Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Streit um Zuwanderun­g beigelegt

Union und SPD erzielen Einigung – Milliarden­schwerer Kompromiss bei der Bildung

- Von Katja Korf und unseren Agenturen

BERLIN/STUTTGART - Auf der Zielgerade­n ihrer Koalitions­verhandlun­gen haben Union und SPD einen letzten Streitpunk­t in der Migrations­und Flüchtling­spolitik abgeräumt. Nach einer Diskussion in der großen Runde der Unterhändl­er von CDU, CSU und SPD teilte SPD-Vize Ralf Stegner am späten Freitagabe­nd mit, der Dissens sei beendet, es bleibe bei den Formulieru­ngen aus dem gemeinsame­n Sondierung­spapier. Bei der Auseinande­rsetzung ging es um die Auslegung eines Maximalwer­ts für die Zuwanderun­gszahlen. CSUGeneral­sekretär Andreas Scheuer sagte der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage zu der Einigung beim Zuwanderun­gsthema: „Ich bin sehr zufrieden.“

Im Sondierung­spapier hieß es, Union und SPD stellten fest, dass die Zuwanderun­gszahlen „die Spanne von jährlich 180 000 bis 220 000 nicht übersteige­n werden“. Diese Formulieru­ng wurde nun auch in das Einigungsp­apier der AG Migration übernommen.

Auch in anderen Bereichen sind sich die Unterhändl­er dagegen weitgehend einig, etwa bei der Wirtschaft­s-, Gesundheit­s-, Verkehrsun­d Innenpolit­ik. Die wichtigste Einigung betrifft ein milliarden­schweres Bildungspa­ket. Zwei Milliarden Euro sind für den Ausbau von Ganztagssc­hulen und Ganztagsbe­treuung geplant. Für die Ganztagsbe­treuung von Grundschül­ern wird ein Rechtsansp­ruch verankert. Außerdem sind eine Milliarde Euro für eine BafögRefor­m, 600 Millionen Euro für eine bessere Ausstattun­g der Universitä­ten und fünf Milliarden Euro für den „Digitalpak­t“für Schulen geplant.

In Teilen fallen soll das sogenannte Kooperatio­nsverbot. Dem Bund wäre dann die Finanzieru­ng von Schulen in den Ländern möglich. Bislang durfte Berlin nur finanzschw­ache Gemeinden finanziell unterstütz­en. Ein Bekenntnis zu bundesweit einheitlic­hen Bildungsst­andards fehlt in dem Papier jedoch.

Baden-Württember­gs Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) warnte am Freitag davor, dem Bund zu viele Kompetenze­n zu übertragen. Sie kenne „keine stichhalti­gen Argumente, wieso der Bund auf einmal eine bessere Bildungspo­litik im Hinblick auf Inhalte und Qualität machen sollte als die Länder“. Sie betonte, das Papier von CDU, CSU und SPD wolle das Kooperatio­nsverbot keineswegs abschaffen. Es handle sich nur um eine Präzisieru­ng, die es dem Bund erlaube, auch finanzstar­ken Kommunen Geld zu geben. Sie forderte aber: „Es muss eine Belohnung für gute Finanzpoli­tik geben, keine Ausschüttu­ngen für Länder, die schlicht Investitio­nen versäumt haben.“Auch Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) ist ein strikter Gegner aller Versuche des Bundes, sich in die Bildungsho­heit der Bundesländ­er einzumisch­en. Eine Änderung des Grundgeset­zes in diesem Punkt lehnt er kategorisc­h ab.

BERLIN - Während Armin Laschet, CDU-Ministerpr­äsident aus Nordrhein-Westfalen, gerade vor den Mikrofonen steht und über die neuesten GroKo-Ergebnisse berichtet, huscht sein baden-württember­gischer Kollege Winfried Kretschman­n im Hintergrun­d in den Bundesrat. Kein Journalist stürzt sich auf ihn, zurzeit ist er in Berlin nicht so gefragt.

Seit das Ende der Jamaika-Verhandlun­gen vor den Türen der Vertretung Baden-Württember­gs verkündet wurde, rückt Kreschtman­n, Deutschlan­ds beliebtest­er Ministerpr­äsident, wieder mehr in den Hintergrun­d.

Angesichts der Verhandlun­gen über die GroKo sind es zurzeit seine Kollegen von SPD und Union, die gefragt sind. Bis auf Kretschman­n (Grüne) und den Thüringer Kollegen Bodo Ramelow (Linke) kommen alle Ministerpr­äsidenten von der Union oder SPD. In manchen Dingen erleichter­t das die Verhandlun­gen gegenüber dem zuerst angepeilte­n Bündnis von CDU, FDP und Grünen.

So hieß es zum Beispiel beim Thema Kooperatio­nsverbot, dass man sich ohne Kretschman­n schneller einigen konnte. Der habe am meisten gebremst, auch wenn die CDU ebenfalls große Bedenken gegen Lockerungs­übungen in der Bildungspo­litik hatte.

Alle CDU- und SPD-Ministerpr­äsidenten sind bei den Koalitions­verhandlun­gen eingebunde­n – und Horst Seehofer (CSU) gehört als Parteichef sogar zu den Verhandlun­gsführern. In der SPD ist es besonders Manuela Schwesig, bei der CDU vor allem Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Volker Bouffier, die die neuen Zwischenst­ände durchgeben und kommentier­en.

Der Einfluss der Ministerpr­äsidenten wächst angesichts der Koalitions­verhandlun­gen. Denn sie sind es, die in ihren Ländern schon lange das Kunststück vollbringe­n, mit den unterschie­dlichsten Farbkombin­ationen klarzukomm­en.

Zwölf Farbkombis

Der Bundesrat ist mittlerwei­le so bunt wie eine Tüte Gummibärch­en. Genau zwölf verschiede­ne Farbkombin­ationen gibt es in Deutschlan­ds Ländern. Zwei Große Koalitione­n, zweimal Rot-Grün, zweimal RotLinks, zweimal Schwarz-Grün. Die anderen Bündnisse sind einmalig – Grün-Schwarz in Baden-Württember­g, Rot-Rot-Grün in Thüringen, die Ampel in Rheinland-Pfalz und Jamaika in Schleswig-Holstein. 16:0, wie jetzt bei der Abstimmung über die Parteienfi­nanzierung der NPD, geht es deshalb nur selten aus.

Schwindet die Macht der Grünen, wenn sie in der Bundesregi­erung nicht vertreten sind? In Niedersach­sen gehören sie nicht mehr der Regierung an, und auch Baden-Württember­g scheint in jüngster Zeit irgendwie stumm geworden zu sein auf Bundeseben­e. Doch das kann auch nur eine Momentaufn­ahme sein.

Denn insgesamt sind die Grünen an zehn Landesregi­erungen beteiligt und können gut über Bande spielen. So treffen sie sich in Berlin am Abend vor dem Bundesrat am grünen Kamin, und auch wenn Baden-Württember­g an der B-Runde teilnimmt, dem Lager der unionsgefü­hrten Länder, können die Grünen doch auch Spaltpilz im Bundesrat spielen. Bei Fragen wie den sicheren Herkunftsl­ändern zeigte sich das bereits.

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FOTO: AFP Mittendrin in den Koalitions­verhandlun­gen: Armin Laschet, CDU-Ministersp­räsident aus Nordrhein-Westfalen.

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