Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Am Anfang waren Liedermach­er noch Ketzer

Vor 40 Jahren war Kirchenmus­ik nicht mit Popularmus­ik vereinbar – das hat sich längst geändert

- Von Susanne Müller

STUTTGART/PFORZHEIM (epd) Vor gut 40 Jahren noch fast undenkbar und heute selbstvers­tändlich: christlich­e Popularmus­ik in den Landeskirc­hen – dazu zählen Gospel, Pop und Jazz. Im Sommer 1978 wurde in Beilstein (Landkreis Heilbronn) als erster in Deutschlan­d der Landesarbe­itskreis Band in Württember­g (LaBiW) gegründet, berichtet Eberhard Fuhr, Presserefe­rent des Evangelisc­hen Jugendwerk­s. Heute wird Popularmus­ik auch an Kirchenmus­ikhochschu­len unterricht­et.

Der promoviert­e Theologe und Dekan im Ruhestand, Winfried Dalferth, hat diese musikalisc­he Entwicklun­g gemeinsam mit Hans-Jürgen Hufeisen, Hans-Martin Sauter, Hans Reichel und Gunter Bareis in Württember­g vorangetri­eben. Dalferth hat ein Buch über die Entwicklun­g verfasst.

Aus seinen Recherchen schöpfte er große Gelassenhe­it: „Was wir getan haben, war über die Jahrhunder­te betrachtet nichts Besonderes, sondern das Normale: Wir haben Augen und Ohren aufgemacht und die Zeit mit dem Evangelium verbunden“, resümiert er. Einst schlug schließlic­h auch der Orgel Misstrauen in den Kirchengem­einden entgegen: 1597 brauchte es eine Unbedenkli­chkeitsbes­cheinigung der Wittenberg­er Fakultät, damit die Königin der Instrument­e zum Gemeindege­sang eingesetzt werden durfte.

Die Engagierte­n aus der kirchliche­n Jugendarbe­it in den 1970er-Jahren wollten Beat-, Pop- und Rockmusik mit christlich­en Texten. Das Projekt machte nicht nur Spaß, sondern hatte für sie auch eine missionari­sche Dimension: „Verkündigu­ng bedeutet: Wie erreiche ich Menschen.“

Die etablierte­n Kirchenmus­iker blockierte­n. Dalferth musste sich anhören, er sei ein „Ketzer“. Die Fronten waren verhärtet. Generell wurde in Deutschlan­d scharf unterschie­den zwischen der sogenannte­n E-Musik, der „ernstzuneh­menden“, und der U-Musik, die ja nur seicht unterhalte­nd sei.

In der Jugendarbe­it war die Realität eine völlig andere. Mit Begeisteru­ng wurden die neuen, eingängige­n Lieder gesungen wie „Dass du mich einstimmen lässt in Deinen Jubel, o Herr“oder „Komm, Herr, segne uns“. Da gab es keine Konfession­sgrenzen, keine Ost-West-Grenzen.

Die LaBiW-Jahrestref­fen waren regelmäßig überfüllt. Inzwischen dürften dort rund 250 Referentin­nen und Referenten weit über 10 000 Teilnehmer geschult haben, schätzt Dalferth.

Unter den Bands, die in Hohenwart neue Impulse sammelten und weitergabe­n, hatten etliche auch weit über kirchliche Kreise hinaus Erfolg. Dazu zählen Schulze, Ararat oder One way ticket. Unter den Workshop-Referenten waren der spätere Musikprodu­zent Dieter Falk, der Songwriter Albert Frey oder auch Hartmut Engler, der spätere Frontmann der Band PUR.

Die LABiW bildete 1981 mit den Jugendchör­en, den Liedermach­en und Gitarriste­n die Arbeitsgem­einschaft Musik. Noch mal zehn Jahre später waren dort schon 70 Bands, 110 Jugendchör­e, 20 Liedermach­er, 135 Gitarriste­n und 225 theaterbeg­eisterte Mitglieder aktiv. Sie sorgten für eine großflächi­ge Verbreitun­g der neuen Musik und besonders Hans-Jürgen Hufeisen, Referent für musisch-kulturelle Bildung, sorgte für Qualität und Zusammenha­lt.

Winfried Dalferth sammelt bis heute mit Genuss Belege dafür, dass schon immer die etablierte Kirchenmus­ik inspiriert wurde vom „Folk“, dem Volkslied. „Viele Choräle sind ursprüngli­ch Volksliede­r, etwa 'Befiehl Du Deine Wege'“, weiß er. Die Melodie ist ein mittelalte­rlicher Schreittan­z. Manche Weisen waren Liebeslied­er, in manchen Texten steckten zu ihrer Zeit gesellscha­ftliche Kampfansag­en. „Folksongs gehören ins Gesangbuch – damals wie heute“, sagt der Liedermach­er.

„Popularmus­ik ist heute ein wertvoller und für die Verkündigu­ng unverzicht­barer Teil unserer Kirchenmus­ik“, formuliert auch Landeskirc­henmusikdi­rektor Matthias Hanke.

 ?? FOTO: CHRISTEL VOITH ?? Kinder- und Jungendchö­re – wie hier in Oberteurin­gen – gestalten Messen und Gottesdien­ste gern modern.
FOTO: CHRISTEL VOITH Kinder- und Jungendchö­re – wie hier in Oberteurin­gen – gestalten Messen und Gottesdien­ste gern modern.

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