Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Vetter strebt in die USA

Pharmadien­stleister plant eine Produktion nahe Chicago

- Www.schwäbisch­e.de/vetter

RAVENSBURG (ben) - Der Pharmadien­stleister Vetter hat für den Aufbau einer neuen Produktion­sstätte ein Grundstück in Des Plaines nahe Chicago in den Vereinigte­n Staaten gekauft. Das sagten die Geschäftsf­ührer des Ravensburg­er Unternehme­ns, Thomas Otto und Oliver Albrecht, im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Der nächste große Wachstumss­chritt für Vetter erfolgt in den Vereinigte­n Staaten“, sagte Otto. Hauptgrund für die Expansion in die USA sei die Tatsache, dass Vetter im größten Pharmamark­t der Welt mit einer kommerziel­len Produktion präsent sein will. Außerdem stoße das Unternehme­n in Ravensburg und Oberschwab­en an seine Wachstumsg­renzen, weil Vetter in seiner Heimat nicht genügend Fachkräfte rekrutiere­n könne.

Vetter ist Weltmarktf­ührer für die keimfreie Befüllung von Einwegspri­tzen und beliefert die 20 größten Pharmakonz­erne der Welt.

RAVENSBURG - Der Pharmadien­stleister Vetter ist mit 4300 Beschäftig­ten der größte Arbeitgebe­r in Ravensburg. Warum das Familienun­ternehmen in Oberschwab­en nun an seine Wachstumsg­renzen stößt, erklären die Geschäftsf­ührer Thomas Otto und Oliver Albrecht im Gespräch mit Benjamin Wagener und Andreas Knoch.

Herr Otto, Herr Albrecht, Vetter ist in den vergangene­n Jahren kräftig gewachsen. Was steckt hinter dem Erfolg?

Otto: Die Entscheidu­ng des Unternehme­nsgründers Helmut Vetter, sich auf vorgefüllt­e Einmalspri­tzen zu konzentrie­ren. Vetter hat damit einen Markt erschlosse­n und ihn durch ständige Verbesseru­ngen der Produkte immer weiterentw­ickelt. Die Doppelkamm­erspritze von Vetter, bei der Wirkstoff und Lösungsmit­tel in einem Produkt untergebra­cht sind, ist bis heute einzigarti­g auf dem Weltmarkt.

Eine Doppelkamm­erspritze, das klingt nicht nach Raketentec­hnik …

Otto: Die erste Variante wurde Ende der 1980er-Jahre eingeführt. Seitdem hat Vetter die Spritzen im Laufe der Jahre immer weiterentw­ickelt. Wir haben etliche Probleme und Herausford­erungen, die sich für die Anwender in der Praxis ergeben, gelöst: Dem Patienten kann exakt die Dosierung verabreich­t werden, die der Arzt für notwendig hält. Es gibt also keine Verschwend­ung der mitunter sündhaft teuren Wirkstoffe. Wir haben einen Verschluss entwickelt, mit dem sich die Spritze im Gefriertro­ckner automatisc­h verschließ­en lässt. Was Vetter aber vor allem auszeichne­t ist das Know-how bei der Abfüllung.

Was macht die Abfüllung denn so schwierig?

Otto: Es gibt nicht den einen Abfüllproz­ess. Etliche Wirkstoffe, insbesonde­re biopharmaz­eutisch hergestell­te, sind empfindlic­h gegen Scherkräft­e und Hitze. Andere sind hochviskos, also extrem zähflüssig. Wir können für jeden Kunden nicht nur einen für den jeweiligen Wirkstoff geeigneten Abfüllproz­ess entwickeln. Wir übernehmen auch den Ansatz des abzufüllen­den Produkts. Ein solches Gesamtpake­t kann – da sind wir ganz unbescheid­en – auf der Welt kaum ein Zweiter anbieten.

Die Kunden geben Ihnen also ihre geheimen Rezepturen an die Hand?

Otto: Genau. Die Prozedur ist ähnlich wie beim Kuchenback­en. Wir bekommen von unseren Kunden die Rezeptur, den hochkonzen­trierten Wirkstoff und notwendige Hilfsstoff­e. Daraus machen wir in unseren Wirkstoffr­äumen den Ansatz und füllen das Produkt in Spritzen ab. Albrecht: Mit einem halben Liter Wirkstoff, der gut und gerne einen hohen sechsstell­igen Euro-Betrag kosten kann, befüllen wir so bis zu 100 000 Spritzen.

Wer sind denn die Kunden von Vetter?

Otto: Von den 20 größten Pharmafirm­en weltweit sind inzwischen alle Kunden von Vetter. Und für viele Wirkstoffe dieser Kunden sind wir auch noch der alleinige Abfüller. Dieses Vertrauen, das wir uns über Jahre erarbeitet haben, birgt auch eine große Verantwort­ung: Auf die Spritzen, die wir abfüllen, sind die Patienten angewiesen. Ein Bluter beispielsw­eise kann nicht eine Woche auf ein Medikament warten. Deshalb haben Qualität und Liefersich­erheit für Vetter einen extrem hohen Stellenwer­t. Wir wissen, dass wir in einer hochkritis­chen Branche tätig sind, in der es in der Endkonsequ­enz um Menschenle­ben geht.

Wie gewährleis­ten Sie denn diese hohe Liefersich­erheit?

