Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Narren übernehmen die Macht
Mit Rathausstürmen in vielen Städten hat die Hochfasnet begonnen.
LEUTKIRCH - Oberbürgermeister Hans-Jörg Henle ist abgesetzt: Seit dem Leutkircher Rathaussturm am Donnerstag haben die Narren das Zepter in der Hand. Jedenfalls bis Aschermittwoch. Per Rutsche setzten sie Verwaltungsmitarbeiter und Stadträte vor die Tür.
Vor dem Ritt auf dem Hosenboden verkündete Thomas Blum, Präsident der Narrenzunft Nibelgau, dass dem bisherigen „Drama im Rathaus“nun ein Ende gesetzt werde. Damit die Mitarbeiter aus ihrem, laut Blum „gesunden Büroschlaf erwachen“, kletterten die Hexen ins Gebäude und nahmen sie in närrischen Arrest. Weil der traditionelle Einstieg über den Rathausbalkon nicht möglich war – dieser befindet sich in diesen Tagen beim Restaurieren – sprangen die Narren kurzerhand die aufgestellte Rutsche nach oben. Als Hilfe diente eine eingelassene Leiter.
Stolz präsentierte eine der Hexen wenige Augenblicke später – vor rund 100 Zuschauern in der Innenstadt – den symbolisch erbeuteten Rathaus-Schlüssel. „Jetzt ergreifen wir die Macht und regieren mit unserem Prinzenpaar“, kommentierte Blum. Zuvor hatten die Narren sämtliche Stadträte und Verwaltungsmitarbeiter per Rutsche auf die Marktstraße befördert. Während Bürgermeisterin Christina Schnitzler als Zweite ihren Arbeitstag beendete, landete Henle – mit Bauhelm und weißer Fahne ausgestattet – erst einige Augenblicke später im kommunalpolitischen Fegefeuer. „Zwei Unglücke kommen selten allein“, meinte Blum schmunzelnd zum Rutsch der beiden Mitarbeiter an der Rathausspitze.
Blum trägt Anklagepunkte vor
Anschließend trug der Chef der Nibelgauer die Anklagepunkte vor, die die Narren dem „Oberschultes“samt Stadtverwaltung zur Last legen. Ein zentrales Thema: die Bahnhofssanierung. Offensichtlich gibt es laut Blum nicht nur bei Stuttgarter Bahnprojekten dynamische Kostenentwicklungen. So seien auch die Kosten in
Leutkirch um etwa eine Million Euro gestiegen. Deshalb schlugen die Narren vor, „in der Unterführung die Wände an Graffitikünstler zu vermieten.“Die Schuld an der Misere schob Oberbürgermeister Henle indes vor allem der Deutschen Bahn in die Schuhe: „Da stellat ihr Narren die richtigen Fragen, bei der Bahn als Bauherr, da kannst verzagen.“
Froh sind die Narren hingegen darüber, dass ihrem Oberbürgermeister bei der Rathaus-Sanierung nicht die historische Stuckdecke auf den Kopf gefallen ist. Eine kreative Lösung präsentieren sie am Donnerstag in puncto Nachnutzung des Gebäudes, in dem bis vor kurzem eine Feneberg-Filiale untergebracht war. Die Idee der Narren: Auf dem Dach eine
Aussichtsterrasse mit Gaststätte einrichten, die „bekömmliches HärleBier“anbietet.
Spekuliert wird auch über ein Parkhaus an dieser Stelle: „Ein Parkhaus statt Feneberg, an der Fußgängerzone als Beginn, das wäre für Räte und Handel ein großer Gewinn“, erklärte der bis Mittwoch abgesetzte Henle.