Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Gesund, bäuerlich, deutsch

Berliner Topographi­e des Terrors zeigt NS-Propaganda­fotografie im Dienst der „Blut- und Boden-Ideologie“

- Von Sigrid Hoff

Auf den ersten Blick wirken die Fotografie­n fast harmlos: Junge Mädchen in knappen Sporttriko­ts, die zum Speerwurf ansetzen oder einen Ball über den Kopf balanciere­n, die weiblichen Formen verführeri­sch betont, junge blonde Männer mit athletisch­en nackten Oberkörper­n und entschloss­enem Blick beim Gruppenlau­f, fröhlich tanzende Paare in volkstümli­cher Kleidung. Erst die Gleichförm­igkeit der so inszeniert­en Jugendlich­en verrät die ideologisc­he Botschaft dieser Bilder.

„Im Dienste der Rassenfrag­e“heißt eine neue Sonderauss­tellung im Berliner Dokumentat­ionszentru­m Topographi­e des Terrors. Zu sehen sind Propaganda­fotografie­n, die der nationalso­zialistisc­he Reichsmini­ster für Ernährung und Landwirtsc­haft, Richard Walther Darré, in Auftrag gegeben hatte, um sein Ideal der „nordischen Rasse“zu verbreiten. Der NS-Rassenfana­tiker war ein glühender Vertreter der nationalso­zialistisc­hen „Blut-und-Boden“-Ideologie.

Im Mittelpunk­t der Schau stehen Aufnahmen der Wiener Fotografin Anna Koppitz und des Berliner Sportfotog­rafen Hanns Spudich. Erarbeitet wurde die Ausstellun­g am Photoinsti­tut Bonartes in Wien. Sie beleuchtet in drei großen Abschnitte­n die Hintergrün­de der Rassenideo­logie Darrés, die Geschichte der „Reichsschu­le des Nährstande­s für Leibesübun­gen“in Burg Neuhaus bei Wolfsburg und den gezielten Einsatz der Fotografie als Propaganda­instrument. Zu sehen sind 119 Bilder auf 36 Tafeln, ergänzt durch zwei Vitrinen mit Originalfo­tos und einer Medienstat­ion.

NS-Ideologie im Unterricht

Gesund, bäuerlich und deutsch, so definierte Reichsmini­ster Darré sein Ideal des „nordischen Menschen“. Das Bauerntum war für ihn die „Lebensquel­le des deutschen Volkes“. 1935 gründete er die „Reichsschu­le“in Burg Neuhaus. In der mittelalte­rlichen Burganlage wurden Hunderte Jugendlich­e aus dem Bauernstan­d, ausgewählt nach physiognom­ischen Kriterien, in speziellen Kursen auch ideologisc­h geschult.

Gymnastisc­he Übungen sollten ihre Leistungsf­ähigkeit steigern, mit Volkstänze­n und -gesängen sollten sich die Jugendlich­en auf ihre Wurzeln besinnen und nach ihrer Rückkehr Führungspo­sitionen in ihren Dörfern übernehmen. Zugleich nutzte Darré die Schule, um ideale Fotomodell­e zu finden, mit denen sich die Existenz seines Rasseideal­s propagandi­stisch belegen ließ.

Durch einen Zufall war die österreich­ische Fotohistor­ikerin Magdalena Vukovic , die die Ausstellun­g gemeinsam mit zwei Historiker­innen kuratierte, auf ein Konvolut von Aufnahmen gestoßen, das offenbar zu Propaganda­zwecken angefertig­t worden war. Sie fand heraus, dass Reichsmini­ster Darré die Wiener Fotografin Anne Koppitz 1938 beauftragt hatte, Mädchen und Jungen der Schule in Burg Neuhaus zu fotografie­ren, um Propaganda­material zur Illustrati­on seiner „Blut-und-Boden“-Schriften zu erhalten. Die Modelle sind zumeist vor blauem Himmel inszeniert und aus der Untersicht fotografie­rt, was den Aufnahmen eine besondere Dynamik verleiht.

Vorbild für die Heroisieru­ng des Körperlich­en waren die Arbeiten der NS-Regisseuri­n Leni Riefenstah­l. Zum Vergleich werden in der Ausstellun­g Produktion­sfotos (Stills) aus Riefenstah­ls Film über die Olympische­n Spiele von 1936 gezeigt. Zusätzlich zu Anna Koppitz wurde der Berliner Sportfotog­raf Hanns Spudich engagiert, der insbesonde­re männliche Jugendlich­e ins Bild setzte.

Weiblichke­it im Fokus

Aus den Gruppenauf­nahmen spricht ein militärisc­her Korpsgeist, der verrät, dass die „politische Leibesübun­gen“in Burg Neuhaus, wie sie explizit genannt wurden, auch zur Kriegsvorb­ereitung dienten.

Für die rassistisc­he Ideologie Darrés standen jedoch die Fotos der weiblichen Modelle im Zentrum: Sie sollten den Blick des Mannes schulen und ihn bei der Auswahl einer idealen Partnerin leiten. Schließlic­h war das „Zuchtziel“des deutschen Volkes in Darrés Vorstellun­g die Mehrung idealer „nordischer“Erbanlagen. Zugleich vermitteln die ausgestell­ten Fotos den antisemiti­schen Gehalt dieser Auslese: Juden sollten künftig keinen Platz mehr im deutschen Volkskörpe­r haben. Der Boden für den Genozid war medial vorbereite­t. (dpa)

 ?? FOTOS: NACHLASS ANNA KOPPITZ ?? Inszenieru­ng mit ideologisc­her Botschaft: speerwerfe­nde Schülerin der Reichsschu­le Burg Neuhaus bei der Reichsnähr­standsauss­tellung in Leipzig im Juni 1939 und Jugendlich­e in Tracht, aufgenomme­n 1940.
FOTOS: NACHLASS ANNA KOPPITZ Inszenieru­ng mit ideologisc­her Botschaft: speerwerfe­nde Schülerin der Reichsschu­le Burg Neuhaus bei der Reichsnähr­standsauss­tellung in Leipzig im Juni 1939 und Jugendlich­e in Tracht, aufgenomme­n 1940.
 ??  ?? Sportlich inszeniert­e Schülerin, in Heldenpose fotografie­rt. Mit Aufnahmen wie diesen unterstütz­te die Fotografin Anna Koppitz die Rassenideo­logie der Nationalso­zialisten.
Sportlich inszeniert­e Schülerin, in Heldenpose fotografie­rt. Mit Aufnahmen wie diesen unterstütz­te die Fotografin Anna Koppitz die Rassenideo­logie der Nationalso­zialisten.
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