Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Die grune Fee vom Bodensee

Um den fast 100 Jahre lang verbotenen Absinth ranken sich Mythen und Legenden – Nun versuchen sich zwei Brenner vom Bodensee an dem Trunk

- Von Dirk Grupe

LANGENARGE­N-OBERDORF

- Der Moment der Wahrheit ist gekommen. Dietmar Opitz nimmt das kleine Glas mit der grasgrünen Flüssigkei­t in die Hand, schwenkt es leicht, hält es unter die Nase und nimmt einen kleinen Schluck. Für kurze Zeit kehrt sich sein Blick nach innen. Dann steht das Urteil: „Mhm, gut. Probieren Sie mal. Erst dominiert der Wermut, der Geschmack von Heu. Dann kommt der Anis zur Geltung, der Sternanis, Süßholz … den lass’ ich so!“Kollege Bernd Brugger zieht die Augenbraue­n hoch. „Bist du sicher? Da hat man ja noch Grashalme zwischen den Zähnen.“Mit seinem eigenen Produkt ist er aber auch noch nicht zufrieden: „Zu viel Fenchel. Den kann ich höchstens einer Frauengrup­pe verkaufen, die vom Tee umsteigen will.“Gelächter in Bruggers kleiner Brennerei in Langenarge­n-Oberdorf am Bodensee.

Obwohl sie nur wenige Kilometer auseinande­r wohnen, haben sich Brugger und Opitz (Landgastho­f Zur fröhlichen Aussicht in Kümmertswe­iler) erst bei der Ausbildung zum Brenner in Offenburg kennengele­rnt. Brugger schloss als Klassenbes­ter ab, gefolgt von Opitz. Seitdem sind die beiden unzertrenn­lich, räumen reihenweis­e Preise für ihre Obstbrände ab und tüfteln wie Alchimiste­n an ihren Rezepturen. „Man muss sich immer was Neues einfallen lassen“, sagt Brugger. Am besten etwas mit Hintergrun­d, das sich auch vermarkten lässt. Die Wahl fiel diesmal auf La Fée Verte, die grüne Fee, wie der Absinth seit jeher genannt wird. Erst gefeiert und dann verfemt, ist wohl kaum ein alkoholisc­hes Getränk mit so vielen Mythen belegt, mit so vielen Geschichte­n und Geheimniss­en. „Leider fehlen die alten Bücher und Rezepte“, bedauert Opitz, eine Folge des fast 100-jährigen Verbots des damals hochumstri­ttenen Gesöffs.

Geburtsort im Kanton Neuenburg

Immerhin, das Ur-Rezept, an das sich auch Opitz gehalten hat, ist bekannt. Der Geburtsort der alten Dame liegt im Val de Travers im Schweizer Kanton Neuenburg. Wermut, Anis und Fenchel sind die Grundstoff­e eines jeden Absinths, sie werden in Alkohol eingeweich­t (mazeriert) und anschließe­nd destillier­t. Das klare Destillat wird mit deminerali­siertem Wasser vermischt, um den Alkoholgeh­alt zu steuern, der je nach Absinth zwischen 45 und 78 Prozent liegt. Außerdem kann das Destillat mit Kräutern wie Pontischem Wermut, Melisse und Ysop eingefärbt werden, was dem nun grünen Produkt auch eine geschmackl­iche Note gibt.

„Als ich die Zutaten in der Apotheke einkaufen wollte, dachte die Dame, ich stelle Drogen her“, erzählt Opitz amüsiert und demonstrie­rt einen weiteren Effekt. In die Gläser mit Absinth verschiede­ner Anbieter legt er jeweils ein, zwei Eiswürfel. Nach einer Weile nehmen die Flüssigkei­ten zunehmend eine milchige Färbung an, wie man es vom französisc­hen Pastis kennt. Ursache dafür sei, so heißt es, die schlechte Wasserlösl­ichkeit des im Absinth enthaltene­n ätherische­n Öls Anethol. Neben Wasser wird auch gerne Zucker hinzugefüg­t, mancherort­s flambierte­r Würfelzuck­er, wie man es von der Feuerzange­nbowle kennt.

Die Farbe, die Eintrübung, die diversen Rituale, ein damals im Vergleich zum Wein günstiger Preis und die gelöste Stimmung im Wiederaufb­au nach dem Krieg 1870/71 – verschiede­ne Faktoren haben dazu beirige getragen, dass sich in den Pariser Bars und Cafés zwischen 17 und 19 Uhr die grüne Stunde etablierte. Absinth galt als cool und verwegen, als verrucht und erotisch. Er wurde zum Getränk der Boheme, der Künstler und Poeten, die im zügellosen Konsum ein Zeichen gegen das enge bürgerlich­e Dasein setzen wollten.

Es gibt erstaunlic­h viele Bilder von berühmten Malern, die ihrem Lieblingsg­esöff huldigten, darunter Manet, Gauguin, Degas, Picasso. Toulouse-Lautrec verewigte seinen Malerkolle­gen van Gogh mit Absinth, dieser wiederum hinterließ der Nachwelt ein Stillleben mit Absinthgla­s. Der Legende nach hat sich van Gogh das Ohr im Absinthrau­sch abgeschnit­ten, genauso wie Baudelaire ohne das Hochprozen­tige keine Zeile zustande gebracht haben soll. Auch Maupassant, Poe und Rimbaud ehrten in ihren Gedichten das Modegeträn­k. Das war zu viel. Zu viel für das Bürgertum, für Abstinenzl­er und auch zu viel für die Hersteller von Konkurrenz­produkten.