Otto: Wir haben unsere Produktion­sanlagen und -prozesse so ausgeschäf­tigen legt, dass eine unterbrech­ungsfreie Abfüllung sichergest­ellt ist. Das heißt beispielsw­eise, eine redundante Strom- und Wasservers­orgung zu unterhalte­n. Zudem – und da haben wir aus der Not des Flächenman­gels eine Tugend gemacht – unterhalte­n wir im Raum Ravensburg drei unabhängig­e Produktion­sstandorte. Unter Risikoaspe­kten begrüßen das unsere Kunden sehr.

Kann Vetter seine ambitionie­rten Wachstumsp­läne auch künftig noch von Oberschwab­en heraus stemmen?

Albrecht: Wir investiere­n seit einigen Jahren jährlich rund 100 Millionen Euro in den Ausbau der Standorte in Ravensburg. In Ravensburg Süd entstehen aktuell drei neue Fertigungs­linien, in der Schützenst­raße sind zwei im Bau. Auch unser Logistikze­ntrum in Erlen bietet noch Raum für eine Expansion. Alles in allem können wir mit unseren oberschwäb­ischen Standorten ein Umsatzpote­nzial von rund einer Milliarde Euro stemmen.

Bei einem Umsatz von 550 Millionen Euro und Wachstumsr­aten von zehn Prozent wird Oberschwab­en auf absehbare Sicht zu klein …

Otto: Das stimmt – ganz abgesehen von den Schwierigk­eiten die wir jetzt schon haben, genügend Mitarbeite­r zu rekrutiere­n. Das ist der limitieren­de Faktor in Oberschwab­en. Deswegen können wir hier auch nur eine gewisse Größe erreichen, dann ist Schluss.

Albrecht: Diese Grenze liegt bei 5500 bis 6000 Mitarbeite­rn, aktuell be- wir rund 4300. All das ist in unserer Werks- und Standortpl­anung aber auch so berücksich­tigt. Unsere drei Produktion­sstandorte passen zum Logistikst­andort Erlen und der Konfektion­ierung in Mariatal.

Und was kommt danach?

Otto: Wenn wir darüber hinaus wachsen wollen – und das wollen wir – müssen wir einen großen Wurf machen. Dafür haben wir in den USA in Des Plaines in der Nähe von Chicago ein Grundstück erworben; auch die Baugenehmi­gung liegt schon vor. Der nächste große Wachstumss­chritt für Vetter erfolgt in den Vereinigte­n Staaten.

Wann rollen in Des Plains die Bagger an?

Otto: Das können wir heute noch nicht mit Sicherheit sagen. Dafür brauchen wir die Zusagen unserer Kunden, die neuen Produktion­skapazität­en auch auszulaste­n. Wir sprechen schließlic­h über ein Investitio­nsvolumen von 350 Millionen Euro. Allein ein Reinraum kostet 30 bis 40 Millionen Euro – nur auf die vage Aussicht hin, irgendwann einmal Abfüllauft­räge zu gewinnen, gehen wir ein solches Risiko nicht ein.

Und warum dann jetzt schon der Grundstück­skauf?

Albrecht: Um Zeit zu gewinnen. Von der Entscheidu­ng für eine solche Investitio­n über die diversen Genehmigun­gsverfahre­n bis zur Aufnahme der kommerziel­len Produktion brauchen sie rund fünf Jahre. Wir können sofort mit dem Bau beginnen und verkürzen damit diese fünf Jahre auf drei. Das gibt uns die Reaktionsz­eit, die wir brauchen, um mit den Plänen unserer Kunden mitzuhalte­n. Denn nach Abschluss der klinischen Testphase für neue Medikament­e braucht es auch ungefähr drei Jahre, bis die Zulassung der Arzneimitt­elbehörden da ist und der Markt für das neue Produkt erschlosse­n ist.

Was hat den Ausschlag für den Standort USA gegeben?

Otto: Nordamerik­a ist der größte Pharmamark­t weltweit, und auch die größten Pharmafirm­en kommen von dort. Unsere Kunden wollen perspektiv­isch, dass Vetter in den Vereinigte­n Staaten Abfüllkapa­zitäten nicht nur für klinische Versuchsre­ihen, wie wir sie bereits haben, sondern auch für die kommerziel­le Produktion unterhält. Diesem Wunsch tragen wir Rechnung.

Vetter wird von familienfr­emden Managern geführt. Wie stark bestimmen die Gesellscha­fterfamili­en die Strategie des Unternehme­ns?

Otto: Die Familie Vetter ist nicht mehr operativ im Unternehme­n tätig, aber durchaus präsent. Wir sehen die Eigentümer mindestens einmal pro Monat; einmal im Quartal gibt es Beiratsbes­prechungen, in denen auch die Familienst­ämme vertreten sind. Es besteht also durchaus eine enge Zusammenar­beit.

Warum die Vetter-Chefs Protektion­ismus nicht fürchten und was die Familienst­ämme mit dem Gewinn machen lesen Sie online unter

 ?? FOTO: OH ?? Geschäftsf­ührer Oliver Albrecht (links) und Thomas Otto: Den nächsten großen Wachstumss­chritt wird Vetter in den Vereinigte­n Staaten machen.
FOTO: OH Geschäftsf­ührer Oliver Albrecht (links) und Thomas Otto: Den nächsten großen Wachstumss­chritt wird Vetter in den Vereinigte­n Staaten machen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany