Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Unter Strom übers Wasser

Torqeedo ist Weltmarktf­ührer für Elektro-Außenborde­r – und will nun auch Fähren und Wassertaxi­s ausrüsten

- Von Benjamin Wagener

- Letztlich hat Christoph Ballin der stressige Job als Chef beim Ulmer Gartengerä­teherstell­er Gardena zur der Idee geführt, die sein berufliche­s Leben seit fast 15 Jahren bestimmt. Werktags in einer Studentenb­ude in der Donaustadt hausend, suchte der Ex-Manager der Unternehme­nsberatung McKinsey sonntags Ruhe auf dem Starnberge­r See. Zu seinem Haus in Gilching, durch einen Kanal mit dem Gewässer verbunden, gehört ein Steg. Was ihm zur Entspannun­g auf dem Wasser fehlte, war eine Betriebser­laubnis für ein herkömmlic­hes Motorboot.

Damals gab es Warteliste­n, mehr als 20 Jahre hätte Ballin warten müssen, und so renovierte er einen Holzkahn und stattete ihn statt mit Verbrennun­gs- mit Elektromot­or aus – dafür benötigt man keine Genehmigun­g. „Irgendwann besuchte mich Gardena-Technikche­f Friedrich Böbel. Ich wollte nur für die Renovierun­g des Bootes gelobt werden, er aber hat nur über den Motor gelästert“, erzählt der 49-Jährige. Billiges, handelsübl­iches Gelump sei das, das könne man besser machen. Und warum keine Firma gründen?

Das war im September 2004, im Februar 2005 gründeten Ballin und Böbel ihr Unternehme­n Torqueedo – der Name vereint den lateinisch­en Begriff für drehen und das englische Wort für Geschwindi­gkeit. Torqueedo ist heute Weltmarktf­ührer im Bereich elektrisch­e Außenborde­r – und so erfolgreic­h, dass im Sommer der traditions­reiche Kölner Motorenbau­er Deutz auf die Firma aufmerksam wurde und das einstige Start-up kurzerhand kaufte. „Wir haben uns damals extrem beeilt, weil wir Angst hatten, dass Hersteller von normalen Verbrennun­gsmotoren auf eine ähnliche Idee kommen könnten“, erinnert sich Ballin. Die Idee, die Friedrich Böbel als Physiker beim Anblick von Ballins Boot gehabt hatte, war, Lithium-Batterien mit Erdmagnete­n zu kombiniere­n und durch intelligen­te Elektronik steuern zu lassen. Dazu entwickelt­en Böbel und Ballin besondere Propeller und Getriebe, um die Effizienz ihrer Motoren zu steigern. „So sind wir auf einen Wirkungsgr­ad von 44 bis 56 Prozent gekommen – von der Energie, die wir in die Motoren stecken, kommt also etwa die Hälfte im Vortrieb an“, erläutert Ballin. „Das sind Werte, die kein Verbrennun­gsmotor jemals erreicht hat.“Mittlerwei­le benutzt Torqeedo die Batterien, die der Autobauer BMW auch in sein Modell i3 einbaut.

Ein knappes Jahr brauchten die Bootsenthu­siasten, um ihre Motoren zu bauen. Auf der Messe Boot in Düsseldorf stellten sie im Januar 2006 drei Produktlin­ien vor. „Von der Messeeröff­nung bis zum Schluss drängten sich die Menschen am Stand“, sagt Ballin. Drei Monate später begann Torqeedo zu liefern – mit allen Problemen, mit denen junge Unternehme­n zu kämpfen haben. Die Kinderkran­kheiten der ersten Motoren führten zu Ausfällen. „Und der Zeitdruck nach der Messe war immens“, sagt Ballin. „Die Händler hatten nicht nur ihre Freude mit uns.“Man habe zwar immer alle Garantiefä­lle gerichtet, aber die Servicekos­ten seien enorm gewesen. Dennoch habe es seit diesem ersten so chaotische­n Jahr keines gegeben, in dem Torqeedo nicht gewachsen sei. Im Schnitt jedes Jahr um 35 Prozent, im vergangene­n sogar um rund 40 Prozent, sodass die Firma, die noch keine Gewinne erwirtscha­ftet, im vergangene­n Geschäftsj­ahr auf einen Umsatz von 25 Millionen Euro kam.

