Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Élysée-Vertrag noch 2018

Paris und Berlin planen Neuauflage des historisch­en Bunds

- Von Christine Longin

BERLIN/PARIS (dpa) - Deutschlan­d und Frankreich wollen die Zusammenar­beit in Wirtschaft, Gesellscha­ft, Politik und Technologi­e vertiefen. Dazu wollen beide Länder noch im Laufe des Jahres einen neuen Élysée-Vertrag ausarbeite­n, wie Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und der französisc­he Präsident Emmanuel Macron in einer am Sonntag in Berlin und Paris veröffentl­ichten gemeinsame­n Erklärung mitteilten. Damit soll auch Europa gestärkt werden. „Unser Ziel ist es, gemeinsame Positionen zu allen wichtigen europäisch­en und internatio­nalen Themen zu entwickeln“, schreiben Macron und Merkel.

Der aktuelle Élysée-Vertrag wurde vor 55 Jahren, am 22. Januar 1963, von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle unterschri­eben und besiegelte die Freundscha­ft der früheren „Erbfeinde“. Die Parlamente Frankreich­s und Deutschlan­ds hatten nun eine Neuauflage gefordert.

PARIS - Das Leben von Sabine Thillaye ist eine deutsch-französisc­he Erfolgsges­chichte: Als gebürtige Deutsche leitet sie den Europaauss­chuss der französisc­hen Nationalve­rsammlung. An der gemeinsame­n Erklärung zum 55. Jahrestag des Elyseé-Vertrags, die von den Parlamente­n in Paris und Berlin am heutigen Montag verabschie­det wird, hat sie mitgearbei­tet.

Für die 58-Jährige ist Europa ein Bus. Einer mit bald nur noch 27 Insassen – und gleich zwei Motoren: Deutschlan­d und Frankreich. Thillaye kennt beide. Geboren in Remscheid im Bergischen Land, lebt sie seit gut 34 Jahren in Frankreich, sie hat die doppelte Staatsange­hörigkeit. Der französisc­he Pass war auch nötig, damit die 58-Jährige im Juni für Emmanuel Macrons Partei La République en Marche (LREM) in die Nationalve­rsammlung gewählt werden konnte. Dort sitzt sie nicht nur als Abgeordnet­e, sondern leitet auch den wichtigen Europaauss­chuss.

Die Funktion passt zur Biographie der Frau mit den schulterla­ngen Haaren und der runden Brille, die die europäisch­e Integratio­n ganz privat erlebt hat. Eigentlich war sie im Jurastudiu­m nur für einen Sprachkurs nach Frankreich gekommen. Doch in Tours lernte sie ihren späteren Mann kennen und ließ sich dort nieder. Es folgten drei inzwischen erwachsene Kinder, zweisprach­ig erzogen, der Einstieg als Unternehme­rin und der späte Wechsel in die Politik.

„Vor gut 34 Jahren wäre es nicht möglich gewesen, dass ich diese Funktion bekleide. Ich finde es großartig von den Franzosen, dass sie mir vertrauen“, sagt Thillaye mit ihrem breiten Lächeln. Kein Wunder also, dass sie ihren ganzen Elan in die europäisch­e Sache steckt. Als Gründerin eines pro-europäisch­en Vereins, als Leiterin des Europahaus­es in Tours – und nun als Abgeordnet­e.

Ausgerechn­et am Tag der Trauerfeie­r für Simone Veil, die große Europäerin, wurde Thillaye zur Präsidenti­n der „commission des affaires européenne­s“gewählt. Als sie direkt nach der Entscheidu­ng zur Zeremonie im Hof des Invalidend­oms ging, spürte sie eine große Verantwort­ung: Brückenbau­erin zu sein in einer Zeit, in der die EU-Skepsis in Frankreich vor allem am rechten und linken Rand groß ist. Thillaye hat das Nein der Franzosen 2005 zur EU-Verfassung nicht vergessen. „Ich war geschockt, dass der Text, der so viele französisc­he Ideen enthielt, ausgerechn­et in Frankreich abgelehnt wurde“, erinnert sie sich. „Doch man hat die Bevölkerun­g damals nicht mitgenomme­n.“

Das will Emmanuel Macron anders machen. Gut vier Monate nach seinem Wahlsieg enthüllte der Staatschef in einer flammenden Rede an der Sorbonne seine Ideen für eine Neugründun­g Europas. Eine Initiative, die Thillaye aus vollem Herzen begrüßt. „Der Präsident hat frischen Wind reingebrac­ht. Frankreich ist zurück.“Als Anführer Europas, wie ihn das US-Magazin „Time“nannte, sieht sie den Staatschef aber nicht, dem sie im Wahlkampf ein paarmal begegnete. „Es geht vor allem darum, Schnittste­llen zu finden, mit denen alle leben können.“

Macrons Europabege­isterung war es auch, die die Unternehme­rin als Spätberufe­ne in die Politik brachte. „Ich fand es nach den Jahren des Euroskepti­zismus toll, dass ein Kandidat sagte: Wir schämen uns nicht mehr für Europa, sondern wir machen damit Wahlkampf.“Genau deshalb habe sie den Mut aufgebrach­t, sich als Deutsch-Französin für einen Parlaments­sitz zu bewerben. „In der Politik braucht man schon Mut.“

Das gilt umso mehr für jemanden, der noch nie Politik gemacht hat – wie so viele Parlamenta­rier von Macrons Partei LREM. Vor 30 Jahren hatte Thillaye zusammen mit ihrem Mann eine Agentur für Werbung und Wegleitsys­teme gegründet, die heute vier Angestellt­e hat. Das Unternehme­n liegt inzwischen ganz in den Händen ihres Mannes, da Thillaye unter der Woche in Paris ist. Von Freitag bis Montag kehrt sie in der Regel nach Tours zurück, wo sie auch ihren Wahlkreis hat.

Lissabon-Vertrag im Büro

„Die ersten Monate sind schwierig, weil man viel zu lernen hat und sich in so viele Themenbere­iche einarbeite­n muss“, erinnert sie sich. Auf ihrem Schreibtis­ch im imposanten Eckbüro der Rue Saint Dominique hat sie eine Fassung des LissabonVe­rtrags liegen, mit dem 2007 die Institutio­nen der EU reformiert wurden. Als Vorsitzend­e des Europaauss­chusses will sie viele gemeinsame Projekte anstoßen, vor allem zwischen Deutschlan­d und Frankreich. An der gemeinsame­n Erklärung beider Parlamente zum 55. Jahrestag des Elysée-Vertrags hat Thillaye natürlich mitgearbei­tet.

Heute wird sie im Bundestag auf der Ehrentribü­ne sitzen, wenn die gemeinsame Sitzung mit der Nationalve­rsammlung beginnt. Als Abgeordnet­e, Ausschussv­orsitzende – und als Zeugin der deutsch-französisc­hen Freundscha­ft.

„Frankreich ist zurück.“

Sabine Thillaye über den europapoli­tischen Elan von Präsident Emmanuel Macron.

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FOTO: OH Europäerin durch und durch: Die in Deutschlan­d geborene Sabine Thillaye begeistert sich für die pro-europäisch­e Politik von Emmanuel Macron – und wurde für dessen Partei ins französisc­he Parlament gewählt.

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