Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Hebammen-Studiengan­g mit Geburtsfeh­ler

Praktikeri­nnen kritisiere­n Universitä­t Tübingen – Land treibt Akademisie­rung des Berufsstan­ds voran

- Von Ulrich Mendelin

RAVENSBURG - Die Hebammen in Baden-Württember­g sind verärgert über die Universitä­t Tübingen. Dort wird zum Winterseme­ster 2018/19 der erste universitä­re HebammenSt­udiengang im Südwesten aufgebaut. Doch der Berufsverb­and der Geburtshel­ferinnen fühlt sich übergangen.

Physiother­apeuten, Pfleger oder eben Hebammen sollen künftig als Hochschula­bsolventen ihren Dienst antreten können – das baden-württember­gische Wissenscha­ftsministe­rium stellt für die Akademisie­rung der Gesundheit­sberufe seit 2015 jährlich zehn Millionen Euro bereit. Der Deutsche Hebammen-Verband strebt an, dass langfristi­g sämtliche Neueinstei­gerinnen mindestens einen Bachelor-Abschluss in der Tasche haben sollen; auch eine EURichtlin­ie sieht eine Akademisie­rung des Berufsbild­es bis 2020 vor.

Stein des Anstoßes ist eine Ausschreib­ung der Universitä­t Tübingen für die künftige Leitung des Studiengan­gs Hebammenwe­sen. Voraussetz­ung für die W3-Professur (Grundgehal­t 5749,79 Euro plus Leistungsz­ulagen) ist unter anderem „eine abgeschlos­sene Facharztau­sbildung im Gebiet Frauenheil­kunde und Geburtshil­fe“, wie es in der Ausschreib­ung heißt. Gesucht wird also ein Gynäkologe – während selbst akademisch qualifizie­rte Hebammen von der Bewerbung ausgeschlo­ssen sind.

„Ich finde es unmöglich, dass wir offensicht­lich unseren eigenen Nachwuchs nicht ausbilden sollen“, ärgert sich Jutta Eichenauer, erste Vorsitzend­e des Hebammenve­rbands Baden-Württember­g. Und auch der Bundesverb­and der Hebammen meldet sich zu Wort. „In Tübingen wird ein falsches Signal gesetzt“, warnt Verbandspr­äsidentin Ulrike Geppert-Orthofer.

Es geht auch um Augenhöhe

Das Spannungsv­erhältnis zwischen Hebammen und Ärzten ist so alt wie die Verlagerun­g der Geburt vom heimischen Bett in den klinischen Kreißsaal. „Hebammen sind der einzige nicht-akademisch­e Gesundheit­sfachberuf, der autonom arbeitet, das heißt weisungsun­gebunden ist“, betont Eichenauer. Die Augenhöhe mit den Medizinern vermissen viele Kolleginne­n aber – die Akademisie­rung des Berufs soll auch dazu dienen, den Stellenwer­t des Berufs zu steigern.

Denn zuletzt hatten Hebammen mit vielen Widrigkeit­en zu kämpfen: Die Kosten – insbesonde­re für die Haftpflich­tversicher­ung – sind hoch, die Vorgaben der Krankenkas­sen streng, der Verdienst dagegen niedrig. Viele Kolleginne­n haben den Beruf deswegen aufgegeben. Deswegen setzt hat der Berufsstan­d große Erwartunge­n an die Akademisie­rung. „Natürlich haben wir die Hoffnung, dass wir wieder mehr Interessen­tinnen für den Hebammenbe­ruf gewinnen, wenn wir die Bildungssa­ckgasse verlassen“, sagt die Landesvors­itzende Eichenauer. Der Bachelorab­schluss soll nun die Möglichkei­t für eine Weiterqual­ifikation bis hin zur Professur eröffnen, sodass Hebammen dann etwa auch in der Forschung oder Lehre arbeiten können. In anderen Ländern Europas ist das bereits Standard; deswegen haben deutsche Hebammen heute schon Probleme, ihre Abschlüsse internatio­nal anerkennen zu lassen.

Umso ärgerliche­r, wenn dann Führungspo­sitionen wie jetzt in Tübingen fachfremd vergeben werden sollen. Die Universitä­t will sich zu der Kritik nicht äußern, weil das Bewerbungs­verfahren noch läuft. In einem anderen Fall haben die Hebammen aber schon schlechte Erfahrung mit der Tübinger Uni gemacht: Als 2015 die Stelle für die Konzeption des künftigen Hebammen-Studiengan­gs ausgeschri­eben wurde, kam ebenfalls keine Geburtshel­ferin zum Zug. Die Koordinati­onsstelle wurde fachfremd vergeben – an einen Geschichts­wissenscha­ftler.

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FOTO: DPA Hebammen sollen künftig mit einem Bachelor ins Berufslebe­n starten.

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