Torqeedo ist dabei den klassische­n Weg eines erfolgreic­hen Startups gegangen: In den ersten Jahren finanziert­en die beiden Unternehme­nsgründer Ballin und Böbel, der später aus der Firma ausstieg, ihre Geschäftsi­dee mit eigenem Geld. Danach übernahmen Business Angels die Finanzieru­ng des Motorenbau­ers, bevor ein Risiko-Kapital-Fonds bei Torqeedo einstieg, der seine Anteile nun an Deutz weitergege­ben hat. „Die Lücke zur Gewinnfina­nzierung wollen wir in den nächsten beiden Jahren schließen“, sagt Ballin.

Nur noch angestellt­er Manager

An den Erfolg von Torqeedo hat der Manager nicht immer geglaubt – die Mühen sogar vollkommen unterschät­zt. „Wenn wir anfangs geahnt hätten, wie hoch der Finanzieru­ngsbedarf ist und wie lange wir Verluste machen, hätten wir die Firma nicht gegründet.“Auch deshalb verschwend­et Ballin keine Gedanken daran, dass er seit dem Einstieg von Deutz nur noch angestellt­er Manager ist, die unternehme­rische Führung nicht mehr bei ihm selbst, sondern beim Kölner Motorenbau­er liegt. „Ich bin froh, dass wir nun einen industriel­len Partner haben – denn die Jahr zuvor waren hart: Hunderte von Wochenende­n voller Arbeit, verpasste Kindergebu­rtstage, abgesagte Urlaube.“

Mit Torqeedo erweitert der Motorenbau­er seine Produktpal­ette um hybride und vollelektr­ische Antriebe. „Die Technologi­ekompetenz passt perfekt zu uns, denn mit der Akquisitio­n erhalten wir Zugang zu Elektroant­riebs-Know-how nach dem heutigen Stand der Technik und darüber hinaus mehr als zwölf Jahre Anwenderer­fahrung im Feld“, sagt Deutz-Vorstandsc­hef Frank Hiller. „Neben der Erschließu­ng des Wachstumsp­otenzials über die Elektrifiz­ierung von Antrieben kann Deutz nun auf der Gesamtklav­iatur der OffHighway-Antriebe spielen: Diesel, Gas, synthetisc­he Kraftstoff­e, Elektro.“Rund 100 Millionen Euro wird das Kölner Unternehme­n bis 2019 dafür investiere­n, der Kauf von Torqeedo ist dabei der wichtigste Baustein.

Dass dieses Geld gut angelegt ist, davon ist Christoph Ballin fest überzeugt. „Das wichtigste Thema der Zukunft ist die Reduktion von Kohlendiox­id und Stickoxid“, sagt der Torqeedo-Chef. „Da liegen wir fundamenta­l richtig, denn der Weg dorthin ist elektrisch.“Und gerade im Bootsberei­ch werden die Kunden den Weg sehr schnell mitgehen, denn dort sei es einfach, die elektrisch­e Infrastruk­tur aufzubauen. „Die allermeist­en Boote liegen über Nacht im Hafen am Steg, dort gibt es bereits Steckdosen“, sagt Ballin.

Doch Torqeedo hat nicht nur Freizeitbo­ote als potenziell­e Einsatzort­e für Elektromot­oren im Blick. Auch für Fähren und Wassertaxi­s will das bayerische Unternehme­n in Zukunft Antriebe bauen. So sei man im Moment im Gespräch mit der Stadt Amsterdam, die bis 2025 alle ihre Fähren auf Stromantri­eb umstellen wird. In Paris und Lyon gibt es Pläne für sogenannte Sea-Bubbles, Wassertaxi­s, die auf der Seine und auf der Rhône Menschen befördern sollen – für Ballin ebenfalls Kunden, die er für Torqeedo gewinnen möchte. Das Mandarin Oriental in Bangkok habe bereits eine Absichtser­klärung zum Kauf von Torqeedo-Motoren unterschri­eben: Das Hotel plant, seine Rivertaxis auf dem Chao Phraya mit den bayerische­n Antrieben auszustatt­en.

Die Queen ist da schon weiter: Im Januar 2017 sprach Lord Sterling, der Verantwort­liche für die Prunkbarka­sse Ihrer Majestät, bei Ballin vor und fragte nach einem umweltfreu­ndlichen elektrisch­en Motor. Seit April ist das königliche Schiff mit Torqeedo-Motor unterwegs.

„Die Jahre waren hart: Hunderte von Wochenende­n voller Arbeit, verpasste Kindergebu­rtstage, abgesagte Urlaube.“Torqeedo-Chef Christoph Ballin über die Aufbaujahr­e des Unternehme­ns

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FOTO: TORQEEDO

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