Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Landtags-FDP wirft Justizministerium Verharmlosung vor
Streit um verurteilten Mörder nach dessen Flucht in Friedrichshafen – Ermittlungen wegen schweren Raubes
STUTTGART - Drei Tage lang war ein verurteilter Mörder im Dezember in Friedrichshafen auf der Flucht. Bevor die Polizei ihn fassen konnte, würgte er eine Frau und versuchte, ein Auto zu rauben. Die Landtags-FDP übt nun scharfe Kritik am Justizministerium. Deren Pressesprecher habe den Geflüchteten als ungefährlich dargestellt – aus Sicht der Liberalen eine unzulässige Verharmlosung.
Am 14. Dezember um 14.04 Uhr erreichte das Polizeipräsidium Konstanz ein Notruf aus Friedrichshafen. Ein 42-Jähriger Häftling war seinen Bewachern bei einem Freigang entwischt. Zu diesem Zeitpunkt saß er bereits seit 20 Jahren in Haft. Ein Gericht hatte ihn zu lebenslanger Gefängnisstrafe verurteilt, nachdem er seinen Vermieter erschlagen hatte. Aufgrund positiver Prognosen von Psychologen durfte der Mann die Haftanstalt mehrfach mit und ohne Begleitung verlassen, in Friedrichshafen traf er sich mit seiner Mutter. Mit ihr saß er im Museumscafé. Bei einem Toilettengang entkam er den beiden Justizwachtmeistern.
Die FDP hatte sich mit einer Anfrage an das Justizministerium gewandt. Sie wollte unter anderem wissen, welche Konsequenzen der Fall für die beteiligten Personen und Behörden hat. Nach Angaben des Ministeriums läuft ein Disziplinarverfahren gegen die Justizangestellten, denen der Häftling entwischte. Das Polizeipräsidium Konstanz hat intern den Einsatz aufgearbeitet, Ergebnisse teilte das Haus von Guido Wolf (CDU) nicht mit.
Polizei und Staatsanwaltschaft Ravensburg ermitteln unterdessen wegen schweren Raubes und eines räuberischen Angriffs auf eine Autofahrerin gegen den 42-Jährigen. Auf seiner Flucht würgte er eine Frau, wollte Bargeld oder eine Kreditkarte, die konnte sich aber befreien. Später versuchte der Häftling, eine andere Frau aus ihrem Auto zu zerren. Kurz darauf fasste ihn die Polizei im Keller des Friedrichshafener Klinikums. „Sollte sich der Anfangsverdacht gegen den Mann bestätigen, drohen ihm empfindliche Freiheitsstrafen“, sagte Oberstaatsanwalt Karl-Josef Diehl am Freitag. Aufgrund positiver Prognosen sollte eigentlich geprüft werden, ob der Mann auf Bewährung freikommen könnte. „Diese positiven Prognosen haben sich natürlich jetzt ins Gegenteil verkehrt“, so Diehl. Der Mann sitzt seit der Festnahme nach der Flucht wieder hinter Gittern.
Für die FDP stellt sich vor allem die Frage, warum das Ministerium selbst nicht vor dem Mann warnte – der ja später zwei Frauen angriff. Pressesprecher Robin Schray hatte auch der „Schwäbischen Zeitung“gesagt, der Mann sei wohl nicht gefährlich. Er befinde sich immer wieder im offenen Vollzug und habe damit eine positive Sozialprognose. Das war aus Sicht von Nico Weinmann (FDP) ein Fehler. „Die Erklärung, wie es zu dieser Einschätzung kam, kann nicht überzeugen. Herangezogen wurden gerade die Analysen, in denen man auch zu dem Schluss kam, der Entflohene würde den offenen Vollzug nicht zur Flucht nutzen. Dass diese Analysen spätestens im Zeitpunkt der Flucht überholt sind, hätte auch dem Justizministerium klar sein müssen“, kritisiert der rechtspolitische Sprecher der Fraktion. „Der Justizminister sollte seine Pressestelle zu mehr Zurückhaltung anhalten und bei den geschädigten Frauen um Entschuldigung bitten.“
Vorwürfe zurückgewiesen
Pressesprecher Schray weist die Vorwürfe zurück. Er habe sich auf Informationen gestützt, die der Leiter der Justizvollzugsanstalt Heilbronn den Fahndern und dem Ministerium mitgeteilt habe. „Diese Einschätzung stützte sich auf Erfahrungen zum Verhalten des Gefangenen bei über 40 zum Teil unbegleiteten vollzugsöffnenden Maßnahmen sowie auf eine nervenärztliche Stellungnahme vom 1. September 2016, die eine Fluchtund Missbrauchsgefahr bei vollzugsöffnenden Maßnahmen verneinte“, heißt es in der Antwort des Ministeriums an die FDP.