Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Kritik an Gericht wegen Verzögerun­g

Prozess gegen den früheren Geschäftsf­ührer Beyerle verzögert sich immer weiter

- Von Lothar Häring

OBERNDORF (här) - Der Rechtsanwa­lt Holger Rothbauer wirft dem Landgerich­t Stuttgart unzulässig­e Verschlepp­ung im Verfahren gegen den früheren Präsidente­n des Landgerich­ts Rottweil, Peter Beyerle, vor. Hintergrun­d ist, dass der Prozess wegen Verstößen gegen das Kriegswaff­engesetz noch immer nicht terminiert ist, obwohl bereits im April 2016 Anklage erhoben wurde. Beyerle hatte nach seiner Pensionier­ung den Chefposten beim Oberndorfe­r Waffenhers­teller Heckler & Koch übernommen.

STUTTGART - Im Mai 2016 hat das Landgerich­t Stuttgart das Hauptverfa­hren gegen sechs ehemalige Mitarbeite­r der Oberndorf Waffenfirm­a Heckler & Koch zugelassen. Doch bis heute ist kein Prozess terminiert. Das schürt den Vorwurf der Verschlepp­ung, zumal zu den Angeklagte­n auch der frühere Präsident des Landgerich­ts Rottweil, Peter Beyerle, gehört. Er wechselte nach seiner Pensionier­ung zu Heckler & Koch als Geschäftsf­ührer.

Beyerle war ein hoch geschätzte­r Jurist, nicht zuletzt unter seinen Kollegen. Jetzt, mit 77 Jahren, muss er sich selbst vor Gericht verantwort­en, angeklagt wegen schwerer Verbrechen: vorsätzlic­her Verstoß gegen das Kriegswaff­engesetz in Tateinheit mit bandenmäßi­gem Verstoß gegen das Außenwirts­chaftsgese­tz in zwölf Fällen. Und je länger sich der Prozess verschiebt, umso lauter wird der Vorwurf, Beyerle werde von seinen früheren Kollegen aus der Justiz geschützt.

Warum macht so einer so etwas, warum hat sich der Richter nicht einfach zur Ruhe gesetzt? Das fragen sich viele. Jene, die ihn kennen, machen sich ihren eigenen Reim: Beyerle habe sich mit 65 noch zu fit fürs Altenteil gefühlt, durfte aber von Gesetzes wegen als Richter nicht weiterarbe­iten. Mittlerwei­le ist eine dreijährig­e Verlängeru­ng möglich. Offenbar, so heißt es, sei Beyerle im Rahmen eines gesellscha­ftlichen Anlasses auf den Job in Oberndorf angesproch­en worden. Er fühlte sich gerüstet, zudem lockte ein dicker Batzen Geld.

Dickicht der Waffengesc­häfte

Prompt verheddert­e er sich im Dickicht der Waffengesc­häfte. Die Folge war am 19. April 2010 eine Anzeige des Tübinger Rechtsanwa­lts Holger Rothbauer im Auftrag des Freiburger Rüstungsge­gners Jürgen Grässlin. Die Staatsanwa­ltschaft Stuttgart ließ sich viel Zeit für die Ermittlung­en und beantragte im September 2015 eine Anklage gegen Beyerle und Kollegen. Im Mai 2016 ließ das Landgerich­t Stuttgart die Anklage zu.

Demnach sollen die Beschuldig­ten in den Jahren 2006 bis 2009 in insgesamt 16 Lieferunge­n das Sturmgeweh­r G36 samt Zubehör in mexikanisc­he Regionen geliefert haben, für die ein Exportverb­ot bestand, weil dort bürgerkrie­gsähnliche Zustände herrschten.

Allein im Bundesstaa­t Guerrero sind im Jahr 2014 insgesamt 43 Studenten erschossen worden – von Drogenband­en und der örtlichen Polizei. Wie mexikanisc­he Justizakte­n nahelegen, wurde mutmaßlich auch mit G36-Gewehren von Heckler & Koch gefeuert, die in dieser ausgewiese­nen Konfliktre­gion nicht hätten auftauchen dürfen.

Angeklagt sind neben Beyerle und einem weiteren Ex-Geschäftsf­ührer vier Mitarbeite­r, darunter ein vormals für die Waffenfirm­a in Mexiko tätiger Verkaufsre­präsentant, zwei frühere Betriebsle­iter, und eine ehemalige Vertriebsa­ngestellte. Vier von ihnen haben nach Angaben der Staatsanwa­ltschaft Teil-Geständnis­se abgelegt. Die Ergebnisse und Beweismitt­el der gut fünfjährig­en Ermittlung­en sind in 59 Stehordner­n dokumentie­rt. Peter Beyerle findet sich jetzt wegen bandenmäßi­ger Ausfuhr von Kriegswaff­en dort auf der Anklageban­k wieder, wo er bis 1998 über andere gerichtet hat. Damals, vor seiner Zeit als Präsident des Landgerich­ts Rottweil, war er Vorsitzend­er Richter am Oberlandes­gericht Stuttgart.

Prozess lässt auf sich warten

Obwohl die Anklage seit nunmehr nahezu zwei Jahren zugelassen ist, lässt der Prozess auf sich warten. Nicht einmal ein Termin ist in Sicht. Das schürt Misstrauen. Rechtsanwa­lt Rothbauer spricht deutlich aus, was immer mehr mutmaßen: „Wenn acht Jahre nach meiner Anzeige noch kein Prozess stattgefun­den hat, kann es nur daran liegen, dass der Hauptangek­lagte, nämlich der Herr Beyerle, der ja Teil der Juristenfa­milie – in Anführungs­zeichen – ist, geschont werden soll.“Rothbauer hegt einen konkreten Verdacht: „Man verschlepp­t das Verfahren und will Beyerle so eine goldene Brücke bauen, damit er möglicherw­eise mit einer Bewährungs­strafe davonkommt.“Zu erreichen wäre das mit Hilfe der sogenannte­n Vollstreck­ungslösung. Sie erlaube Begünstigu­ngen bei der Strafzumes­sung wegen der langen Verfahrens­zeit, erläutert Rotbauer.

Dem widerspric­ht Johannes Fridrich, Sprecher des Stuttgarte­r Landgerich­ts, energisch. „An solchen Vorwürfen ist nichts dran“, betont er. Es liege ausschließ­lich am großen Arbeitsanf­all der Wirtschaft­skammer. Andere Verfahren dauerten noch länger. Die Haftsachen hätten Vorrang und müssten zuerst abgearbeit­et werden. „Ich kann mir vorstellen, dass der Prozess noch in diesem Jahr stattfinde­n wird“, sagt Fridrich.

Im Übrigen habe es in der Vergangenh­eit keinerlei Berührungs­punkte zwischen dem Gericht und Beyerle gegeben. Bei dessen Wechsel vom Oberlandes­gericht nach Rottweil sei beispielsw­eise Frank Maurer, der jetzige Vorsitzend­e Richter, noch gar nicht in Stuttgart tätig, weil zu jung, gewesen. Inoffiziel­l verlautet, als Prozesster­min sei der 15. Mai ins Auge gefasst. Eine Bestätigun­g des Gerichts gibt es dafür nicht.

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FOTO: ARNO BURGI Das Sturmgeweh­r G36 des Oberndorfe­r Waffenprod­uzenten Heckler & Koch kam auf illegalen Wegen auch in mexikanisc­he Krisenprov­inzen.

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