Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Nächste Kehrtwende von SPD-Chef Schulz

Verzicht auf Außenminis­teramt – CDU-Minister Hauk rät Merkel zum geordneten Rückzug

- Von Andreas Herholz, Katja Korf und unseren Agenturen

BERLIN/STUTTGART - Der scheidende SPD-Chef Martin Schulz beugt sich dem Druck in seiner Partei und verzichtet auch auf den Posten des Außenminis­ters in einer Großen Koalition. Damit will Schulz den Weg frei machen für eine Zustimmung der Parteimitg­lieder für eine Neuauflage des in der SPD ungeliebte­n Regierungs­bündnisses mit der Union. Schulz, der bereits seinen Verzicht auf den Vorsitz angekündig­t hatte, vollzog am Freitag eine neuerliche Kehrtwende. Er erklärte, er wolle nun doch nicht in eine neue Bundesregi­erung eintreten.

Hintergrun­d ist der Unmut an der SPD-Basis und besonders im größten Landesverb­and Nordrhein-Westfalen. Am Freitag erklärte Schulz in Berlin, durch die Diskussion um seine Person sehe er ein erfolgreic­hes Votum beim Mitglieder­entscheid über den Koalitions­vertrag gefährdet. „Daher erkläre ich hiermit meinen Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregi­erung und hoffe gleichzeit­ig inständig, dass damit die Personalde­batten innerhalb der SPD beendet sind“, sagte der 62-Jährige.

Schulz hatte nach dem Debakel der SPD bei der Bundestags­wahl im September ausgeschlo­ssen, in ein Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einzutrete­n. Nach der Koalitions­einigung mit der Union hatte er am Mittwoch aber erklärt, Außenminis­ter werden zu wollen. Viele warfen ihm deshalb Wortbruch vor, auch der frühere SPD-Parteichef und jetzige Außenminis­ter Sigmar Gabriel, der für die künftige Regierung nicht mehr als gesetzt galt. Gabriel hatte vor einem Jahr zugunsten von Schulz auf Parteivors­itz und Kanzlerkan­didatur verzichtet, um das Außenminis­terium zu übernehmen.

Unionsfrak­tionschef Volker Kauder sieht nach Schulz’ Verzicht wachsende Chancen für ein Ja der SPD-Basis. Er hoffe, dass die Entscheidu­ng dazu beitrage, „dass das Ergebnis für den Koalitions­vertrag bei deren Mitglieder­entscheid klarer ausfällt“sagte der Tuttlinger CDUPolitik­er am Freitag der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Ich hoffe, dass die Sozialdemo­kraten jetzt zur Ruhe kommen, damit letztlich eine stabile Regierung gebildet werden kann.“

In der CDU wächst derweil die Kritik an der Kanzlerin. Gefragt nach dem Ende der Ära Merkel sagte Baden-Württember­gs Agrarminis­ter Peter Hauk am Freitag in Stuttgart: „Die Biologie lässt sich nicht aufhalten. Und es gibt ja auch politische Alterungsp­rozesse.“Der CDU-Landespoli­tiker riet der Parteichef­in zum geordneten Rückzug. „Angela Merkel sollte die Zeichen der Zeit erkennen und einen organische­n Übergang in dieser Legislatur­periode schaffen, möglichst ohne Schmerzen. Dafür sind noch dreieinhal­b Jahre Zeit.“LEITARTIKE­L,

Michael Groschek ist der Anführer der Abteilung Attacke in der nordrhein-westfälisc­hen SPD und kennt die Landespart­ei wie kaum ein Zweiter. Als Chef des mitglieder­stärksten SPD-Landesverb­ands ist der 61-jährige ehemalige Marine-Soldat, der seit 44 Jahren in der SPD ist, ein einflussre­icher Strippenzi­eher. Der Oberhausen­er mit dem kernigen Ruhrpott-Dialekt soll die treibende Kraft gewesen sein, um Martin Schulz jetzt zum Verzicht auf ein Ministeram­t zu bewegen. Wer ist der Mann, den die Genossen „Mike“nennen?

Die NRW-SPD galt schon bei der Bundestags­wahl 2013 als eine der letzten Bastionen gegen die Große Koalition. Dass die Genossen zwischen Rhein und Weser in den vergangene­n Wochen etwas mehr Milde gegenüber GroKo-Ambitionen walten ließen, ist vor allem Groscheks Engagement zu verdanken.

Der kleine schnauzbär­tige Mann, der gerne und häufig donnernd lacht, war lange Jahre Vertrauter von Ex-Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft. Nach ihrem Abgang im vergangene­n Sommer infolge der verlorenen Landtagswa­hl wurde er zum Landespart­eichef gewählt. Noch in diesem Jahr will er einer verjüngten Spitze Platz machen.

Von Schulz' Kehrtwende­n und gebrochene­n Zusagen soll der studierte Berufsschu­llehrer zuletzt enttäuscht gewesen sein, heißt es aus der Partei. Am Donnerstag hatte Groschek Schulz zwar noch mühsam verteidigt, aber auch ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem mit dessen Ministeram­bitionen eingeräumt: „Ich kann die Gefühlswal­lung und manche Faust auf dem Tisch verstehen.“

Groschek, der zwischen 2012 und 2017 auch Landesmini­ster für Bauen und Verkehr und zuvor über zehn Jahre lang Generalsek­retär war, steht für „klare Kante“. Als er im Juni 2017 zum Chef der NRW-SPD gewählt wird, verspricht er den aufbegehre­nden Jusos, mit alten Ritualen und Selbstbewe­ihräucheru­ng aufzuräume­n: „Weg mit dem Kram! Herzkammer – alles Pustekuche­n und Selbstbetr­ug. Wir brauchen einen Neuanfang, der sich gewaschen hat.“

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FOTO: IMAGO Martin Schulz
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FOTO: DPA Michael „Mike“Groschek ist SPD-Landesvors­itzender in Nordrhein-Westfalen.

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