Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Nächste Kehrtwende von SPD-Chef Schulz
Verzicht auf Außenministeramt – CDU-Minister Hauk rät Merkel zum geordneten Rückzug
BERLIN/STUTTGART - Der scheidende SPD-Chef Martin Schulz beugt sich dem Druck in seiner Partei und verzichtet auch auf den Posten des Außenministers in einer Großen Koalition. Damit will Schulz den Weg frei machen für eine Zustimmung der Parteimitglieder für eine Neuauflage des in der SPD ungeliebten Regierungsbündnisses mit der Union. Schulz, der bereits seinen Verzicht auf den Vorsitz angekündigt hatte, vollzog am Freitag eine neuerliche Kehrtwende. Er erklärte, er wolle nun doch nicht in eine neue Bundesregierung eintreten.
Hintergrund ist der Unmut an der SPD-Basis und besonders im größten Landesverband Nordrhein-Westfalen. Am Freitag erklärte Schulz in Berlin, durch die Diskussion um seine Person sehe er ein erfolgreiches Votum beim Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag gefährdet. „Daher erkläre ich hiermit meinen Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung und hoffe gleichzeitig inständig, dass damit die Personaldebatten innerhalb der SPD beendet sind“, sagte der 62-Jährige.
Schulz hatte nach dem Debakel der SPD bei der Bundestagswahl im September ausgeschlossen, in ein Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einzutreten. Nach der Koalitionseinigung mit der Union hatte er am Mittwoch aber erklärt, Außenminister werden zu wollen. Viele warfen ihm deshalb Wortbruch vor, auch der frühere SPD-Parteichef und jetzige Außenminister Sigmar Gabriel, der für die künftige Regierung nicht mehr als gesetzt galt. Gabriel hatte vor einem Jahr zugunsten von Schulz auf Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur verzichtet, um das Außenministerium zu übernehmen.
Unionsfraktionschef Volker Kauder sieht nach Schulz’ Verzicht wachsende Chancen für ein Ja der SPD-Basis. Er hoffe, dass die Entscheidung dazu beitrage, „dass das Ergebnis für den Koalitionsvertrag bei deren Mitgliederentscheid klarer ausfällt“sagte der Tuttlinger CDUPolitiker am Freitag der „Schwäbischen Zeitung“. „Ich hoffe, dass die Sozialdemokraten jetzt zur Ruhe kommen, damit letztlich eine stabile Regierung gebildet werden kann.“
In der CDU wächst derweil die Kritik an der Kanzlerin. Gefragt nach dem Ende der Ära Merkel sagte Baden-Württembergs Agrarminister Peter Hauk am Freitag in Stuttgart: „Die Biologie lässt sich nicht aufhalten. Und es gibt ja auch politische Alterungsprozesse.“Der CDU-Landespolitiker riet der Parteichefin zum geordneten Rückzug. „Angela Merkel sollte die Zeichen der Zeit erkennen und einen organischen Übergang in dieser Legislaturperiode schaffen, möglichst ohne Schmerzen. Dafür sind noch dreieinhalb Jahre Zeit.“LEITARTIKEL,
Michael Groschek ist der Anführer der Abteilung Attacke in der nordrhein-westfälischen SPD und kennt die Landespartei wie kaum ein Zweiter. Als Chef des mitgliederstärksten SPD-Landesverbands ist der 61-jährige ehemalige Marine-Soldat, der seit 44 Jahren in der SPD ist, ein einflussreicher Strippenzieher. Der Oberhausener mit dem kernigen Ruhrpott-Dialekt soll die treibende Kraft gewesen sein, um Martin Schulz jetzt zum Verzicht auf ein Ministeramt zu bewegen. Wer ist der Mann, den die Genossen „Mike“nennen?
Die NRW-SPD galt schon bei der Bundestagswahl 2013 als eine der letzten Bastionen gegen die Große Koalition. Dass die Genossen zwischen Rhein und Weser in den vergangenen Wochen etwas mehr Milde gegenüber GroKo-Ambitionen walten ließen, ist vor allem Groscheks Engagement zu verdanken.
Der kleine schnauzbärtige Mann, der gerne und häufig donnernd lacht, war lange Jahre Vertrauter von Ex-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Nach ihrem Abgang im vergangenen Sommer infolge der verlorenen Landtagswahl wurde er zum Landesparteichef gewählt. Noch in diesem Jahr will er einer verjüngten Spitze Platz machen.
Von Schulz' Kehrtwenden und gebrochenen Zusagen soll der studierte Berufsschullehrer zuletzt enttäuscht gewesen sein, heißt es aus der Partei. Am Donnerstag hatte Groschek Schulz zwar noch mühsam verteidigt, aber auch ein Glaubwürdigkeitsproblem mit dessen Ministerambitionen eingeräumt: „Ich kann die Gefühlswallung und manche Faust auf dem Tisch verstehen.“
Groschek, der zwischen 2012 und 2017 auch Landesminister für Bauen und Verkehr und zuvor über zehn Jahre lang Generalsekretär war, steht für „klare Kante“. Als er im Juni 2017 zum Chef der NRW-SPD gewählt wird, verspricht er den aufbegehrenden Jusos, mit alten Ritualen und Selbstbeweihräucherung aufzuräumen: „Weg mit dem Kram! Herzkammer – alles Pustekuchen und Selbstbetrug. Wir brauchen einen Neuanfang, der sich gewaschen hat.“