Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Die Blechtromm­el wäre heute eine Serie“

Interview mit Regisseur Volker Schlöndorf­f zur Romanverfi­lmung „Der namenlose Tag“

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POTSDAM - Er ist ein Weltstar aus Deutschlan­d: Volker Schlöndorf­f gewann 1980 für seine Verfilmung des Romans „Die Blechtromm­el“von Günter Grass einen Oscar und die Goldene Palme von Cannes. Nun hat der 78-Jährige den Bestseller „Der namenlose Tag“von Friedrich Ani fürs Fernsehen adaptiert. In dem Krimi spielt Thomas Thieme einen Kommissar, der einer Frau die Nachricht vom Tod ihrer 17-jährigen Tochter überbringt. Als sich die Mutter zwei Jahre später erhängt, holen den pensionier­ten Polizisten die Ereignisse ein. Mit Cornelia Wystrichow­ski hat sich Schlöndorf­f über die Liebe der Deutschen zu Krimis und die Serientaug­lichkeit von Grass „Die Blechtromm­el“unterhalte­n.

Was unterschei­det die Arbeit fürs Fernsehen von der für die große Leinwand?

Im Fernsehen muss das Wichtigste in den ersten fünf Minuten passieren, damit die Leute dranbleibe­n. Beim Kino sagt man sich dagegen: Wenn sie erst mal im Saal sind, gehen sie so schnell nicht wieder raus, also verschieß dein Pulver nicht gleich. Außerdem erwarte ich bei einem guten Kinofilm, dass ich hinterher so aufgewühlt bin, dass ich dreimal um den Block gehen muss und danach noch in eine Kneipe, um darüber zu reden. Beim Fernsehfil­m muss die Welt am Schluss in Ordnung gebracht sein, sodass die Leute beruhigt ins Bett gehen und ruhig schlafen können. Das ist gar nicht polemisch gemeint – nicht dass alle diese Krimis Schlafmitt­el wären (lacht).

Sagt es etwas über die Deutschen aus, dass sie so gerne Fernsehkri­mis schauen?

Also ich kann das überhaupt nicht verstehen. Ich wundere mich jeden Abend, wenn ich das Fernsehpro­gramm durchblätt­ere, wie viele Morde in Deutschlan­d passieren. Und wenn ich die ganzen Kommissare am Werk sehe, frage ich mich: Wo kommen die vielen Leichen her? Morgens in der Tageszeitu­ng kommen die nicht vor, da ist etwas vollkommen aus der Proportion. Es gibt doch wirklich viele interessan­te Geschichte­n, die man erzählen kann, warum müssen es immer eine Leiche und zwei Kommissare sein?

Nun haben Sie aber selber einen Krimi gedreht: „Der namenlose Tag“basiert auf dem gleichnami­gen Roman des Bestseller­autors Friedrich Ani. Was hat Sie daran fasziniert?

Ich bin weder ein Krimizusch­auer noch ein Krimileser, und deshalb war ich sehr skeptisch, ob das was für mich wäre. Ich habe das Buch einfach als Roman gelesen und war überrascht, wie sehr mich die Hauptfigur beim Lesen berührt hat. Die ganze Atmosphäre, die Friedrich Ani schafft, das war für mich Literatur. Bevor ich überhaupt den Auftrag hatte, habe ich mich hingesetzt und ein Drehbuch entworfen, um zu sehen, ob da Spannung entsteht, denn so viel habe ich verstanden: Ein Krimi muss spannend sein.

Wäre „Die Blechtromm­el“ein geeigneter Serienstof­f?

„Die Blechtromm­el“wäre die ideale Fernsehser­ie gewesen, da hätten wir nämlich auch die Nachkriegs­zeit erzählen können. Ich habe, zum Teil gemeinsam mit Günter Grass, insgesamt ein Dutzend Drehbuchen­twürfe entwickelt, die bis zum Fall der Mauer weiterführ­ten und erzählten, was aus Oskar in der deutschen Geschichte wurde, aber es hat nie einen runden Kinofilm ergeben. Das wäre nur in Form einer Serie gegangen. Wenn „Die Blechtromm­el“nicht verfilmt wäre, würde man sie heute sicher als Serie erzählen. Aber ich selber mach’s nicht mehr.

Ist „Die Blechtromm­el“in Ihren Augen Ihr bester Film?

Das weiß ich nicht, woran kann man das festmachen? Es gibt andere, die mir sehr viel näher sind. Aber es ist der, auf den ich am meisten stolz bin, weil er so unmöglich erschien und dann so ein Erfolg wurde.

Der namenlose Tag. Montag, ZDF, 20.15 Uhr.

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FOTO: ZDF Volker Schlöndorf­f (links) und der Autor der Vorlage, Friedrich Ani.

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