Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Rocchigiani teilt als TV-Experte aus
Graciano Rocchigiani wird TV-Experte für Sport 1 - Den Zustand des deutschen Boxens sieht er kritisch
RAVENSBURG (mp) - Ex-Boxweltmeister Graciano Rocchigiani (Foto: oh) hat von seinem Punch nichts verloren – auch wenn er nur noch als TV-Experte austeilt. Am Samstagabend ist Rocky bei der „Fightnight“auf Sport1 zu sehen. Das deutsche Boxen sieht er in der Krise. „Sie müssen richtig gefördert und ordentlich geschliffen werden. Die sind teilweise zu verwöhnt“, sagt er im Interview über den aktuellen Nachwuchs.
RAVENSBURG - Rocky. Lange Jahre Charaktergesicht des deutschen Boxsports. Endgegner von Henry Maske und Dariusz Michalczewski. Immer hart am Limit. Zu Boden gehen. Wieder aufstehen. Er hat Millionen verdient, Millionen verloren. Der Alkohol brachte ihn in den Knast. Aber: Auch die schlimmsten Niederlagen haben Graciano Rocchigiani nicht kleinbekommen. Und eines ist dem Sohn eines sardischen Eisenbiegers und einer deutschen Mutter sowieso bis heute geblieben: seine ebenso große wie sympathische Klappe. Einen weiteren Beweis dafür will Rocky am Samstag abliefern, wenn er ab 20 Uhr auf Sport 1 das Format „Fightnight“als Experte begleitet. Im Spartensender hat das Boxen im deutschen Fernsehen nun eine neue Heimat gefunden. Die fetten Jahre mit deutschen Weltmeistern, mit den Klitschko-Brüdern und potenten Boxställen (Tiefpunkt: die Universum-Pleite) sind vorbei. Ebenso die Zeiten, als die Boxkämpfe von Henry Maske (zweimal auch gegen Rocchigiani) RTL wahre Quotenhits bescherten. Doch nun soll auf Sport1 der Neustart gelingen, mit durchaus prominenten Experten: Regina Halmich, Axel Schulz – und eben Graciano Rocchigiani. Michael Panzram hat mit dem 54-Jährigen gesprochen.
Herr Rocchigiani, Sie haben angekündigt, als TV-Experte Klartext reden zu wollen und zu sagen, was Sache ist. Was haben die Zuschauer da genau zu erwarten?
Das kommt darauf an, wie die Kämpfe laufen. Ich nehme sicher kein Blatt vor den Mund. So kennen mich die Leute.
Unter anderem kämpft Halbschwergewichtler Leon Bunn am Wochenende bei der Fightnight in Norwegen. Ist er das, was Sie „frisches Blut“nennen?
Ich muss ihn mir erst mal anschauen und bin gespannt, welche Qualität wir von ihm und den anderen sehen werden. Grundsätzlich sollte allen klar sein: Der Boxsport muss aus dem Winterschlaf geweckt werden.
Ist der Karlsruher Vincent Feigenbutz, den Sie in zwei Wochen in Ludwigsburg kämpfen sehen werden, einer, der das schaffen kann?
Er hat einiges drauf. Wenn er aber zu oft den Trainer wechselt, ist es schwer, seinen Stil zu finden und sich kontinuierlich zu verbessern. Man muss Vertrauen zum Trainer haben und irgendwann an jemandem festhalten. Das mit den häufigen Wechseln ist auf keinen Fall gut für ihn.
Bisher hat Feigenbutz eine ganz ordentliche Kampfstatistik und ist einer der aktuell besten deutschen Boxer. Sehen Sie das auch so?
Das ist auf jeden Fall richtig. Er ist ja keine Pfeife. Er ist aber sehr jung, mit 22 Jahren hat er noch Zeit. Ich würde ihn nicht zu früh ins Feuer schicken, weil er noch nicht konstant genug ist.
Sie haben von einem Winterschlaf gesprochen, in dem sich der deutsche Boxsport befindet. Woran liegt das?
An deutschen Boxern fehlt es nicht, die sind ja da. Sie müssen nur richtig gefördert und ordentlich geschliffen werden. Die sind teilweise zu verwöhnt.
Fehlt den Boxern also nur der nötige Biss?
Nein, es sind auch große Gelegenheiten verpasst worden: Kämpfe wie Felix Sturm gegen Arthur Abraham oder Yoan Pablo Hernandez gegen Marco Huck. Das haben die Manager verpennt. Diese Highlights hätte es gegeben, wenn man sie gewollt hätte. Es muss auch das Risiko in Kauf genommen werden, dass man auch mal einen Kampf verliert.
Empfinden Sie es eher als Segen oder Fluch für das Boxen in Deutschland, dass die sehr perfekten Klitschko-Brüder aufgehört haben?
Vitali und Wladimir haben die Hallen gefüllt, die Einschaltquoten waren riesig, das lässt sich nicht wegdiskutieren. Sie haben viel geleistet und alles richtig gemacht.
Sie haben noch lange davon geträumt, einen Giga-Fight gegen Ihren Intimfeind Dariusz Michalczewski zu boxen – schwirrt Ihnen das heute noch manchmal im Kopf herum?
Nein.
Die Boxfans erinnern sich noch gerne an Ihre Kämpfe gegen Henry Maske und Michalczewski. Das hat die Massen begeistert.
Ja, und das wäre bei einem Kampf Sturm gegen Abraham – zu ihren guten Zeiten – auch so gewesen. Das hätte die Leute elektrisiert. Das wäre ein Megakampf gewesen. Jetzt bei Sport1 fängt die Übertragung der Fightnight samstags um 20 Uhr an, mit vielen Kämpfern und Kämpferinnen. Das ist ein gutes Format. Ich hoffe, dass das dem deutschen Boxen hilft, aus seiner Krise zu kommen. Die Einschaltquoten sind immer weniger geworden und die Leute reden nicht mehr so viel über Boxen. Eine Deutsche Meisterschaft, auch eine Europameisterschaft, wird gar nicht mehr erwähnt. Diese Titelflut, mit irgendwelchen Meisterschaften, ist einfach zu viel. Man muss wieder auf Qualität achten. Die Leute wissen, was gut oder schlecht ist.
Haben Sie noch Hoffnung für den deutschen Boxsport?
Natürlich. Es gibt immer Phasen, in denen es mal scheiße läuft. Wenn man nichts macht, kann es sein, dass der Boxsport irgendwann ganz von der öffentlichen Bühne verschwindet. Wir sehen das bei den Amateuren. Das interessiert keine Sau! Ein Problem ist auch, dass die, die mit dem Boxen anfangen, oft nur fragen, wieviel Geld sie wofür kriegen. Die sollen erst mal Leistung bringen. Erst hart trainieren, dann den Mund aufmachen!