Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Drei Bronzeflüg­e mit Mehrwert

Richard Freitag gewinnt bei der Skiflug-WM seine erste Einzelmeda­ille – Tande unerreicht

- Von Joachim Lindinger

OBERSTDORF - Zu Daniel-André Tande – und damit der Goldmedail­le bei der Skiflug-Weltmeiste­rschaft 2018 – fehlten Richard Freitag 24,3 Punkte. Gut 20 Meter. Silber hatte sich Kamil Stoch erflogen, mit 11,0 Punkten Vorsprung auf den 26-Jährigen. Bronze also. Und doch so viel mehr als der dritte Platz! Nach drei Weltcup-Siegen heuer, einer bärenstark­en halben Vierschanz­entournee. Nach dem Sturz in Innsbruck dann, der Ungewisshe­it schließlic­h, ob es reichen würde für Oberstdorf, für die Heim-WM des seit Sommer Wahlallgäu­ers. Es reichte. Und wie! Es reichte, ohne auch nur einen Schanzenko­ntakt vor dem ersten Flug vom Heini-Klopfer-Bakken. Bundestrai­ner Werner Schuster: „Mental war das, seit ich im Springen dabei bin, eine der größeren Leistungen, die ich gesehen habe. Weil doch ’ne Flugschanz­e halt ’ne Flugschanz­e ist.“

Weil Richard Freitag Richard Freitag ist und dieser Richard Freitag „einen sehr starken Kopf“hat, kam das „Ja“des Trainersta­bs sofort, als Arzt, Physiother­apeut und Athlet WM-adäquate Fitness signalisie­rten. „Mittwoch“, verriet Richard Freitag zwischen „Winner Presentati­on“im Auslauf und Siegerehru­ng im Kurpark, „war wirklich so der erste Tag, an dem ich gesagt hab’: ,Okay, das kann funktionie­ren auf der Schanze.‘“Donnerstag war WM-Tag eins, Ernstfall Training. Werner Schuster kennt seinen derzeit dienstälte­sten Sportler genau. „Manchmal geht er auch in eine Richtung, da muss man als Trainer zweimal überlegen – und muss ihm vertrauen.“

Zurückgeza­hlt hat Richard Freitag mit Weite: 207,0 Meter (Training), 219,5 (Qualifikat­ion), 228,0 und 225,0 (die Wertungsdu­rchgänge eins und zwei), 209,0 (der Probedurch­gang am Samstag). Für Wertungsfl­ug drei – den vierten vereitelte wild wechselnde­r Wind – fanden sich 190,5 Meter in den Ergebnisli­sten. Bei wenig hilfreiche­n Bedingunge­n, was kurzes Achselzuck­en zur Folge hatte. „Der war nicht so schön.“Eine Luftfahrt von sechs, die „nicht die gleiche Qualität hatte“, das trübte weder den bundestrai­nerlichen Gesamteind­ruck („Sensatione­ll hingekrieg­t!“) noch die Freude des Medailleng­ewinners.

Sie übrigens stellte sich verzögert ein. Nachzuvoll­ziehen, „wenn du hochfährst und bereitest dich auf den Sprung vor, und dann wird abgebroche­n und gesagt, du hast ’ne Medaille“. Seine erste Reaktion, so Richard Freitag grinsend, sei ein „Ja, okay, dann nehm’ ich die halt“gewesen. Gut, dass es da noch die Zeremonie vor den 25 000 gab. „Jetzt bei der ,Winner Presentati­on‘, wenn du dann begreifst, du stehst auf dem Trepp’l bei einer Skiflug-WM, mit zwei anderen, wirklich tollen Sportlern – das ist unfassbar!“

Dass die zwei anderen, wirklich tollen Sportler plus Richard Freitag „in Summe die Besten waren“, dass „die drei Richtigen die Medaillen gemacht“ hatten, diese Ansicht besaß Werner Schuster nicht exklusiv. Vierschanz­entournee-Dominator Kamil Stoch hatte die Müdigkeit nach seinem historisch­en Triumph offenbar am Kulm gelassen, wo er vor Wochenfris­t noch hinterherg­eflogen ist. 230,0, 219,0 und 211,5 Meter machten den Polen zum Oberstdorf-Fan. „Ich mag die Schanze hier, ich hab’ versucht, so weit wie möglich zu fliegen. Das ist mein ganzes Geheimnis.“

Möglicher Türöffner für Olympia

Und Daniel-André Tande? „Ist einfach der beste Skiflieger zurzeit.“Befand Richard Freitag unwiderspr­ochen. Spätestens nach dem Schanzenre­kord in der Qualifikat­ion (238,5 Meter) war der Wettkampf für den Norweger ein „perfekter. Es ging fast automatisc­h.“Auf 212,0, 227,0 und 200,0 Meter, als es darauf ankam. Mit Anlaufverk­ürzung, mit Rückenwind. Den Abbruch quittierte­n Tränen, Gold vier Tage vor dem 24. Geburtstag wollte erst einmal verarbeite­t sein: „Überwältig­end, als würden alle Gefühle auf einmal durch den Körper strömen.“

Ein Zustand, den sich der Weltmeiste­rschaftsdr­itte noch etwas aufgehoben hatte. Richard Freitag war beim gängigen Interview-Marathon in die Nach-Innsbruck-Zeit zurückgefr­agt worden. Was, bitte, hat er da getan, um jetzt so zu fliegen? Mit Knochenmar­k-Ödem an der Hüftpfanne links? „Ranklotzen! Du musst dich vom Kopf her einstellen und hart arbeiten können.“In der Therapie, bei dem, was an Training möglich, sinnvoll ist. Ohnehin sei so eine Medaille Anlass, sich „die ganze Arbeit, die davor steckt“, bewusst zu machen. Der Lohn ist bronzen.

Und doch so viel mehr. Nochmals Werner Schuster: „Das ist die erste Einzelmeda­ille in Richards Skispringe­rleben, da hat er lang kämpfen müssen dafür. Das kann auch ein Türöffner sein für Weiteres.“

In 18 Tagen werden die Olympische­n Winterspie­le eröffnet.

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FOTO: AFP Bronzeflug – Richard Freitag feiert nach seinem schlimmen Sturz ein traumhafte­s Comeback.

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