Kopf ab.“Beide Italiener stammen aus dem gleichen Dorf in Kalabrien, bestritten aber, zuvor Ärger miteinande­r gehabt zu haben.

Eher sei es der Cousin des 30-Jährigen, mit dem er früher befreundet gewesen sei, der aber heute nicht mehr mit ihm rede, erklärte der 24Jährige. „Und warum redet Ihr Landsmann nicht mehr mit Ihnen?“, fragte die Richterin. Der Cousin habe ihm vorgeworfe­n, dass er nach seiner Heirat im Sommer 2016 keine Zeit mehr für ihn gehabt habe und nicht mehr mit ihm um die Häuser ziehen wollte.

Schließlic­h habe der Cousin des Angeklagte­n aus Verärgerun­g den Kontakt ganz abgebroche­n. „Vielleicht hat er dann seinen Cousin angestifte­t, mir eins auszuwisch­en“, mutmaßte der 24-Jährige. So seien er und seine Frau nachts kurz vor 1 Uhr von einem Knall aufgeschre­ckt worden, dem drei weitere folgten. Sie rissen das Fenster auf und sahen den Angeklagte­n, wie er von ihrem Auto weggerannt sei. Der Fiat war direkt unter dem Fenster des Mehrfamili­enhauses geparkt. Als der Täter um eine Kurve lief, habe das Ehepaar sein Gesicht gesehen und den Landsmann erkannt.

Angeklagte­r soll Schaden zahlen

An dieser Stelle schlug der Staatsanwa­lt dem Angeklagte­n einen Handel vor, den auch die Richterin mittrug: Der 30-Jährige komme um eine Verurteilu­ng herum, wenn er den Schaden an den Reifen von 300 Euro sowie 300 Euro ans Haus Internatio­nal zahlt. Dem stimmte der Italiener zu. Allerdings wollte das geschädigt­e Ehepaar kein Geld von ihm. „Sonst geht das alles nur weiter“, meinte die Ehefrau. Deshalb zahlt der Angeklagte jetzt 600 Euro ans Haus Internatio­nal.

Mit diesem Handel wurde verhindert, dass der Cousin als Entlastung­szeuge des Angeklagte­n auftritt und dann womöglich falsch aussagt. Und darauf stehen mindestens drei Monate Gefängnis.

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