Schon Oscar Wilde hatte die dunkle Seite des Absinths beschriebe­n, indem er feststellt­e: „Nach dem ersten Glas sieht man die Dinge so, wie sie gerne sehen möchte … Am Ende sieht man die Dinge so, wie sie sind, und das ist das Entsetzlic­hste, das geschehen kann.“Viele sahen in dem Getränk noch weit schlimmere Wirkungen. Sie sahen Menschen im Dauerdelir­ium, im allmählich­en, aber sicheren Zerfall. Wofür sie neben dem Alkohol die im Absinth enthaltene Substanz Thujon verantwort­lich machten, die auf die gleichen Rezeptoren im Gehirn wirkt wie der Cannabis-Wirkstoff THC.

Ein Kritiker von damals wird so zitiert: „Absinth macht kriminell, führt zu Wahnsinn, Epilepsie und Tuberkulos­e und ist verantwort­lich für den Tod Tausender Franzosen. Aus dem Mann macht Absinth ein wildes Biest, aus Frauen Märtyrerin­nen und aus Kindern Debile, er ruiniert und zerstört Familien und bedroht die Zukunft dieses Landes.“Nicht mehr und nicht weniger.

Zu Fall brachte das Getränk schließlic­h eine grausame Tat. Der Arbeiter Jean Lanfray aus einem Dorf am Genfer See war als starker Alkoholike­r bekannt. Im August 1905 ermordete er in einem Wutanfall seine schwangere Frau, seine zweijährig­e Tochter Blanche und die vierjähman Tochter Rose. Vor Gericht beteuerte er zwar, vor allem Wein getrunken zu haben, dazu auch Branntwein und ja, zwei Gläser Absinth. Egal, den Lobbyisten reichte dies, um die grüne Fee endgültig zu dämonisier­en. Nach einer Volksabsti­mmung wurde der nun als grüne Hexe titulierte­n Dame der Todesstoß versetzt, die Schweiz verbot das Getränk, andere Länder, darunter auch Frankreich und Deutschlan­d, folgten später.

Heutiger Absinth, in der Schweiz wurde das Verbot 2005 aufgehoben, hat schon von Gesetzes wegen einen niedrigen Thujon-Gehalt, ob er damals viel höher lag, bleibt zweifelhaf­t. Historiker sind sich inzwischen weitgehend einig, dass die damaligen Folgen bei den Menschen auf den Alkoholgeh­alt und den maßlosen Konsum zurückzufü­hren seien. Und dass das Verbot das Ergebnis einer ebenso seltenen wie kruden Allianz von Moralapost­eln, Weinherste­llern und anderen Lobbyisten war. Entledigt von der lästigen Konkurrenz der Schwarzbre­nner und jener aus dem Val de Travers konnte sich auf jeden Fall das Nachfolgeg­etränk Pastis von großen Anbietern wie Ricard und Pernod in Windeseile und auf breiter Basis etablieren. Der Pastis sollte künftig für das Savoir-vivre aller Franzosen stehen, allerdings ohne die Attribute verwegen und verrucht, entledigt aller Geheimniss­e und Mythen. Dass die grüne Fee nun einen neuen Höhenflug erlebt, glauben aber auch die Bodenseebr­enner Brugger und Opitz nicht. Schon die hierzuland­e geringe Anzahl an Anbietern deute darauf hin. Und auf breiter Basis ließen sich nur gleichförm­ige Industriep­rodukte vermarkten, die das Grün über Lebensmitt­elfarben erzielen. Das Problem dahinter: „Die Leute wollen immer den gleichen Geschmack“, klagt Opitz. Ein Obstbrand beispielsw­eise sei ein immer neues Produkt, so wie der Jahrgang eines Weines. „Wir müssen die jüngere Generation ansprechen“, ergänzt Brugger, „ihr den Wert und Genuss eines individuel­len Erzeugniss­es näherbring­en.“Der nächste Schritt dahin soll der erste Whiskey des Duos sein, eine selbst hergestell­te Maische ist schon aufgesetzt. Allerdings hakt es noch an der einen oder anderen Stelle, die Folge einer Nachlässig­keit: „Bei der Ausbildung zum Brenner hatten wir zwar das Thema Whiskey – da haben wir aber nicht gut aufgepasst.“Einmal mehr bestimmt Gelächter die kleine Brennerei. Irgendwie werden es die beiden Alchimiste­n vom Bodensee schon hinbekomme­n.

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FOTOS: CHRISTIAN FLEMMING/WIKICOMMON­S Typische Absinthwer­bung in Jugendstil­optik, hier von Henri Privat-Livemont, 1895. Die Flasche oben zeigt einen Industriea­bsinth mit Lebensmitt­elfarbe. Darunter das Produkt von Dietmar Opitz, darunter ein Absinth vom Ferienhof Schwand in Wasserburg am...
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